
Harriet Taylor Mill
(1807 – 1858)
Von: Die Inkognito-Philosophin
Harriet Taylor Mill
Philosophin, Partnerin & Co-Autorin
Harriet Taylor Mill verkörpert eine außergewöhnliche Synthese von Theorie und Praxis, Intellekt und Lebensrealität. Ihre Beziehung zu John Stuart Mill ist durchdrungen von tiefen Reflexionen über Emanzipation und Freiheit – Themen, die für beide von zentraler Bedeutung waren.
Die Engländerin setzte sich vehement gegen die Unterdrückung der Frauen in sämtlichen Aspekten und historischen Ausprägungen ein.
Ihr Werk, das lange Zeit, wie selbstverständlich ihrem Ehemann John Stuart Mill zugeschrieben wurde, zeugt von einem selbstbewussten und revolutionären Geist, der für jene Zeit bemerkenswert war.
Vgl. Philosophinnen und 12 bekannte Philosophinnen
Zitate von Harriet Taylor Mill
„Instinkt nennen wir alle Regungen in uns, wofür wir keine vernünftigen Beweggründe aufzufinden vermögen.“
„Verwehrt man einem tätigen, energischen Geiste die Freiheit, so wird er nach Macht suchen.“
Leben und Herausforderungen
1807 in London geboren, wird Harriet Hardy schon als 18-Jährige mit John Taylor verheiratet, einem 21 Jahre älteren Geschäftsmann, mit dem sie 3 Kinder haben wird (Herbert, Algernon und Helen).
Die ersten Jahre verliefen harmonisch, doch um 1830 klagte Harriet über eine Entfremdung. Ungefähr zur gleichen Zeit lernte sie den jungen Philosophen John Stuart Mill kennen. Auch er ist von der 22-jährigen Harriet hin und weg. Anfangs war die Freundschaft platonisch, doch bald begannen sie, sich in ihren Briefen mit Kosenamen anzusprechen.
Ihr Ehemann tolerierte lange die Beziehung.
Ein unerhörtes Verhältnis
Mitte der 1840er Jahre zog sich das Paar aufgrund des öffentlichen Geredes weitgehend aus dem sozialen Leben zurück – im viktorianischen Zeitalter war das schließlich ein unerhörtes Verhältnis und eine Scheidung für Harriet undenkbar.
Sie suchten Zuflucht in gemeinsamen Reisen nach Italien, in die Schweiz und nach Frankreich, u. a. weil beide an gesundheitlichen Problemen litten. John kämpfte mit einer Art von Unruhe und Nervosität, während Harriet Anzeichen von Tuberkulose zeigte und an Schmerzen an der Wirbelsäule litt, die zu kurzen Lähmungserscheinungen führten.
Als Harriets Ehemann John Taylor 1849 schwer erkrankte, stand Harriet dem Kranken in einem letzten Akt der Loyalität bei und pflegte ihn bis zu seinem Tod.
Heirat und früher Tod
2 Jahre später, nach mehr als 21 Jahren seit ihrer ersten Begegnung, wurde Harriet Taylor zu Harriet Taylor Mill. Ihre Eheschließung ging als kraftvolles feministisches Statement in die Geschichte ein: in ihrem Ehegelöbnis äußerten sie einen »formalen Protest gegen die bestehenden Ehegesetze«.
Im Jahr ihrer Hochzeit erschien das Werk „The Enfranchisement of Women“, das Harriet zugeschrieben wird und die Gedanken und Diskussionen über Geschlechtergerechtigkeit und die gesellschaftliche Rolle der Frauen beleuchtet. Auch an den anderen wirkmächtigen Schriften The Subjection of Women (1859), zur politischen Ökonomie (Principles of Political Economy, 1848) und über Freiheit (On Liberty, 1869) war sie aktiv beteiligt.
Doch ihr Glück wurde von Krankheit überschattet: Beide litten in dieser Zeit unter Schwindsucht. Letztlich starb Harriet 1858/59 in Frankreich an Tuberkulose.
Bis heute rätselt die Forschung, wer von beiden mehr zu den gemeinsam erarbeiteten Schriften beigetragen habe.
