
Maurice Merleau-Ponty
(1908 – 1961)
Von: Die Inkognito-Philosophin
Merleau-Ponty & Leibphänomenologie
Maurice Merleau-Ponty war ein französischer Philosoph und einer der Begründer der Leibphänomenologie, die heute in Embodiment-Konzepten wieder auflebt. Seine Philosophie hatte großen Einfluss auf Leib- und Bewegungstherapien sowie die Sozial- und Humanwissenschaften.
Durch seine Verbindungen zu Sartre wird er von manchen zur Existenzphilosophie gezählt. Davon unterscheidet sich Merleau-Ponty jedoch: er lehnte die Definition von Existenz als absolut oder isoliert ab. Das Hauptaugenmerk seiner Arbeiten liegt auf der Rolle des menschlichen Leibes, über den sich der Mensch selbst erfährt und die Welt erlebt.
„Die Wahrheit bewohnt nicht bloß den inneren Menschen. Denn es gibt keinen inneren Menschen. Der Mensch kennt sich allein in der Welt.“
Merleau-Ponty hat im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen ein überschaubares Leben geführt. Sehr ungewöhnlich, denn die französischen Philosophen und Literaten jener Zeit exponierten sich gerne.
„Die Philosophie ist überall, selbst in den ,Tatsachen‘ – und nirgends hat sie einen Bereich, in dem sie von der ansteckenden Wirkung des Lebens verschont bliebe.“
Merleau-Pontys Leben & Person
In seinen wenigen biografischen Daten finden sich keine Skandale, keine Drogenexzesse, keine Reisen, kein Nobelpreis und wenig Liebschaften.
Er wurde oft als still und in sich gekehrt beschrieben. Generell scheint er wieder in seiner Philosophie noch im Privaten Extreme geschätzt zu haben. Sein Elternhaus war katholisch geprägt und von gutbürgerlichem Stand. Die meisten seiner Vorfahren hatten angesehene Berufe ergriffen, wie Arzt oder Offizier.
Merlau-Ponty & die erste Liebschaft
Merleau-Ponty studierte auf Frankreichs Eliteschule und zählte schnell zu den Besten. Hier lernte er auch Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre kennen. Mit ihnen geht er eine enge Freundschaft ein, gleichzeitig trennt die drei eine grundlegende Haltung zum Leben: während die Existentialisten sich nach dem tätigen, wirklichen Leben sehnen, findet Merleau-Ponty seine Leidenschaft in der denkerischen Tätigkeit. Vgl. auch Was ist Existenzialismus?
Über de Beauvoir lernte Merleau-Ponty die junge Elisabeth kennen, sie wird in den Dokumenten aber oft Zaza genannt, mit der er eine ernsthafte Liebesbeziehung unterhielt. Doch als die Beziehung intensiver wird und Heiratsideen aufkommen, schalten sich Elisabeths wohlhabende Eltern ein.
Die hätten zwar Merleau-Pontys Mittellosigkeit akzeptiert, doch konnten seine uneheliche Herkunft nicht hinnehmen. Darum verboten sie ihrer Tochter, sich mit Merleau-Ponty zu treffen.
Dummerweise ließen sie ihre Tochter im Unklaren, warum Merleau-Ponty nicht als Ehemann infrage kam. Er selbst wurde informiert, geriet in tiefe Bestürzung und hatte große Angst, der Skandal könnte verbreitet werden. Irgendwie schaffte es der junge Mann, sich mit ihren Eltern zu versöhnen, unter der Bedingung auf das Mädchen zu verzichten.
Letztendlich erkrankte Elisabeth an einer seltsamen Krankheit: hohes Fieber, Delirium, extreme Gewichtsabnahme. Sie war in verschiedensten Kliniken, wo sie im Wahn nach Merleau-Ponty rief. Innerhalb von ein paar Wochen verstarb sie. Merleau-Ponty war nicht nur betroffen, sondern kämpfte mit extremen Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen.
