Brief an das Pack der Sonne

Liebste Sonne,

warum zieh‘ ich dir nicht den Stecker aus, wenn du mir die Haut abziehst? Vielleicht, weil ohne dich der Mond nicht mehr lächeln dürfe?

Ich liebe dich nur um des Missbrauchs willen.

Wegen mir kannst du für immer (unter-)gehen.

Die Ohnmacht aller Honiglecker macht dich stark. Die Nacht hingegen gleitet mir durch die Hände wie billige Seide, ich musste aber schon mit weniger auskommen.

Jeder Mondschein füllt mich hohles Stundenglas aus, nur er kennt deshalb all meine Geheimnisse. Und wenn für mehrere Wochen der ununterbrochene Regen fällt! Ach! Wie lebendig ich mich fühlen darf und wie er die anderen wahnsinnig macht, dich eingeschlossen, wenn die Wolkenlegion ihre Schilde gegen dich aufstellt, wie sehr ich das liebe.

Alles Triste, alles Vermaledeite, Paroxysmale, das ALLES scheint wie für mich gemacht oder habe ich meinen Weg zu ihnen gefunden?

Im Verborgenen streife ich, ungesehen, AMA NESCIRI, kommt mir ja nicht zu nahe.

Lasst mich doch mein lästiges Monodram zu Ende spielen, bevor ich euch konforme Figurinen samt der brüchigen Bühne in dulci jubilo verbrenne, während ich mit einem trotzigen Lächeln in Flammen aufgehe und ihr vor heißer Luft euren Todesschrei nach Leben ersticken müsst.

Cave homini, nicht?

Er ist das Übel in der irdischen Schönheit, der letzte unfruchtbare Keim in der Blüte dieses dünnwurzligen Lebens. So unbeholfen wie er ist unter deinem Regime, liebste Sonne, und doch schafft er es immer wieder, sich selbst den Arsch zu versohlen oder sich die Kugel zu geben. Schädlicher als die Insekten im Edaphon, die er so voller Ekel abzutöten versucht.

Endlich, endlich, dachten wir, wir hätten eine neue Chance verdient, so flößte man uns das ein. Was sich geändert hat, ist der Ort. Wir sind immer noch dieselben Versuchskaninchen, nur dass wir jetzt mit ganzer Sicherheit beteuern können, dass unsere Herren keine Götter sind, aber sich wegen deiner falschen Erhabenheit für göttlich halten, liebste Sonne.

 

WAHNSINN

Wie soll man auch nicht wahnsinnig werden, bei all den abermilliarden Sternen, die sich in irgendeinem willkürlich gezeichneten, kosmischen Koordinatensystem rumtummeln, die einem nachts bis in die Puppen, wenn keiner hinhört, unvermittelt vermitteln: ja, du bist ziemlich klein, gleichsam im Norden ein kleiner Keim, du bist geschlossen, wir sind entfaltet, frei. Du siehst alles, wir sehen das Nichts obendrein. Und wenn’s erlischt, dein süßes Lichtlein, brennen wir noch immer munter weiter, weil unser Tod einen Sinn hatte, während du abrutschen musstest, vom Buckel lebenslanger Pein.

Wie komisch das Lebenlassen doch ist, so als Schnurrpfeiferei im unendlich großen kosmischen Regal. Denke man sich aber den neuronalen Vernichtungsschmerz weg, so ist man ein Schnappschuss, ein schlaksiges Schattenspiel, eine Schachfigur, genauer, ein Springer, der zwischen zwei scheiß Stellen springt und dann aus dem Spiel geschoben wird.

Wer beruft sich jemals a la longue auf diese großen Vapeurs? Niemand, nein, ein Niemand, also der Mensch.

 

PLUVIOPHILIE

Hatte ich in einem Moment einen gewaltigen Koller, gerierte mich voller Zorn gegen sie, ihn oder mich selbst, sodass ich mir einen Spiegel übers Ohr haute und mein Gesicht mit den Scherben blutig einrieb, so war ich im nächsten Moment seelenruhiger und gelassener als ein Toter. Jählings erlag die Hysterie diesem Grau.

Dieses regnerische Eigengrau, welches im Mondlicht so stolz schimmerte. Der Regen knipste sie aus. Versteinert wie eine Karyatide, mein Himmelsdach aushaltend, hörte ich diese lebensschenkenden Tröpfchen aus dem gelobten Himmel singen, auf das Dach, links neben mir auf die Balkondächer, vor mir auf ein Gartenhaus. Überall im Körper zog mich der Regen in den Bann, verflüssigt mich und gleichzeitig entzog es mir schädliche Gefühle. Und sollte ich einmal fallen, werde ich den Regen nicht mehr fallen spüren, denn ich werde der Regen gewesen sein.

Das Vergangene wird seine Macht an mich verschwenden, ich blase mit dem letzten Atemzug meine Macht über den Tod jenen herbei, den ich ein Leben lang mitführte. Den persönlichen, kleinen Kosmologismus belegt der Regen, wie in der stillen Nacht tausende Tropfen nach einem langen Weg auf einmal kurz den Boden küssen und für immer verschwinden, das macht glücklich.

Die Kühle streifte zunächst den Nacken, das Petrichor stieg hoch in die Nase, dann schüttete es, stärker und noch mehr. Ich hätte vor Glückseligkeit schreien können – und alles wäre erstickt vom schönsten Regen, vom engsten Freund.

 

KURZER AVIS

Eins sage ich euch, ihr Flitzpiepen: zu leben heißt zu tanzen mit dem Tod. Der eine liebt es, kann es nicht lassen, der andere ermüdet langsam und ersinnt sich besonnen der Schritte zurück. Der Letzte bricht sich lieber das Genick als noch einen Schwung zu machen.

 

PLUVIOPHILIE, DIE ZWEITE

Der Regen setzt ein… lieber Regen, schon wieder bade ich in deinen Freudentränen und wasche meine manierierten Masken auf deinem Schoß, schon lange gleicht jede Maske der anderen, alle mit demselben Schmutz besudelt und so entblöße ich nur dir mein Gesicht, dieses hässliche Gesicht, das sich am Sein in Moll auffrisst. Ich liebe dich so sehr, nur dich kann ich ewig lieben, ich liebe dich, wie ein entfremdeter Fremder einen Fremden nur lieben kann.


Knut Calmund

K. C. ist Philosoph, selbst von Depressionen betroffen und verarbeitet seine Erfahrungswelt unter dem Pseudonym Knut Calmund in besonders eindrücklichen Worten. Er ist Autor des Buches: Die Vögel singen sowieso

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