John Stuart Mill formulierte es in seiner Autobiografie folgendermaßen:
„Wenn zwei Personen in ihrer Denkweise und in ihren Spekulationen vollkommen übereinstimmen, (…) wenn sie von denselben Prinzipien ausgehen und durch gemeinsam verfolgte Prozesse zu ihren Schlüssen gelangen, so ist es hinsichtlich der Originalitätsfrage von geringem Belang, wer von ihnen die Feder führt.“
Zitate von Taylor Mill
„Der Eifer der Menschen, die Natur einzuengen, aus Furcht, dieselbe könne, sich selbst überlassen, ihre Zwecke nicht erfüllen, ist ein sehr überflüssiger.“
„Es scheint diesen großen Unterschied zwischen der Naturwissenschaft und der Moralwissenschaft zu geben. Während der Grad der Perfektion, den die Naturwissenschaft erreicht hat, durch die fortschreitende Vollständigkeit und Genauigkeit ihrer Regeln gekennzeichnet ist, ist die Moralwissenschaft in einem Zustand, der am günstigsten und am gesündesten ist, da sie über alle Klassifizierungen hinausgeht, außer auf der Grundlage der umfassendsten und allgemeinsten Prinzipien. Die Moralwissenschaft sollte eher als Kunst bezeichnet werden….“
Werk & Wirken
Zu Lebzeiten wurden selbst Texte, die eindeutig von ihr stammen, wie der Aufsatz „Über Frauenemanzipation“ (1851), oft ihrem zweiten Ehemann zugeschrieben. Heute erkennt man jedoch allgemein an, dass das Ehepaar Taylor und Mill eng zusammengearbeitet hat, auch an den Werken, die nur unter dem Namen von John Stuart Mill veröffentlicht wurden.
Und das, obwohl Mill selbst bereits in der Einleitung seines renommierten Werkes hervorhebt:
„Gleich allem, was ich seit vielen Jahren geschrieben habe, ist diese Schrift ebenso sehr ihr Werk als das meinige.“ Das gilt sicher auch und in besonderem Maße für das erst nach Taylor Mills Tod veröffentlichte und für das Jahrhundert radikal feministische Werk „Die Hörigkeit der Frau”“
Ein Leben für die Gleichberechtigung
Die heutige Forschung ist sich, nicht zuletzt wegen der Intensität der Argumentation, weitgehend einig, dass der Text über die Frauenemanzipation hauptsächlich von Harriet verfasst wurde.
In historischer Rückschau betont Taylor Mill, dass die Unterdrückung der Frauen konstant geblieben ist; was sich gewandelt hat, sind lediglich die Begründungen und Weltanschauungen, die zu ihrer Benachteiligung herangezogen werden. Taylor Mill hebt hingegen nicht nur Bildung, Zugang zum Berufsleben und politische Rechte hervor, sondern auch das Ideal einer gleichberechtigten Ehe.
„Obgleich es nach meiner Einführung Jahre anstand, ehe meine Bekanntschaft mit Mrs. Taylor eine vertrauliche wurde, fühlte ich doch sehr bald, dass sie die bewundernswürdigste Person war, mit der ich je in Berührung gekommen war … Für ihren äußeren Kreis war sie die geistvolle Schönheit mit einem Zug von natürlicher Distinktion, der von allen gefühlt wurde, welche ihr nahe kamen, für den inneren ein Weib von tiefem, starkem Gefühl, einem eindringenden, schnell auffassenden Verstand und hervorragend beschaulichem, poetischem Wesen.“
Zitat von Taylor Mill
„Jeder Mensch hat ein Recht auf alle persönliche Freiheit, die das Glück eines anderen nicht beeinträchtigt.“
„Im gegenwärtigen System von Gewohnheiten und Meinungen treten die Mädchen ahnungslos über seine Bedingungen in das ein, was man einen Vertrag nennt, und dass sie so sind, wird als absolut wesentlich für ihre Eignung angesehen.“
„Es liegt daher im Interesse nicht nur der Frauen, sondern auch der Männer und des menschlichen Fortschrittes im weitesten Sinne, daß die Emanzipation der Frauen, welche die moderne Welt sich oft rühmt bewirkt zu haben … nicht auf der Stufe stehen bleibe, auf der sie sich jetzt befindet.“
John Stuart Mill litt an Depressionen
Mit 20 Jahren hatte John Stuart Mill eine schwere Krise. Er beschrieb dies als «Zustand der Niedergeschlagenheit». Diese Depression im Jahr 1826 brachte ihn dazu, die strenge und akribische Erziehung seines Vaters zu überdenken und zu kritisieren.
