
Georg Trakl
Von: Die Inkognito-Philosophin
Georg Trakl & Schizophrenie
– Gedichte & Texte in der Psychose
Sohn des Protestanten und Geschäftsmannes Tobias Trakl und Maria Halik in Salzburg
4. von 6 Kindern
1905 Ausbildung in einer Apotheke in Salzburg
1908-10 Studium der Pharmazie an der Universität in Wien
1910-11 Militärdienst bei Sanitätsabteilung der Uni
1913 arbeitete er als Medikamentenakzessist am Garnisonshospital in Innsbruck. Begegnung mit seinem Freund und Förderer Ludwig von Ficker, an dessen Zeitung „Der Brenner“ er mitarbeitete.
1914 kam er mit einer Sanitätskolonne bei der Schlacht von Grodek zum Einsatz,
kurz darauf erster Selbstmordversuch, Beobachtung im Garnisonshospital Krakau
3. November 1914 starb er in Krakau an einer selbst herbeigeführten Kokain-Vergiftung im Alter von 27 Jahren
Georg Trakl war ein österreichischer Dichter des Expressionismus mit starken Einflüssen des Symbolismus. Eine eindeutige Zuordnung seiner poetischen Werke zu einer der annähernd gleichzeitigen Strömungen der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts ist aber nicht möglich.
Allgemeines zu Georg Trakls Leben
Die Krankheit Trakls nahm ihren Anfang vermutlich in der Beziehung zu seiner Mutter. Diese sorgte zwar gut für die Kinder, doch sie weigerte sich, diese zu stillen (mit Ausnahme von Grete), war kühl, zog sich oft tagelang zurück und strahlte keine mütterlich Wärme aus.
Auch der Tod seines Vaters, der für Trakl die wichtigste und verlässlichste Stütze war, um 1910 und der Fehlschlag seines zweiten Dramas, der Trakl in Ehrgeiz und Geltungsdrang tief verletzte, dürften Ursachen für seine Krankheit gewesen sein.
Die größte Rolle jedoch spielten Schuldgefühle. Entstanden durch Trakls Drogensucht, durch die er fast völlig verarmte sowie ständig bei Verwandten und Freunden Geld ausborgen musste.
Außerdem durch das inzestuöse Verhältnis zu seiner Schwester Grete, dem man bei der Entstehung und Entwicklung von Trakls Schizophrenie die größte Bedeutung zumessen muss.
Er beschuldigte sich, Grete zur Rauschgiftsucht und zu unerlaubten Trieben, also inzestuösen Handlungen, verführt zu haben.
Außerdem litt er ständig unter der Angst, dass dieses Verhältnis entdeckt werden könnte. Das alles verstärkt die Schuldgefühle, und als er seine Schwester (die bis in ihre unglückliche Ehe hinein Trakls Geliebte war) 1914 in Berlin besuchte, da diese nach der Fehlgeburt eines vermutlich gemeinsamen Kindes an starkem Blutverlust litt und in Lebensgefahr schwebte, stürzte ihn dies in eine tiefe seelische Krise.
In Zusammenhang mit Grete stehen vermutlich auch Trakls Angstzustände, da er Angst hatte, seine Triebe, die teils auch sehr aggressiv waren, könnten entdeckt werden und er müsse die für ihn gefährlichen Konsequenzen tragen.
Nervenzusammenbruch & Selbstmord
Als er dann gegen Ende Oktober 1914 mit seiner Sanitätskolonne, die völlig überfordert war, bei der Schlacht von Grodek zum Einsatz kam, erlitt er, aufgrund seiner Krankheit, unter dem Anblick hunderter Schwerstverletzter und erhängter Partisanen, einen Nervenzusammenbruch und versuchte sich das Leben zu nehmen.
Im Garnisonshospital von Krakau verweigerte man die von Ludwig von Ficker geforderte Herausgabe des Patienten Trakl, da ein Arzt einige von Trakls Gedichten gefunden hatte und an ihm das Problem „Genie und Wahnsinn“ erforschen wollte.
Stattdessen zwang man ihm eine Therapie auf, was, zusammen mit Trakls nochmals gesteigerten Schuld-gefühlen - durch die Angst, als Deserteur gehandelt und von einem Kriegsgericht hingerichtet zu werden, da er auf seinem Transport nach Krakau einmal zu fliehen versucht hatte - endgültig zur Unerträglichkeit seiner Krankheit führte und seinen Selbstmord zur Folge hatte.
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
- Grodek, Vers 10, September 1914
Georg Trakl – Verfall
Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen,
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.
Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten
Träum ich nach ihren helleren Geschicken
Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.
So folg ich über Wolken ihren Fahrten.
Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,
Indes wie blasser Kinder Todesreigen
Um dunkle Brunnenränder, die verwittern,
Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen.
"Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle, Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen."
- Der Herbst des Einsamen, Vers 1f., in: Sebastian im Traum,
Indes die Bäume blühen zur Nacht,
daß sich des Todes Antlitz hülle,
in ihrer Schönheit flimmernden Fülle
die Tote tiefer träumen macht.
Und Engel treten leise aus den blauen Augen der Liebenden, die sanfter leiden.
Blutschuld
Es dräut die Nacht am Lager unsrer Küsse.
Es flüstert wo: Wer nimmt von euch die Schuld?
Noch bebend von verruchter Wollust Süße
Wir beten: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!
Aus Blumenschalen steigen gierige Düfte,
Umschmeicheln unsere Stirnen bleich von Schuld.
Ermattend unterm Hauch der schwülen Lüfte
Wir träumen: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!
Doch lauter rauscht der Brunnen der Sirenen
Und dunkler ragt die Sphinx vor unsrer Schuld,
Daß unsre Herzen sündiger wieder tönen,
Wir schluchzen: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!
Erläuterungen zum Gedicht Blutschuld
(Autor: Hartmut Schönherr - Gedichtewerkstatt.de)
Das Gedicht "Blutschuld" schrieb Georg Trakl 1909.
Trakl selbst hatte das Gedicht nicht für die Veröffentlichung in den beiden von ihm betreuten Gedichtbänden vorgesehen, es befand sich in seinem Nachlass.
In seiner Gestaltung ist der Text nicht von besonderer Bedeutung, doch sein Inhalt hat das Gedicht in den Korpus der häufig besprochenen Gedichte Trakls gehoben. Schon früh wurde ja über eine inzestuöse Beziehung zwischen Georg Trakl und seiner Schwester Margarethe spekuliert.
Die Beziehung ist allerdings nicht eindeutig belegt und verschiedene Trakl-Forscher, etwa der Leiter der "Georg Trakl Forschungs- und Gedenkstätte" in Salzburg, Hans Weichselbaum, sehen in der literarischen Darstellung des Themas durch Trakl lediglich symbolische Wunscherfüllung, eine "ins Kunstwerk transformierte Obsession".
Hans Weichselbaum und andere verweisen darauf, dass das Inzestthema zu einem der zentralen Themen in der Literatur um 1900 gehörte. Und Trakl?
Der lässt die Schwester etwa 60 mal als "Schwester", "Jünglingin", "Fremdlingin" und "Mönchin" in seinen Texten erscheinen. Im Gedicht "Blutschuld" wird sie, sofern wir der gängigen These vom autobiografischen Bezug vertrauen, allerdings nur über die Pronomina der 1. und 2. Person Plural mitgenannt.
Ob es sich um Geschwisterinzest bei dieser "Blutschuld" handelt, wird im Text selbst nicht deutlich.
Von "Schuld" wird im Text in jeder der drei Strophen ausdrücklich gesprochen. Genauer ausgeführt wird diese Schuld nur indirekt über "Lager unsrer Küsse", "verruchter Wollust Süße", "steigen gierig Düfte", "Hauch der schwülen Lüfte" und in der Formulierung "Herzen sündiger wieder tönen".
Auf "Schuld" reimt Trakl dreimal "Huld", und zwar in der Formel "Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!" Bei "Maria" dürfte es sich um die religiöse Figur der Mutter Christi handeln, die im christlichen Ritus mit dieser Formel angerufen wird.
AN DEN KNABEN ELIS
Elis, wenn die Amsel im schwarzen Wald ruft,
Dieses ist dein Untergang.
Deine Lippen trinken die Kühle des blauen Felsenquells.
Laß, wenn deine Stirne leise blutet
Uralte Legenden
Und dunkle Deutung des Vogelflugs.
Du aber gehst mit weichen Schritten in die Nacht,
Die voll purpurner Trauben hängt
Und du regst die Arme schöner im Blau.
Ein Dornenbusch tönt,
Wo deine mondenen Augen sind.
O, wie lange bist, Elis, du verstorben.
Dein Leib ist eine Hyazinthe,
In die ein Mönch die wächsernen Finger taucht.
Eine schwarze Höhle ist unser Schweigen,
Daraus bisweilen ein sanftes Tier tritt
Und langsam die schweren Lider senkt.