Auch Merleau-Pontys offizieller Vater war Offizier und so selten anwesend, dass seine Mutter jahrelang eine öffentliche Beziehung mit einem Universitätsprofessor unterhalten konnte. Er selbst und seine jüngere Schwester entstammten dieser Beziehung, nur sein älterer Bruder war ein leiblicher Sohn des gesetzlichen Vaters.
Diese Dinge waren stadtbekannt. Bei öffentlichen Festen saß seine Mutter neben dem Professor und seiner Ehefrau. Zudem soll sich der leibliche Vater liebevoll um seine außerehelichen Kinder bemüht haben. Von all dem erfuhr Merleau-Ponty aber erst in späteren Lebensjahren, angeblich unter traumatischen Umständen.
Als der spätere Philosoph 3 Jahre alt ist, stirbt sein offizieller Vater und die Familie zieht um. Von da an entwickelt sich eine enge Bindung zur Mutter und zur jüngeren Schwester, die Zeit seines Lebens anhalten sollte.
„Die Philosophie ist überall, selbst in den ,Tatsachen‘ – und nirgends hat sie einen Bereich, in dem sie von der ansteckenden Wirkung des Lebens verschont bliebe.“
Ehe, Arbeit und plötzlicher Tod
Viele Jahre später, im Jahr 1940, heiratete er seine Frau Suzanne, eine Psychoanalytikerin. Außerdem gründete er zusammen mit Sartre eine geheime Widerstandsgruppe. Auch nahm der sonst so zurückhaltende Merleau-Ponty an einer bewaffneten Demonstration gegen die Nazis während der Befreiung von Paris teil.
Von 1949 bis 1952 war er Professor für Kinderpsychologie und Pädagogik. Hier setzte er sich intensiv mit der zeitgenössischen Psychologie auseinander und forderte, das kindliche Bewusstsein als etwas Eigenständiges anzusehen, anstatt Kinder als kleine Erwachsene mit den Empfindungen eines Erwachsenen zu verstehen.
1953 starb seine Mutter. In der Folge geriet der 45-jährige Merleau-Ponty in eine Schaffenskrise: er publizierte weniger. Zu Beauvoir soll er gesagt haben, daß er nun mehr als zur Hälfte selbst tot sei.
Merleau-Ponty selbst starb im Jahr 1961 mit nur 53 Jahren. Ein plötzlicher Schlaganfall, während er einen Kurs zu Descartes vorbereitete. Merleau-Ponty wurde bei seiner Mutter auf dem Pariser Friedhof begraben.
Merleau-Pontys Leibphilosophie
Merleau-Ponty hat sich natürlich stark mit Husserls Phänomenologie auseinandergesetzt. Doch im Gegensatz zu Husserl und Heidegger möchte er einen 3. Weg bieten, um den essenziellen Zusammenhang des menschlichen Daseins und der Welt aufzudecken. (Vgl. auch Phänomenologie Definition)
Er glaubte nicht daran, dass ein Mensch sich vollkommen von seinen vorbewussten Annahmen lösen könne. Eine vollständige Reduktion, wie Husserl sie gefordert hatte, hielt er für utopisch. Merleau-Ponty sieht den Grundzustand des Menschen nicht in einem intentionalen Bewusstsein (Husserl) oder im Dasein (Heidegger), sondern in der Leiblichkeit.
Der Leib ist nach Merleau-Ponty im Zwischenbereich von Ich und Welt angesiedelt. Er besitzt eine grundsätzliche Ambiguität bzw. Doppeldeutigkeit:
„Der Mensch steht der Welt nicht gegenüber, sondern ist Teil des Lebens, in dem die Strukturen, der Sinn, das Sichtbarwerden aller Dinge gründen.“
Der Leib ist deshalb für Merleau-Ponty doppeldeutig, weil er weder reines Ding (Physis) noch reines Bewusstsein (Psyche) ist. Der Leib bezeichnet in Merleau-Pontys Phänomenologie gerade nicht den Körper, den Physiologen und Verhaltenswissenschaftler untersuchen, sondern ist Sitz der Aktivität, Willensbildung und Stimmung.
