Depressionen beim Partner – Extreme Folgen für die Beziehung

Depressionen beim Partner sind eine krasse Herausforderung. Oft geraten die gesunden Partner_innen in eine Spirale aus Überforderung und Ausweglosigkeit. Das liegt nicht unbedingt daran, dass sie sich aus lauter Überfürsorge aufarbeiten, sondern dass es grundsätzlich an angemessener, professioneller Hilfe mangelt.

Depression beim Partner

Kranker Partner vs. gesunder Partner

Wenn Du Depressionen in einer Partnerschaft erlebst, kommt es schnell zu einer Rollenzuschreibung: unbewusst ordnen dich Freunde, Familie und sogar medizinische Fachkräfte in eine Rolle ein, die auf traditionellen und vereinfachten Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit beruhen.

In diesem Kontext bist du als Partner oder Partnerin ohne Depression die „gesunde“ Stütze – also die Person, die Stabilität bringt und die Last der Fürsorge trägt. Auf der anderen Seite der depressive Partner oder die depressive Partnerin, „krank“ und unterstützungsbedürftig.

Diese Differenzierung ist allerdings sehr künstlich. Schließlich leben Menschen in einer Beziehung nicht isoliert neben sich her, sondern beeinflussen sich in ihren Entscheidungen, Handlungen, Stimmungen und der Lebensqualität wechselseitig.

Darüber hinaus ist diese Zuschreibung für das Selbstbild der Betroffenen problematisch. Sie suggerieren dir als scheinbar 'gesunde_r' Partner_in, dass du resilient, geduldig und stark zu sein hast.

 

Mein Partner ist depressiv, ich kann nicht mehr

Gerätst du selbst als gesunder Partner in Überforderung, betonen Fachleute, dass du dir nicht genug Auszeiten nehmen würdest oder du dich zu sehr mit deinem kranken Partner identifizierst. In dem Zusammenhang ist oft zu lesen, dass viele in ein dysfunktionales Muster geraten:

  • zu viel Zuwendung und Zuhören (selektive Aufmerksamkeit für die Symptomatik)

  • zu viel Schonung und Entlastung durch Übernahme von Aufgaben und Tätigkeiten

Klingt ziemlich pauschalisierend – und ist es auch (vgl. Stigmatisierung in der Psychiatrie – tatsächlich werden auch Partner & Angehörige vorschnell in ein Schema gepresst). Die Lösung laut Fachleuten: „wohlmeinende Beharrlichkeit“ (1) entwickeln. Die Idee dahinter: den kranken Partner – ähnlich wie ein Kind – dazu motivieren, selbst aktiv zu werden und sich selbstbestimmt eine Tätigkeit oder Mini-Herausforderung auszuwählen.

Aber so bilderbuchmäßig läuft es in der Realität nicht ab. Ein depressiver Partner ist kein Kind, sondern krank. Wer die Aufgaben und Pflichten des erkrankten Partners nicht selbst übernimmt, wird sich schnell in einem Scherbenhaufen wiederfinden.

Vgl. Depressiver Partner zieht mich runter – Gründe & Tipps

 

Co-Depressionen in der Partnerschaft

Wenn Partner_innen oder Angehörige selbst depressive Symptome ausbilden, fällt oft der Begriff Co-Depression. Die ständige Konfrontation mit den negativen Stimmungen des anderen, die permanente Überforderung, der anhaltende oder steigende Stresslevel, die große Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Lebensstandards, das wachsende Fass an unerfüllten Bedürfnissen (Liebe, Trost, Unterstützung) etc. – all das ist geradezu der Königsweg in eine Erschöpfungsdepression.

Das meinen Mediziner_innen aber nicht, wenn sie von Co-Depressionen sprechen. Sie denken dabei an eine Co-Abhängigkeit. D. h. du als gesunder Part erhältst und förderst die Krankheit deines depressiven Partners, indem du Entschuldigungen findest, zu viel Fürsorge betreibst und übermäßig entlastest. (Nicht bewusst, sondern aufgrund einer interpersonellen Dynamik, die sich durch die Rollenverteilung einspielt.)

 

Ich sehe das anders: Sicher gibt es diese Phänomene, doch es bildet nicht die Norm unter Partnern depressiver Menschen. Viele gesunde Partner_innen geraten in Überforderung, weil sie so viel leisten müssen, um das persönliche Leben überhaupt noch irgendwie aufrechtzuerhalten. Wenn sie das nicht tun, müssen sie extreme Folgen befürchten: chaotischer Haushalt, finanzielle Krisen, soziale Isolation etc.

Vgl. auch Langzeitfolgen der Depression – Was von der Krankheit bleibt

 

Hier ein gelungenes Video von funk: “Das letzte Gespräch”, in dem sehr gut klar wird, mit welchen Schwierigkeiten beide Partner in der Beziehung zu kämpfen hatten.

 

Jede Art von Stress belastet eine Partnerschaft

Nur um das grundsätzlich klarzustellen: Stress in der Partnerschaft ist keine individuelle Angelegenheit, sondern eine interpersonelle. D. h. erlebt ein Partner Stress, ist auch der andere unmittelbar davon betroffen. Die Gründe sind vielfältig: Zum einen teilen sich beide ein und dieselben Lebensumstände, zum anderen ist Stress ein richtiger Empathie-Killer.

