Kinderarmut & Scham – Auswirkungen auf das Leben von Kindern

Armut beeinflusst viele Aspekte im Leben von Kindern, angefangen bei ihrem physischen Wohlbefinden bis zu ihrer psychischen Gesundheit. Diese Auswirkungen erschweren die Schulbildung und soziale Interaktion, was in einen Teufelskreis der Benachteiligung mündet. Hinzukommt das Gefühl der Scham, das sich tief in das Selbstwertgefühl betroffener Kinder einnistet.

Dieser Artikel erschien im Rahmen meiner Arbeit bei der Kinder- und Jugendhilfsorganisation Deutsche Lebensbrücke

Woher die Scham kommt

Viele Kinder sind frühzeitig mit der Geldnot ihrer Familie konfrontiert und spüren die Sorgen ihrer Eltern. Sie bekommen direkt mit, wie beschämend es für ihre Eltern ist, arm zu sein, und lernen auch über gesellschaftliche Stereotype, dass arme Menschen ausgegrenzt werden.

Das Band zwischen Kindern und ihrer Familie ist stark. Daher sind Schuldzuweisungen an die Eltern eher selten. Stattdessen versuchen sie, die familiäre Belastungen zu verringern und die Familie zu verteidigen. In den meisten Fällen fühlen sich die Kinder verantwortlich und helfen mit, damit alle gemeinsam über die Runden kommen.

So erklärt sich zum Beispiel, dass manche betroffene Kinder keine Bedürfnisse äußern, keine Pläne schmieden oder über die Zukunft nachdenken möchten. Im Elternhaus haben sie gelernt, Enttäuschungen zu vermeiden oder sich mit eigenen Wünschen zurückzunehmen, um niemanden zu belasten.

 

Armutsstudien belegen, dass …

  • betroffene Kinder schon früh Erfahrung mit Beschämung aufgrund von Armut gemacht haben.

  • armutsbetroffene Familien sich aus Scham sozial zurückziehen oder ablehnend reagieren, wenn sie auf Armut angesprochen werden.

  • in unserer Gesellschaft arme Menschen und Kinder diskriminiert werden, oft unbewusst.

 

Wann entwickeln Kinder Schamgefühle?

Schamgefühle beginnen sich in der Regel in einem Alter zwischen 2 und 3 Jahren auszubilden. In dieser Phase machen Kinder bedeutende Fortschritte in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung. Ihnen wird zunehmend bewusst, wie sie von anderen wahrgenommen werden, und sie beginnen, Verhaltensnormen und soziale Erwartungen zu erkennen.

Wenn Kinder die Fähigkeit zur Selbstreflexion entwickeln, können sie Scham empfinden, wenn sie das Gefühl haben, nicht den Erwartungen oder Normen ihrer Umgebung zu entsprechen. Diese Gefühle können durch verschiedene Situationen ausgelöst werden, wie das Scheitern an einer Aufgabe oder das Wahrnehmen von Ablehnung durch andere.

 

Soziale Beschämung ist ein bewährtes Mittel

„Beschämung ist eine soziale Waffe der jeweils Mächtigeren“, schrieb die Armutskonferenz (1). Beschämung lenkt den Fokus auf Einzelpersonen und erklärt Armut zu ihrem persönlichen Versagen. Dadurch wird die eigentliche strukturelle Ursache in unserer Gesellschaft verdeckt. Denn, wenn die Schuld bei den Betroffenen gesucht wird, dient dies als Rechtfertigung dafür, dass Armut überhaupt existiert (Vgl. Was ist Armut?). Beschämung ist dazu gedacht, die Betroffenen zu erniedrigen und kleinzuhalten.

Es gibt zahlreiche Orte, an denen Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status strukturell und menschlich beschämt werden, wie am Arbeitsplatz, in medizinischen Einrichtungen, bei Behörden, in medialen Darstellungen usw.

Diese Art der Herabsetzung wird auch als Klassismus bezeichnet. Personen, die oft herabgesetzt werden, reagieren gestresst und werden viel häufiger krank. Viele Betroffene ziehen sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück, während andere mit wachsender Wut und Frustration kämpfen (2).

 

Wie Schamgefühle betroffene Kinder prägen

Kinder, die in Armut aufwachsen müssen, fühlen eine chronische Scham über ihre Lebensumstände und die daraus resultierende Stigmatisierung. Das führt langfristig zur sozialen Ausgrenzung: Viele betroffene Kinder berichten, dass sie sich alleine fühlen und Angst haben, von anderen verurteilt zu werden.

