Depression bei Männern: Wut auf Partner – Vorwürfe & Streit
Leiden Männer an Depressionen, entfesselt sich häufig eine gewaltige Wut, die sich oft gegen die Partner richtet. Die Gründe für dieses aggressive Verhalten von depressiven Männern liegen in Gefühlen von Überlastung, Angst und Verzweiflung.
Männer-Depressionen sind ausgeprägt und oft verkannt
Depressive Männer sind im Vergleich zu Frauen auffällig aggressiv. Vor allem ihren Partnerinnen oder Partnern gegenüber können sie sehr wütend und vorwurfsvoll werden.
Experten gehen davon aus, dass Depressionen bei Männern häufig unentdeckt bleiben. Die Gründe sind vielfältig: Männer zeigen nicht unbedingt die klassischen Symptome wie Traurigkeit und Antriebslosigkeit. Jedenfalls nicht sofort.
Stattdessen wirken sie lange Zeit gereizt, rastlos / agitiert, neigen vermehrt zum Konsum von Drogen / Alkohol oder flüchten sich in exzessive Betätigungen. Hinzu kommt, dass es vielen Männern schwerer zu fallen scheint als Frauen, sich Hilfe zu suchen und Unterstützung anzunehmen.
Die Versuchung ist groß, das alles auf Rollenklischees zurückzuführen („Der starke Mann“). Sicherlich spielt die Sozialisierung hier mit hinein, doch ich glaube nicht, dass sich hier „nur“ um männliche Stereotype handelt. Vielmehr sind Aggressionen eine menschliche Reaktion auf Überlastung und Angst in einer Depression.
Male Depression vs. female Depression
Die Unterscheidung der Symptome nach Geschlecht soll helfen, Depressionen bei Männern leichter zu identifizieren. Denn obwohl viele die üblichen Anzeichen einer Depression aufweisen, werden diese häufig durch Aggressivität und Risikoverhalten maskiert.
In ca. 50 % aller Depressionsfälle ist eine erhöhte Reizbarkeit vorhanden. Natürlich können auch depressive Frauen ein aggressives Verhalten an den Tag legen (vgl. Depression bei Frauen: Symptome). Und nicht jeder depressive Mann muss auffällig gereizt sein. Doch rein tendenziell zeigen eher Männer Wut-Symptome bei Depressionen (6).
Wut-Symptome bei depressiven Männern
schnell gereizt
kämpferisches Verhalten
Wut-Anfälle
tlws. Gewaltausbrüche
geringere Selbstkontrolle
geringe Stressresistenz / gesteigertes Stressempfinden
allgemeine Unzufriedenheit
impulsive, vorschnelle Handlungen (Kündigung, Trennung vom Partner)
Wie verhalten sich depressive Männer?
Viele Depressive reagieren sensibel auf Kritik und kommen dadurch schnell an ihre Grenzen. Wenn man sich vor Augen führt, was da in einem Menschen vorgeht, versteht man auch, warum: Bin ich ständig von einer latenten depressiven Grundstimmung beherrscht, führt das langfristig zu starken Anspannung. Da würden selbst dem Dalai Lama der geringfügigste Anlass reichen, um vor lauter Überforderung und Stress in einen Wutanfall zu geraten.
In der Fachliteratur ist zu lesen: depressive Männer wären oft nachtragend und fänden schwerer zu einer versöhnlichen Haltung zurück. So bleibt die Atmosphäre dauerhaft geladen. “Nachtragend” ist hier eine irreführende Beschreibung: die Betroffenen fühlen sich verletzt und enttäuscht, das trifft es eher.
Die Aggression zeigt sich vor allem gegenüber dem Lebensgefährten oder der Lebensgefährtin in Momenten, in denen sich die Betroffenen unfair behandelt fühlen. Nicht selten geben Betroffene ihrer Partnerin oder ihrem Partner die Schuld an ihrer Niedergeschlagenheit, haben Selbstmitleid und tendieren zu Vorwürfen. Doch mit dem Fortschreiten der psychischen Erkrankung treten auch bei Männern die klassischen Anzeichen einer Depression immer deutlicher zutage, darunter anhaltende Schwermut, Verlust von Interesse und Freude (Anhedonie) und Konzentrationsprobleme. Zudem tritt die depressive Antriebslosigkeit bei Männern erst in fortgeschrittenen Stadien auf.
