Gehirnnebel (brain fog) – Watte im Kopf bei Depressionen & Co.
Gehirnnebel (brain fog) ist vor allem durch Long-Covid bekannt. Allerdings ist Watte im Kopf ein relativ verbreitetes Phänomen, das bei Schlafentzug, Stress oder psychischen Krankheiten (wie Depressionen) auftreten kann. Was hat es damit auf sich?
Nebel im Hirn
Diese Formulierung entspricht dem subjektiven Empfinden: Das Denken & die Wahrnehmung wirken nebulös, unklar und gehemmt.
Inhaltsverzeichnis: Gehirnnebel (brain fog)
Watte im Kopf – Benommenheit bei Depression, Angst & weiteren psychischen Krankheiten
Fazit: Gehirnnebel (brain fog)
Was ist brain fog?
Konzentrationsprobleme, Denkblockaden und Schwierigkeiten sich zu orientieren - das alles ist Gehirnnebel. Auch Gefühle, nicht mehr klar denken zu können oder die Welt sei entrückt, sind Ausdruck von brain fog.
Dazu kommt die Angst, die Kontrolle zu verlieren. Du hast den Eindruck, nicht mehr richtig zu funktionieren.
Die mentalen Aussetzer schüren eine tiefgreifende Furcht in Dir. Schließlich stimmt irgendetwas nicht, aber Du kannst weder verstehen warum noch beschreiben, was genau mit Dir los ist.
Kommen dann noch Symptome, wie Wortfindungsstörungen, Vergesslichkeit und mentale Erschöpfung hinzu, die immer wieder auftreten, hat der Leidensdruck seinen Höhepunkt erreicht.
Brain fog hat viele Namen:
Bewusstseinstrübung (Englisch clouding of consciousness)
Verdunkelung des Bewusstseins
Gehirnnebel, Nebel im Gehirn
Watte im Kopf (v. a. bei Depressionen)
Chaos im Kopf
Benommenheit
Schwindel
Chemobrain (geistige Trübung während Krebsbehandlung)
Definition: Gehirnnebel
Gehirnnebel ist ein mentaler Zustand, der unterschiedliche subjektive Erlebnisse von „psychischer Natur“ umschreibt. Die Symptome von brain fog können von gehemmten Denken & Konzentrationsproblemen über Gedächtnisprobleme & psychischer Erschöpfung bis hin zur Derealisation reichen.
Wichtig: brain fog ist kein medizinischer Begriff, auch wenn er durch Medien und Fachmagazine geistert. Vielmehr handelt es sich um einen Zustand, wie ihn eigentlich jeder Mensch einmal erlebt.
Im Grunde definiert sich Gehirnnebel als Benommenheit (Betrunkenheitsgefühl).
Wenn Du Gehirnnebel hast, fühlst Du Dich andauernd neben Dir stehend, unkonzentriert, verwirrt, verunsichert und Dir fällt es schwer, überhaupt einen Gedanken zu fassen.
Einige Experten möchten das Phänomen mit einer Störung oder einem Ungleichgewicht im Gehirn gleichsetzen. Allerdings gibt es für diese Behauptung keine direkten Nachweise (3).
Vgl. auch Geist und Gehirn – Ich ist nicht Gehirn
Gehirnnebel Symptome
Konzentrationsstörung
eingeschränkte Sicht, Sehstörungen
Vergesslichkeit
Verwirrtheit
mangelnder Fokus
chronische Müdigkeit
Stimmungsschwankungen
Kopfschmerzen
Interesse- & Antriebslosigkeit
Orientierungslosigkeit, Desorientierung
Halluzinationen
Schwindel
Denkblockaden, groggy Gefühl
Derealisation
Entscheidungs-unsicherheit, -schwierigkeiten
Wortfindungsstörungen
Brain Fog & Covid-19 Krise
Brain fog wird schon seit langem im Rahmen von psychischen Erkrankungen beschrieben, doch erst seit der Corona Krise hat er an Aufmerksamkeit gewonnen. Viele Long-COVID Patienten scheinen betroffen.
Brain fog ist keine Bagatelle. Viele haben Schwierigkeiten, sich zu erinnern oder die einfachsten Alltagsaufgaben zu bewältigen. Gehirnnebel ist ein ernstzunehmender Zustand, bei dem die kognitive Leistungsfähigkeit extrem abfallen kann.
