Die Phänomenologische Perspektive

Bedeutung & Grundlagen

Autorin: Die Inkognito-Philosophin

Die phänomenologische Philosophie ist eine Erkenntnistheorie besonderer Art, die sich mit dem Wie der Wahrnehmung beschäftigt. Kurz: Diese Philosophie untersucht die subjektive Erfahrungswelt des Menschen und versucht, metaphysische, normative und direktive Vorannahmen zu vermeiden. Aus phänomenologischer Perspektive ist die Erfahrung die primäre Welt der Wahrnehmung – sie stellt damit den Subjektivismus in den Vordergrund. Dadurch unterscheidet sie sich von anderen philosophischen Ansätzen, die objektive Realitäten und allgemeine Gesetze postulieren.

Vgl. auch Phänomenologie (Philosophie) – Definition sowie Philosophie der Psychiatrie

Die Phänomenologie bemüht sich darum, menschliches Erleben aus der 1.-Person-Perspektive zu verstehen und zu beschreiben. Das Ziel ist, ein tiefergehendes Verständnis des 'Lebenswelt'-Konzepts. Sie befasst sich nicht nur mit der Pathologie oder der Abweichung von einem sogenannten "normalen" psychischen Funktionieren, sondern vielmehr mit dem gesamten Spektrum menschlicher Erfahrungen.

Die Qualität der Erfahrung

Es existieren viele Empfindungen und Facetten in der menschlichen Wahrnehmung, die nicht durch objektive Merkmale beschrieben werden können, sondern nur durch subjektive Darstellungen. Diese subjektiven Erlebnisse sind nicht über objektive Merkmale messbar, sondern können allein durch die subjektive Perspektive des Individuums erfasst werden.

Kurzum: Es geht um das Wie der Erfahrung, nicht um das Was. Erfahrungen, insbesondere das Erleben von Empfindungen, Gefühlen und Stimmungen, besitzen eine exklusive Qualität, die sich auf bestimmte Art und Weise für jemanden anfühlt.

Was sind Qualia?

In der Phänomenologie nutzt man für diese Erfahrungsqualitäten den Begriff Qualia.

Ein bekanntes Beispiel ist die Farbe Rot: Es lassen sich materielle Eigenschaften der Farbe beschreiben, zum Beispiel ihre chemische Zusammensetzung. Auch kann ich meinen persönlichen Eindruck mithilfe eines Fragebogens abbilden. Doch meine subjektive Erfahrung von Rot (meine Assoziationen, Empfindungen etc.) lässt sich in ihrer ganzen Erfahrungstiefe nicht empirisch erfassen.

Qualia sind alle möglichen Erlebnisqualitäten. Zum Beispiel Emotionen, wie Angst, Freude oder Wut. Oder Sinneseindrücke, wie der Anblick eines Sonnenaufgangs oder der Geschmack von Schokolade. Auch wenn ich diese Erlebnisqualitäten irgendwie verbal beschreiben kann (meist durch Vergleiche), ist das nicht dasselbe, wie sie selbst zu erfahren.

Wichtig ist vor allem, dass die Umwelt nie leer ist – sie ist schon immer gefüllt mit Qualitäten, die ausdrücken, auffordern und auf ein Individuum einwirken.

Die Grundlagen der Phänomenologie

Die historischen Grundlagen der Phänomenologie reichen bis ins späte 19. Jahrhundert zurück und haben seitdem eine bedeutende Rolle in der westlichen Philosophie eingenommen.

Zu ihren geistigen Vätern zählen Größen wie Husserl, Heidegger und Merleau-Ponty.

Menschenbild der Phänomenologie

Gemäß der phänomenologischen Perspektive ist der Mensch in die Welt eingebettet und versteht sich selbst und seine Umwelt durch seine direkte und gelebte Erfahrung. Das steht im Gegensatz zu einem rein objektiven bzw. naturwissenschaftlichen Menschenbild, welches den Menschen als ein bloß in der Welt existierendes, von ihr abgekoppeltes Objekt definiert.