Aus der Kinder- und Jugendpsychologie wissen wir, dass Kinder, die sich schon in so jungen Jahren einsam und ausgegrenzt fühlen, nur schwer ein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln, resilient werden und soziale Kompetenzenaufbauen können.

Die soziale Isolation schmälert das Selbstvertrauen eines Kindes erheblich. Soziale Unsicherheit ist da nur eine natürliche Folge und kann sogar dazu führen, dass keine gesunden Beziehungen aufgebaut werden.

 

Was Scham mit Kindern macht

  • Niedriges Selbstwertgefühl

  • Angst und Rückzug

  • Aggression oder Trotz

  • Vermeidungsverhalten

  • Emotionale Probleme oder psychische Krankheiten

  • Beeinträchtigte Lernfähigkeit

  • Soziale Isolation

 

Auswirkungen der Armut auf das Leben von Kindern

Das Gefühl der Scham, das arme Kinder täglich begleitet, wirkt sich weitreichend auf ihr Leben aus. Es ist daher entscheidend, die Auswirkungen der Armut auf das Leben von Kindern genauer zu betrachten. Denn sie alle erzeugen und verfestigen toxische Schamgefühle.


1) Die materielle Dimension von Armut

Armut zeigt sich oft in den Lebensbedingungen, wie Wohnraum, Ernährung und Kleidung. So kann man Armut an schlechten Wohnverhältnissen erkennen: zu lauter Umgebung, Feuchtigkeit, Dunkelheit oder eine Überbelegung,bei der zu viele Menschen auf zu wenig Platz leben. Armut wirkt sich auch auf die Ernährung aus. Wenn Familien von Armut betroffen sind, können sie sich oft nicht genug oder nur minderwertige Lebensmittel leisten. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden. Ähnlich verhält es sich bei der Kleidung: der Kauf neuer, passender und wetter-gerechter Kleidung ist für viele aufgrund finanzieller Engpässe kaum möglich.

Auch das Heizen kann eine Herausforderung sein. Manche Familien können es sich nicht leisten, ihre Wohnungen warmzuhalten, was nicht nur die Gesundheit gefährdet, sondern auch die Möglichkeit einschränkt, warm zu duschen oder zu baden.


2) Die soziale Armut

Die Einbindung eines Kindes in sein soziales Umfeld und die Entwicklung sozialer Kompetenzen und Kontakte sind von großer Bedeutung. Doch Kinder und Jugendliche, die unter Armut leiden, sind häufiger von Mobbing und Gewalt betroffen. Armut schließt sie oft von sozialen Aktivitäten aus. Wenn niemand zum Geburtstag kommt oder sie nicht an einem Ausflug teilnehmen können, entsteht ein dauerhaftes Gefühl des Nicht-Dazugehörens. Auch die Gebühr für den Fußballverein oder den Eintritt ins Schwimmbad können sich betroffene Kinder nicht leisten.


3) Die gesundheitliche Dimension von Armut

Kinder, die von Armut gefährdet sind, sind nicht selten gesundheitlich beeinträchtigt oder weniger leistungsfähig. Auffällig ist auch ein höheres Verletzungsrisiko. Auch die Teilnahme an frühkindlichen Förderprogrammen wie Babyschwimmen, Spielgruppen oder Eltern-Kind-Turnen hängt stark vom sozioökonomischen Hintergrund der Eltern ab.


4) Die kulturelle Armut

Dazu gehört unter anderem die kognitive Entwicklung, insbesondere der Zugang zu Bildung und Sprache sowie der Erwerb kultureller Kompetenzen. In Deutschland wird Bildung im Vergleich zu anderen Industrieländern überdurchschnittlich stark vererbt. Das bedeutet, dass Kinder nur selten und mit enormer Anstrengung einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern erreichen – nur einer von vielen Hinweisen auf strukturelle Benachteiligung.

Kinder, die von Armut betroffen sind, nehmen auch seltener an Spielgruppenangeboten teil. Viele arme Kinder haben auch weniger Bücher oder lernfördernde Spielsachen zur Verfügung.


 

Fazit: Kinderarmut, Scham & ihre Auswirkungen

Kinderarmut ist ein weitreichendes gesellschaftliches Problem. Neben den physischen und psychischen Auswirkungen beeinflusst Armut massiv die Bildungschancen und soziale Integration der Kinder.

Das Gefühl der Scham, das häufig mit Armut einhergeht, prägt das Selbstwertgefühl und die sozialen Beziehungen unserer nächsten Generationen nachhaltig.


Quellen:

1) Die Armutskonferenz 2019, 4–7
2) Seeck/Theißl, 2020: Klassismus
3) Deutsches Kinderhilfswerk: Kinderrechte und Kinderarmut. Warum Kinderarmut krank macht.

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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