Der Tod seines Vaters im Jahr 1836 führte zu einer zweiten schweren Depression. In dieser Zeit erkannte er, dass die freie Entwicklung der Persönlichkeit, die er als «innere Kultur des Individuums» bezeichnete, für ihn bedeutungsvoll war.
Die genauen Ursachen von Mills Depression sind unklar. Er selbst führt seinen Zustand auf Überarbeitung zurück. Manche Forscher glauben dagegen, dass die Probleme durch seine schwere Jugend unter dem Joch des Vaters oder dem Zeitgeist zuzuschreiben sind. Andere vermuten unterdrückte Todeswünsche seinem Vater gegenüber und den damit verbundenen Schuldgefühlen. Wieder andere gehen so weit, hier einen klassischen Ödipuskomplex erkennen zu wollen.
Solche Interpretationen sind allerdings ziemlich spekulativ …
Laut seiner eigenen Aussage therapierte Mill seine 1. Depression mithilfe der Bibliotherapie:
„Ich las zufällig Marmontels ‚Mémoires‘ und stieß auf die Passage, die vom Tod seines Vaters berichtet, von der betrübten Lage der Familie und von der plötzlichen Eingebung, durch die er, damals noch ein Junge, fühlte und ihnen das Gefühl gab, dass er ihnen alles bedeuten würde – dass er alles ersetzen würde, was sie verloren hatten.
Eine lebhafte Vorstellung der Szene und der damit einhergehenden Gefühle überkam mich, und ich war zu Tränen gerührt. Von diesem Augenblick an wurde meine Last leichter.
Der bedrückende Gedanke, dass alle Gefühle in mir tot seien, war verschwunden. Ich war nicht länger hoffnungslos […] Erlöst von meinem allgegenwärtigen Gefühl unabänderlichen Elends […]
So verzog sich die Wolke allmählich, und ich genoss das Leben wieder: und obwohl ich mehrere Rückfälle hatte, von denen einige viele Monate andauerten, war ich nie wieder so elend wie zuvor“
Von da an beschäftigte er sich mit Literatur, Poesie und Kunst. Weitaus wichtiger dürfte allerdings gewesen sein, dass sich Mill in Harriet verliebte.
Harriets Diffamierung vor & nach ihrem Tod
Selbst langjährige Freunde wandten sich empört von dem Paar ab, weil sie das Verhältnis als unmoralisch empfanden. Viele, die John Stuart Mill bewunderten, hielten Harriet Taylor für das größte Unglück in seinem Leben. Viele hielten Mill für fehlgeleitet:
Blind vor Liebe hätte er seine Frau idealisiert und ihren Einfluss übertrieben.
Andere glaubten, Harriet habe den naiven jungen Mann verführt und mit ihren sexuellen Reizen hörig gemacht.
Spätere Autoren behaupteten sogar, dass Mill nach dem Tod seines tyrannischen Vaters eine neue Eltern-Autorität in Harriet fand, der er sich unterwerfen konnte.
Neue Anerkennung
Die heutige Forschung betrachtet Harriet Taylor Mill zunehmend als eine einflussreiche Denkerin und Mitgestalterin von John Stuart Mills Ideen. Sie wird nicht nur als seine Frau, sondern als aktive Intellektuelle wahrgenommen, die in vielen seiner Werke einen prägenden Einfluss hatte und teils auch selbst die Feder führte.
Darüber hinaus hinterfragt die moderne Forschung weitgehend die früheren Bewertungen, die ihr einen negativen Einfluss auf Mill unterstellten. Stattdessen wird ihre Partnerschaft als Beispiel für eine gleichberechtigte intellektuelle Beziehung betrachtet.