Die Phänomenologie sieht den Mensch nicht als isoliertes Individuum, das unabhängig von der Welt existiert, sondern als ein Wesen, das sich in kontinuierlicher Wechselwirkung mit seiner Umwelt befindet. Die Wirklichkeit des Menschen ist somit immer eine „Mit-Welt“, ein soziales und kulturelles Netzwerk gelebter Beziehungen. (vgl. auch Lebenswelt)

Auch die Leiblichkeit spielt für das Menschenbild der Phänomenologie eine entscheidende Rolle. Der Mensch wird nicht als getrennter Geist in einem mechanischen Körper begriffen, sondern als Leibsubjekt. Unser Körper ist kein bloßes Werkzeug oder Instrument, sondern Ausdruck unserer Identität und perspektivischen Position in der Welt. Er ist sowohl Objekt als auch Subjekt unserer Erfahrung.

Ferner betont die phänomenologische Philosophie die Rolle von Bedeutung, Sinn und Intentionalität für das menschliche Dasein. Wir sind Wesen, die Bedeutung schaffen, suchen und modifizieren. Unsere Interaktionen mit der Welt und den Objekten in ihr sind immer „auf etwas hin“ ausgerichtet (intentional), sie haben einen Zweck oder Schwerpunkt. Als Menschen sind wir ständig im Prozess der Bedeutungsschaffung und -interpretation.

Phänomenologie vs. Phänomenalismus

Die Wortschöpfung "phänomenologisch" wird gerne in den Populärwissenschaften verwendet, aber falsch. Dabei bezieht sich der Begriff anders als in der Philosophie meistens auf das, was nur oberflächlich sichtbar ist. Das Wahrnehmbare selbst ist hier allerdings ein Scheinbild, welches sich von der dahinterliegende Realität unterscheide (=Dualismus).

Hier wird Phänomenologie mit dem Phänomenalismus durcheinander gebracht, d. i. ein Ansatz aus der Frühzeit des Positivismus, der nur das als wahr ansieht, was empirisch fassbar ist: Daten, Sinneseindrücke, Gesetzmäßigkeiten.

Damit hat die phänomenologische Perspektive aber nichts zu tun. Sie konzentriert sich darauf, wie wir wahrnehmen, wie Welt und Menschen uns im Bewusstsein erscheinen. Es geht darum, Phänomene in ihrer reinen Form zu betrachten, so wie sie uns unmittelbar gegeben sind. Im Gegensatz zum Positivismus will sie keine metaphysischen Aussagen treffen.

Phänomenologie in der Psychologie

Die philosophische Phänomenologie nach Husserl versucht, metaphysische Spekulationen zu vermeiden und stattdessen die Strukturen des Bewusstseins und der Erfahrung zu verstehen. Die Akzentuierung liegt auf der Beschreibung der Art und Weise, wie Phänomene dem Bewusstsein erscheinen, auf der Analyse der Konstitutionsleistungen des subjektiven Erlebens und dem intersubjektiven Raum, in dem sich Wahrnehmung und Erfahrung vollziehen.

Auch die phänomenologische Psychologie bedient sich der phänomenologischen Methode und konzentriert sich auf die Erkundung des subjektiven Erlebens. Sie befasst sich mit der Art und Weise, wie individuelle Erfahrungen sich für eine Person darstellen und welche Bedeutung diese Erfahrungen in ihrem Lebenskontext haben.

Von der philosophischen Phänomenologie unterscheidet sie sich hauptsächlich durch ihre Anwendung in der Erforschung von psychologisch-klinischen Kontexten.

Phänomenologische Perspektiven in der Psychotherapie

In humanistisch-psychotherapeutischen Verfahren (Gestalttherapie, Gesprächstherapie, Logotherapie, Existenzanalyse) dient die phänomenologische Perspektive oft als Werkzeug zur Erkenntnisgewinnung.

Gemeinsam haben alle Denkansätze – von Husserl bis Jaspers – die Vorsicht, nicht vorschnell zu interpretieren, Theorien nicht absolut zu setzen und stets mit der konkreten Erfahrung des Alltags verbunden zu bleiben. D. h. die Autonomie der Erfahrung des Gegenübers ist zu respektieren.

Doch ebenso wie in anderen Wissenschaften wird innerhalb der Psychotherapie der Begriff “phänomenologisch” häufig im Sinne von “phänomenal” benutzt.