Exzessives Verhalten als Indiz
Viele Menschen, die an Depressionen erkranken, versuchen lange Zeit, die negativen Gedanken und Gefühle zu verdrängen und sich abzulenken. Depressive Männer neigen hier – laut Studien – zu einer maximalen Verausgabung, also exzessivem Verhalten:
sehr häufiger Geschlechtsverkehr, auch mit wechselnden Partner_innen
Überstunden auf der Arbeit
übertriebenes Sporttraining
Drogen und Alkohol etc.
exzessives Kaufverhalten
Angeberei mit Statussymbolen wie Auto, teure Uhren etc.
exzessiven Konsum von Medien
starke Risikobereitschaft (dazu zählen auch unüberlegte Entscheidungen, wie Kündigung oder Trennung)
Körperliche Symptome bei Männern können sein
rasche Erschöpfung, Müdigkeit
Schlafstörungen
Magenprobleme
Appetitlosigkeit
Rückenschmerzen, Kopfschmerzen
Libidoverlust
bei Wutausbruch oder Panikattacken auch: Herzrasen, Schwindel und Atemnot
Ursachen für Wut bei Männern mit Depressionen
Geschlechtsspezifische biologische Stressreaktion
Laut einem Bericht des SWR (5) produzieren Männer unter Stress neben Adrenalin vermehrt Vasopressin, ein Hormon, das in Verbindung mit aggressiven und defensiven Verhaltensweisen steht.
Entsprechend neigen sie evtl. eher zur Wut, vermuten die Autoren. Ob das wirklich so ist, wissen wir schlichtweg nicht. So oder so, diese Erklärung ist zu einseitig.
Männliche Rollenklischees
Viele Experten sehen die Ursache in Rollenklischees, also gesellschaftlich geprägten und von Kindheit an erlernten Verhaltensweisen in der Bewältigung emotionaler Probleme. Männer tendieren dazu, weniger über belastende Emotionen wie Kummer oder Hoffnungslosigkeit zu sprechen. Hinzu kommt der Einfluss veralteter Stereotype.
Gegen diese Theorie spricht allerdings, dass sehr viele Menschen mit Depressionen „nicht nur die höchste Selbstaggressivität, sondern zugleich auch die höchste externalisierte Aggressivität in Form von reaktiver und spontaner Aggressivität“ (3) aufweisen. Sicher wird die Wut bei Männern durch Rollenklischees befeuert, doch sie sind nicht der Auslöser oder Ursprung für aggressives Verhalten.
Autoaggressionen
Ein weiterer Ansatz kommt aus der Tiefenpsychologie. Demnach ist Wut bei Depressionen eigentlich gegen die eigene Person gerichtet. So ist es möglich, gesellschaftlich nicht akzeptierte Verhaltensweisen anderen Menschen gegenüber zu vermeiden. Diese unterdrückten Emotionen sind im Unterbewusstsein aktiv und brechen irgendwann aus.
Auch gegen diese einseitige Theorie gibt es schlagende Argumente:
Untersuchungen zeigen, dass depressive Männer ihre Aggressionen häufiger nach außen richten, statt sie in sich hineinzufressen. Die Theorie kann also, wenn überhaupt, nur auf einen kleinen Teil der Patienten zutreffen.
Gemäß gängigem Rollenbild ist offene Wut bei Männern durchaus gesellschaftlich akzeptiert.
Nicht jede Depression hat ihre Ursache in unterdrückten Gefühlen, das ist eine stark verkürzte, eindimensionale und vorurteilsbehaftete Sicht.
Angst und Kontrollverlust
Bei Dr. Gumpert (4) ist zu lesen, dass auch Stimmungsschwankungen der Auslöser von Aggressionen sein können, weil Betroffene die Fähigkeit zur Emotionsregulation einbüßen. Zudem ist die Angst, verrückt zu werden und die Kontrolle zu verlieren, gewaltig. Wird die depressive Angst von anderen nicht erkannt, geraten depressive Menschen oft in Situationen, die ihnen bedrohlich erscheinen.