Brain fog könnte ein Hinweis auf PTBS sein
Eine andere Theorie finde ich in diesem Zusammenhang interessant:
eine Studie von 2020 "legt nahe, dass anhaltender „Brain Fog“ (...) nach der Genesung von COVID-19 auf eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zurückzuführen sein könnte;" (3)
Die Forscher vermuteten, dass Patienten, die invasiven Maßnahmen ausgesetzt waren (Intubation, Beatmung), davon traumatisiert sind.
Generell scheinen Menschen, die eine Corona-Infektion durchgestanden haben, mit 60 % höherer Wahrscheinlichkeit psychische Probleme zu entwickeln (8).
Dazu zählen Ängste & Panik, Depressionen, Selbstmordgedanken, Süchte (Drogen, Alkohol), Schlafstörungen, Denk- und Konzentrationsprobleme.
Doch auch Menschen, die nicht erkrankt sind, können durch die Angst in der Pandemie, die soziale Isolation und die Furcht vor der unsichtbaren Gefahr, Symptome einer PTBS ausbilden.
Genau das belegte schließlich eine weitere Studie 2021 (6): Insgesamt stützen die Resultate die Meinung, dass die Corona-Krise sich traumatisch auswirkt.
Die Forscher sprechen von einem traumatischen Stressor-Ereignis, das PTBS-ähnliche Reaktionen hervorrufen und psychische Probleme verschlimmern kann. In diesem Kontext war von „pandemiebedingter PTBS“ die Rede.
Gehirnnebel (brain fog) Ursachen
Die Ursachen hinter dem brain fog Syndrom sind völlig ungeklärt. Die Forschung hat keine Ahnung, wie und warum das Phänomen entsteht. Dafür gibt es eine Vielzahl von Auslösern, die damit irgendwie in Verbindung stehen.
Wie schon erwähnt, entwickelt sich Gehirnnebel nicht nur bei Long-COVID.
Auch psychische Belastungen gelten als Auslöser, also Depressionen, Schlafentzug, Stress oder Angstzustände.
Physische Auslöser sind hormonelle Umstellungen (Schwangerschaft, Wechseljahre) oder Nervenerkrankungen. Darunter Autoimmunkrankheiten, wie Multiple Sklerose oder Alzheimer.
Es gibt mittlerweile auch Erkenntnisse, die große Ähnlichkeiten zwischen Gehirnnebel und "Chemobrain" feststellen (geistige Trübung bei und nach Krebsbehandlungen).
Selbst Mangelzustände könnten mit brain fog in Verbindung stehen.
So verschieden die Auslöser auch sind, eines haben alle Patienten gemeinsam: einen großen Leidensdruck.
Ist brain fog eine Gehirnstörung?
Nein, Gehirnnebel ist keine Gehirnstörung. Denn Patienten mit brain fog weisen keine strukturelle Hirnschädigung oder Hirnentzündung auf (1).
Leider gibt es trotzdem einige Medien, die Schlagzeilen von Hirnschädigungen und Hirnalterungen durch Covid oder brain fog verbreiten. Tatsächlich ist aber nicht von Gehirn Beschädigungen die Rede, sondern von Symptomen, die einer traumatischen Hirnverletzung ähneln.
Ist Gehirnnebel wie psychogener Schwindel?
Brain fog ist kein Schwindel, er wird aber von vielen Betroffenen damit verwechselt. Für Mediziner ist es daher schwierig, zu unterscheiden, ob es um einen klassischen Drehschwindel (Bsp. Karussell), Schwankschwindel (Bsp. Boot) oder doch Benommenheit bzw. Gehirnnebel (Verwirrung, Desorientierung) geht.
Watte im Kopf
Benommenheit bei Depression, Angst & weiteren psychischen Krankheiten
Gehirnnebel ist ein typisches Symptom von Depressionen (11), Angststörungen, Traumata und anderen psychischen Krankheiten. Selbst nach Abklingen der Depressionen scheint gut ein Drittel der Patienten weiterhin mit brain fog zu kämpfen.
Nur wird in diesem Zusammenhang nicht von einem benebelten Gehirn gesprochen, sondern eher von:
Watte im Kopf
Ohnmachtsgefühle
blockiertem Denken
verlangsamten Denken
einer verzögerten Aufnahmefähigkeit
Entscheidungsunsicherheit
Orientierungslosigkeit
Druck im Kopf
vages benommenes ("swimmy-headed") Gefühl
Eindruck, unter einer Glasglocke zu sein
Glaswand-Gefühl
Sehr häufig werden diese Beschreibungen als Benommenheit interpretiert. Benommenheit ist allerdings genau wie brain fog ein relativ ungenauer Begriff, den Patienten für verschiedene Empfindungen nutzen, die sich ähneln können.