Im Alltag nimmt der Mensch seinen Leib als Teil des Raumes wahr. Merleau-Ponty behauptet jedoch das Gegenteil:
„Endlich ist mein Leib für mich so wenig nur ein Fragment des Raumes, dass überhaupt kein Raum für mich wäre, hätte ich keinen Leib.“
Im Klartext: Weil der Mensch seinen Leib ist, hat er auch Raum – nicht andersherum.
„Die Welt der Wahrnehmung, das heißt die Welt, die sich uns durch unsere Sinne und durch die Lebenspraxis erschließt, scheint uns auf den ersten Blick bestens bekannt zu sein, da es keines Instruments und keiner Berechnung bedarf, um Zugang zu ihr zu haben, und es uns dem Anschein nach genügt, die Augen zu öffnen und uns dem Leben zu überlassen, um sie ergründen zu können.
Doch trifft dies nur dem Anschein nach zu. Die Welt der Wahrnehmung bleibt in hohem Maße von uns unerkannt, es bedurfte viel Zeit, Anstrengung und Kultur, sie freizulegen, und es gehört zu den Verdiensten der Kunst und des Denkens der Moderne, uns diese Welt, in der wir leben, und die wir doch ständig zu vergessen geneigt sind, wiederentdecken zu lassen.“
Der Leib ist bei Merleau-Ponty die Vermittlungsinstanz
zwischen mentalem Geist und physischem Körper. Die Leiblichkeit ist daher die dritte Dimension des Menschen, die ihn zusätzlich zu Geist und Körper konstituiert.
Doch ist der Leib Einheit, dann lässt er sich nicht in Schichten und Instanzen zerteilen, denn nur das Ganze erzeugt Wesen und Sinn. Dadurch wird jede Trieb- und Kausalpsychologie unzulänglich. Stattdessen solle menschliches Verhalten nicht auf Komplexe und Triebe reduziert werden, sondern als Positionierung zum Leben.
„Der Leib vereinigt uns (. . .) direkt mit den Dingen (. . .): die sinnliche Masse, die er selber ist, mit der Masse des Empfindbaren, aus der er durch Ausgliederung hervorgeht und für die er als Sehender offen bleibt.“ („Das Sichtbare und das Unsichtbare“, 1964)
Merleau-Ponty in der heutigen Rezeption
Im Vergleich zu seinen Zeitgenossen hat Merleau-Ponty nie eine große Reichweite besessen. Immerhin nimmt seine Rezeption wieder zu, wenn es um die Kritik am Leib-Seele-Dualismus geht. Vor allem Körperpsychotherapie (auch Leibtherapie), Embodiment-Kognitionswissenschaften und integrative Bewegungstherapie schöpfen aus seinem Gedankenschatz.
„Der Mensch steht der Welt nicht gegenüber, sondern ist Teil des Lebens, in dem die Strukturen, der Sinn, das Sichtbarwerden aller Dinge gründen.“
(Das Sichtbare und das Unsichtbare)

„Endlich ist mein Leib für mich so wenig nur ein Fragment des Raumes, dass überhaupt kein Raum für mich wäre, hätte ich keinen Leib“
- Merleau-Ponty: Philosophie der Wahrnehmung
„…die gesehene Welt ist nicht 'in' meinem Leib, und mein Leib ist letztlich nicht 'in' der sichtbaren Welt:
als Fleisch, das es mit einem Fleisch zu tun hat, umgibt ihn weder die Welt, noch ist sie von ihm umgeben. […]
Es gibt ein wechselseitiges Eingelassensein und Verflochtensein des einen ins andere.“
- Merleau-Ponty

„Es gibt keinen Schein ohne Erscheinung,
… jeder Schein ist das Gegenstück einer Erscheinung.“
– Merleau-Ponty