Dieser Erklärung trifft einen wichtigen Punkt: Der Körper spielt verrückt (Vgl. Körperliche Symptome bei Depressionen), Betroffene sind unglaublich kraftlos und fürchten, jeden Moment zusammenzubrechen. Die ganze Außenwelt ist eine gewaltige Herausforderung und kaum zu ertragen. Kleinigkeiten überfordern komplett. Aus Selbstschutz reagieren viele aggressiv – die einzige Möglichkeit, um die kümmerlichen Kräfte zu mobilisieren und sich zu retten. Vgl. auch In der Depression: die Verfremdung der Lebenswelt
Gefühl der Fremdbestimmung & Frust
Weiterhin heißt es bei Dr. G.: „Als weiterer Aspekt von Aggressionen kann häufig die veranschlagte Therapie gelten, in der der Patient kein Nutzen sieht und sie deswegen ablehnt. Ärzte und Angehörige erwarten hierbei jedoch das strikte Einhalten der Therapie, was aus Sicht des Erkrankten zu einer scheinbaren Unmündigkeit führt und somit durch fehlende Stressbewältigung in Aggressionen führt.“ (4)
Diese Formulierung rückt die Selbsterfahrung bei Depressionen in ein falsches Licht, meine ich. Gerade die Hoffnungslosigkeit und die pessimistische Schwermut zählen zu den Symptomen der Depression. Warum ist das so überraschend? Und warum können Fachleute nicht damit umgehen, wenn das bekannt ist?
Ja, eine Psychotherapie v.a. am Anfang sehr anstrengend und beängstigend. Die äußeren Erwartungen der Angehörigen und Behandler üben Druck aus, weil sie tatsächlich allzu oft überzogen sind und zu viel in zu kurzer Zeit fordern. Das frustriert Betroffene natürlich. Wer würde sich da nicht wütend verteidigen? (In diesem Augenblick ist das eigentlich eine gesunde Reaktion)
Vgl. Leben mit depressiven Menschen – Depression als Familienkrankheit
Trauerreaktion auf den Verlust des alten Selbstbildes
Viel zu selten wird beachtet, dass die Situation selbst berechtigte Trauer hervorruft. (Chronisch) krank zu sein und nicht normal leben zu können, sind verdammt traurige Zukunftsaussichten. Man muss sich also vom alten Selbstbild verabschieden – und von Wünschen, Zukunftsvorstellungen, Träumen etc. Vgl. auch Depressionen als Verlust.
Diese Trauer muss erst einmal verarbeitet werden – und das funktioniert nicht in ein paar Wochen oder Monaten. Darum hat die Wut hier ihren natürlichen Platz als Teil des Verarbeitungsprozesses. Vgl. auch Depression: Aggressionen in 50 % aller Fälle
Vgl. Depressiver Partner zieht mich runter – Gründe & Tipps
Quellen:
1) Thom, J., Kuhnert, R., Born, S., & Hapke, U. (2017). 12-Monats-Prävalenz der selbstberichteten ärztlich diagnostizierten Depression in Deutschland.
2) neurologen-und-psychiater-im-netz.org: Reizbarkeit, Ärger, Sucht sind typische Depressionssymptome bei Männern
3) Stefanie Otte et al.: Sind depressive Menschen aggressive Menschen? Unterschiede zwischen Allgemeinbevölkerung und depressiven Patienten. Psychother Psychosom Med Psychol 2017; 67(01): 19-25. DOI: 10.1055/s-0042-120411
4) Dr. Gumpert: Aggression bei einer Depression
5) Astrid Wulf und Justina Bretzel: Depressionen bei Männern. Aggressiv und wütend – statt niedergeschlagen (SWR)
6) Lisa A. Martin et al: The Experience of Symptoms of Depression in Men vs Women. Analysis of the National Comorbidity Survey Replication. JAMA Psychiatry. 2013;70(10):1100-1106. doi:10.1001/jamapsychiatry.2013.1985