Noch unklarer wird es, weil Schwindel und Benommenheit oft synonym gebraucht werden. Aus diesem Grund bevorzugen es viele Ärzte, beide Symptome zusammenzufassen (10). Vgl. auch Panikattacke: Nachwirkungen – Symptome danach (Überblick)
Wie fühlt sich Gehirnnebel an?
Sich ständig und dauerhaft benommen bzw. benebelt zu fühlen, ist extrem beängstigend. Einerseits weil Du immerzu neben Dir stehst und Dir selbst nicht mehr traust, andererseits, weil Du Dir diesen Zustand nicht erklären kannst.
Laute, optische Reize, einfach alles dringt nur langsam und gedämpft zu Dir durch.
Vielleicht empfindest Du aber auch eine Art Weltentfremdung (Derealisation): die Menschen, Dinge und die Umwelt überhaupt wirken von Dir entrückt, als ob Du durch eine Glasscheibe davon getrennt wärst.
Andere fühlen sich betrunken, haben Probleme, etwas längere Zeit mit dem Blick zu fixieren oder sich zu konzentrieren.
Einige reden von Watte im Kopf. Aber keine weiche, leichte Watte, sondern eine dichte, schwere und erstickende Watte.
Sie ist so zäh und dicht, dass sie Dich von allem trennt - von der Außenwelt und von anderen Menschen.
Fazit: Gehirnnebel (brain fog)
Im Allgemeinen zeigt sich Nebel im Gehirn als ein Symptom, das bei Erschöpfungszuständen und Stress auftritt.
Ob Watte im Kopf einen Krankheitswert hat, hängt vom Kontext ab. Bin ich nach einer schlaflosen Nacht groggy, werde ich mich deswegen kaum ängstigen. Gerate ich aber immer wieder in so einen Zustand und ist mein Alltag beeinträchtigt, dann habe ich allen Grund zur Sorge.
Allerdings ist brain fog sehr individuell und wird mit unterschiedlichen Beschwerden und Qualitäten beschrieben. Es kann sich dabei um Benommenheit handeln oder eine Dissoziation, beides ist oft eines von vielen Symptomen bei Überforderung oder psychischen Krankheiten.
In Zusammenhang mit Corona sind 2 Aspekte zu beachten: 1) die Infektion schwächt den gesamten Organismus und erhöht zusätzlich das Risiko für seelische Probleme 2) die Corona Krise schlägt allgemein auf die Psyche und ruft trauma-ähnliche Symptome hervor.
Ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung, Sport etc - alle Maßnahmen zur Behandlung von Gehirnnebel dienen im Endeffekt der ganzheitlichen Regeneration.
Wichtig: Gib Dir Zeit und Geduld.
Quellen:
1) Luzerner Kantonsspital: Vernebeltes Hirn – vernebelte Seele
2) Šemsa Salioski: Niemals freie Sicht. Brain Fog: Ein Leben im Nebel
3) Psylex: ‚Brain Fog‘ nach der Genesung von COVID-19 kann auf eine PTBS hinweisen
4) Gordon Parker: Ask depressed patients about brain fog to ensure melancholia is not mist (In: PMID: 35603897)
5) Thomas Müller: Rätsel um Ursache von Long-COVID gelüftet? (In: CME (Berl). 2021; 18(6): 20–21. Published online 2021 Jun 24. German)
6) Victoria Bridgland et al: Why the COVID-19 pandemic is a traumatic stressor (In: PLOS ONE)
7) Mathilde Husky et al: Research on Posttraumatic Stress Disorder in the Context of the COVID-19 Pandemic: A Review of Methods and Implications in General Population Samples (In: SAGE journals)
8) Yan Xie et al: Risks of mental health outcomes in people with covid-19: cohort study (In: BMJ 2022; 376)
9) Philipp Markus Wiedmaier: Brain fog (Gehirnnebel) – Benommenheit / Wie betrunken
10) MSD Manual für medizinische Fachkräfte: Benommenheit (dizziness) und Schwindel (vertigo)
11) Xenia Gonda et al: The role of cognitive dysfunction in the symptoms and remission from depression