Auf deine Schläfen tropft schwarzer Tau,
Das letzte Gold verfallener Sterne.
Erläuterungen zum Gedicht von Hartmut Schönherr
Dieser Text, zweifellos einer der schönsten Trakls, wurde vom Autor selbst für 2 Gedichtsammlungen ausgewählt, für "Gedichte" und "Sebastian im Traum" (dort folgt unmittelbar danach das Gedicht mit dem Titel "Elis").
Damit nimmt er bereits in der Selbsteinschätzung des Autors einen besonderen Platz ein. Rainer Maria Rilke bekannte 1915 in einem Brief an Ludwig von Ficker zu seiner Lektüre des Bandes "Sebastian im Traum": "man begreift bald, daß die Bedingungen dieses Auftönens und Hinklingens unwiederbringlich einzige waren, wie die Umstände, aus denen eben ein Traum kommen mag".
Dies gilt in besonderer Weise für diesen Text, der ganz einer klanglich versöhnten Traumwelt entstiegen scheint. Fast zu glatt gleiten die Worte, in sanftestem Melos werden Ungeheuerlichkeiten gesagt, der "Untergang" wird zum festlich-kultischen Akt. So schier unerbittlich dominiert Wohlklang, dass man die Frage stellen mag, ob hier nicht die Schwelle zum Kitsch überschritten sei.
Die Figur des Elis wird in der Trakl-Forschung bezogen auf die Person des Bergmanns Elis Fröbom, der im 17. Jahrhundert lebte, und dessen Geschichte von E.T.A. Hoffmann ("Die Bergwerke zu Falun", 1818) und Hugo von Hofmannsthal ("Die Bergwerke zu Falun", 1906) literarisch verarbeitet wurde.
Der junge Elis Fröbom verunglückte am Tag seiner Hochzeit tödlich, Jahrzehnte später wurde seine unversehrte Leiche gefunden. Bei Trakl verschmilzt dies mit der Figur des Hyakinthos aus der griechischen Mythologie.
Auch die Figur des Endymion klingt an (vgl. auch "Abendmuse"), in den "mondenen Augen" des Elis ebenso wie im Motiv der "Höhle". Ursula Heckmann hat in einer Arbeit zu Motiven Otto Weiningers in Trakls Werk den als kosmisches Unheil verstandenen Geschlechterunterschied als wesentliche Problemstellung Trakls herausgestellt.
Vor diesem Hintergrund wird der Text lesbar als Beschwörung einer Aufhebung dieses Unterschiedes, als ein Zurückkehren in eine mythische Welt vor dieser Unterscheidung. Dann wird auch unversehens deutlich, wie subtil die Differenz sich weiter artikuliert:
in einer leise blutenden Stirn und in eintauchenden Fingern - in Wundmalen, die sich erst der genaueren Lektüre als Verweise auf ein unausgesprochenes entsetzliches Unheil zeigen. Darin verortet sind auch die homoerotischen Anklänge in diesem Gedicht und Trakls eigentümliches Verhältnis zu seiner Schwester Margarethe, die er einmal als "strahlender Jüngling" (in "Ruh und Schweigen") charakterisiert, die aber auch als "Mönchin" (in "Die Schwermut") erscheint.
Georg Trakl & die Schizophrenie
Trakls Krankheit äußerte sich schon in frühester Kindheit.
Er zeigte ein übertriebenes Verlangen nach Süßigkeiten, das so stark ausgeprägt war, dass er sich bei Verweigerung das Leben nehmen wollte, später wichen die Süßigkeiten Alkohol und Zigaretten.
Das alles weist nach der Lehre Freuds auf eine orale Befriedigungstendenz hin, deren Ursachen fehlende Mutterliebe und fehlendes Geborgen sein waren.
Um diese zu ersetzen, suchte er schon früh nach Mutterfiguren, die er zuerst in seiner Gouvernante und später in den ältesten Kellnerinnen und Prostituierten fand, die für ihn die „Erniedrigten und Beleidigten“ darstellten (wie besonders deutlich aus seinen Gedichten „Afra“ und „Sonja“ hervorgeht), denn er wollte das Mutterbild nicht nur ersetzen sondern es auch erniedrigen.
Trakl wurde als introvertiertes, scheues, aber auch fröhliches und wildes Kind beschrieben, was auf die ersten plötzlichen Gefühlswechsel, die schon in seiner Kindheit häufig auftraten, hinweist. Er wälzte sich z. B. aus wildem Trotz am Boden, warf das Essen mitsamt Teller und Besteck aus dem Fenster, wenn es ihm nicht schmeckte, war andererseits folgsam und ruhig. Auch in späteren Jahren konnte er z. B. mit steinernem Gesicht vor sich hin brüten, dann plötzlich auflachen oder, ohne sein Gegenüber anzusehen, mit einem langen Monolog beginnen.
Er zeigte einen sprunghaften Stimmungswechsel und hatte ein wenig an der Außenwelt orientiertes Erleben, meist traten seine Gefühlsregungen komplett unangepasst auf, wie folgendes Beispiel deutlich zeigt:
Mitten in einem festlichen Treiben sprang Trakl in nüchternem Zustand plötzlich, am ganzen Leib zitternd, auf und bezeichnete einen als Siegespreis ausgesetzten Kalbskopf als „unseren Herrn Christus“.
Auch zeigten sich Trakls Gefühlsstörungen dadurch, dass er Tieren übergroßes Mitleid zollen und auf vermeintliche und reale Verletzungen seiner Person überempfindlich reagieren, dafür aber anderen Menschen, u.a. auch Freunden, gegenüber einen Sensibilitätsmangel und eine unerklärliche Rücksichtslosigkeit an den Tag legen konnte.
Er litt bei Anwesenheit vieler Leute sowie bei schnellen Bewegungen unter Angstzuständen.
Er mied Restaurants aus Furcht vor den Kellnern, das Fahren wegen Beklemmung durch die Mitfahrenden, im Zug stand er immer am Gang um nicht mit jemandem in einem Abteil sitzen zu müssen und auch der Anblick einer kahlen Wand oder das Begegnen mit einem Menschen im Wald (Trakl ging sofort in der Annahme, einen Mörder vor sich zu haben) lösten plötzliche Angstzustände aus.
3 Lebensereignisse mit psychotischen Tendenzen
Sein Horror vor raschen Bewegungen zeigt sich besonders deutlich in 2 der 3 Ereignisse in seiner Kindheit.
Einmal stellte er sich einem galoppierenden Pferd entgegen, um es aufzuhalten
ein anderes Mal stellte er einen Fuß auf die Bahngeleise, da er einen herannahenden Zug stoppen wollte.
Das 3. Ereignis (Trakl ging ganz bewusst in einen See und ließ sich versinken) weist eher auf seine Selbstzerstörungs- und Bestrafungstendenz hin, die auch in seiner Drogensucht und seinem schon sehr frühem Schwärmen von Selbstmord und Äthertod zum Ausdruck kam.
Trakls Drogensucht
Schon mit 15 Jahren begann er sich mit Chloroform zu betäuben, wobei es sich entweder um Selbstbestrafung wegen der Schuldgefühle, um Betäubung dieser oder um einen triebhaften Aggressionsakt gegen sich selbst, der sadomasochistische Lustgefühle in ihm weckte, handelte.
Später kam es vorübergehend zu einer Aufhellung seiner Stimmung, doch wurde diese bald zunehmend depressiver, düsterer und unausgeglichener und man gewann den Eindruck, dass ein zerstörender Prozess allmählich die festen Konturen seiner Gestalt zu verwischen begann.
Langsam begann auch Trakl selbst seine Selbstentfremdung und die gestörte Gleichmäßigkeit zwischen seinem Ich und der äußeren Welt zu bemerken, denn neben seiner Angst vor dem Tod bildete sich auch eine Angst vor dem Irrsinnig werden heraus.
Weiters hatte Trakl des öfteren illusionäre Wahnideen, behauptete z.B. von einem Kardinal abzustimmen und dass aus ihm eine berühmte Persönlichkeit werden würde, litt unter akustischen Halluzinationen (er hörte öfters Glocken läuten) und unter den schon in seiner Kindheit oft aufgetretenen optischen Halluzinationen (er konnte fest davon überzeugt sein, dass ein Mann mit gezücktem Messer hinter ihm stünde).
In seinen Werken spiegelt sich Trakls chaotischer Seelenzustand wider. Manchmal erscheinen die „rauschhaften, ambivalent getönten, exzessiven Bilder“ wie ein „Wortsalat“ und komplett sinnlos. Sie zeigen Trakls innere Zerrissenheit, die Ambitendenz des Schizophrenen und seine Sicht der Welt, besonders das inzestuöse Verhältnis mit seiner Schwester und die Beziehung zu seiner Mutter. (Die Gedichte „Blutschande“, „Offenbarung und Untergang“ und „Traum und Umnachtung“ weisen besonders stark darauf hin.)