Viele Studien belegen, dass Stress ein wesentlicher Faktor für soziale Konflikte ist. Damit sind dann aber nicht schwerwiegende Ereignisse gemeint (Verluste, Krankheit, Katastrophen), sondern die alltäglichen, kaum merklichen Belastungen, die unaufhaltsam an zwischenmenschlichen Beziehungen zehren. Die Qualität in der Kommunikation nimmt stark ab: Sticheleien, Kritik und aggressive Stimmungen werden häufiger. Dauerhafter Stress erodiert zudem das fundamentale Gemeinschaftsgefühl von Paaren. Vgl. auch Depression: Aggressionen in 50 % aller Fälle

(…) Im Vergleich zu Menschen mit weniger Alltagsstressoren berichten Menschen mit mehr Alltagsstressoren beispielsweise über ein geringeres Maß an Beziehungszufriedenheit (…) und eine größere Anzahl von Konflikten (…). Menschen mit mehr Alltagsstress haben auch ein höheres Scheidungsrisiko (…). Diese schädlichen Auswirkungen von Stress können von Paaren durch dyadisches Coping gemildert werden“ (2)

 

Wie funktioniert dyadisches Coping?

1) die Kommunikation des Stresses von einem Partner

Erfolgreiches Coping erfordert eine klare Kommunikation von Stresssignalen (verbal, nonverbal und paraverbal), damit der andere Partner den Stress adäquat verstehen und angemessen darauf reagieren kann.

2) die unterstützende Reaktion des anderen Partners

Der 2. Schritt ist die bewusste Wahrnehmung der Stresskommunikation und die unterstützende Reaktion, die wiederum mit der Beziehungszufriedenheit verbunden wird.

3) die Wirkung dieser Unterstützung

Der 3. Schritt ist die Zufriedenheit des gestressten Partners mit dem Unterstützungsangebot des anderen. Ergebnisse deuten darauf hin, dass es nicht ausreicht, nur die Umstände des Stresses des Partners zu kennen. Echte dyadische Bewältigung erfordert ein empathisches Verständnis für die Emotionen, die mit den stressigen Erfahrungen verknüpft sind, um die Bedürfnisse des gestressten Partners zu erfüllen.

 

Leben mit einem depressiven Partner

Die Depression als Krise

Depressionen sind unter den großen Krisen einzuordnen – und die sind an Stress kaum zu überbieten. Wer einen depressiven Partner hat, muss über Monate oder Jahre hinweg mit Phasen der Distanz, Passivität, Aggressivität, Verzweiflung und Ängstlichkeit klarkommen. Nicht zu vergessen, die eigene Einsamkeit, Hilflosigkeit und berechtigte Zukunftssorge. Das wirkt sich logischerweise auf das Wohlbefinden aus – physisch und psychisch. (Vgl. auch: Vereinsamung – Was Einsamkeit aus Menschen macht sowie Einsamkeit in der Depression)

Daneben treten Alltagsbelastungen hinzu (Job, Kinder, soziale Beziehungen) sowie größere Probleme (finanzielle Schwierigkeiten, Todesfälle) des Lebens. Man kann nicht all seine Kraft ausschließlich darauf verwenden, mit der Depression des Partners fertig zu werden, sondern kämpft allein auf weiter Flur an mehreren Fronten gleichzeitig.

Vgl. Leben mit depressiven Menschen – Depression als Familienkrankheit

 

Probleme mit dyadischem Coping in der Depression

Fassen wir zusammen: Der gesunde Partner steht unter immenser Belastung und Stress. Der kranke Partner ist in sich gefangen, verzweifelt und ebenfalls extrem gestresst. Wie wird sich das wohl auf die Beziehungsqualität auswirken? Im Fall von Depressionen stößt das dyadische Coping jedenfalls an seine Grenzen:

  1. Eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit: Depressionen zeichnen sich durch Rückzugsverhalten, Erschöpfung & Müdigkeit sowie Interessenverlust aus. Das alles beeinträchtigt die Art Betroffener, zu kommunizieren. Das wirkt direkt auf den gesunden Partner ein, auch er ist ständig verunsichert, wie mit dem anderen zu reden und umzugehen ist. Vgl. Umgang mit depressiven Menschen

  2. Emotionale Belastung der Partner: Gesunde Partner geraten irgendwann an den Punkt, dass sie die anhaltende depressive Symptomatik des anderen emotional überfordert. Dieser Stress führt dazu, dass man auf die Bedürfnisse des depressiven Partners schwer eingehen kann. Jener ist wiederum nicht in der Lage, eigene Bedürfnisse zu signalisieren und auf den anderen zuzugehen.

  3. Reduzierte Fähigkeit zur Empathie: Zwei gestresste und belastete Menschen können nur schwer ein Verständnis für einander aufbringen. Das verringert wiederum die positiven Rückmeldungen auf beiden Seiten.

  4. Erschöpfung der Ressourcen: Dyadisches Coping verlangt, dass beide Partner emotionale und kognitive Ressourcen einbringen. Wenn aber ein Partner depressiv ist und die Ressourcen des anderen erschöpft sind, ist eine gemeinsame Bewältigung nur schwer möglich.

 

Last, but not least:

Gefühle sind ansteckend

Ein Aspekt, der schnell als “Überidentifikation” mit dem Partner gedeutet wird, ist der emotionale Einfluss innerhalb einer Beziehung. Emotionale Ansteckungen sind ein gut erforschtes Phänomen: Menschen beeinflussen sich auf affektiver Ebene gegenseitig (affektive Intersubjektivität). Diese Gefühls-Übertragungen laufen automatisch und subtil ab, zum Beispiel durch nonverbale Kommunikation und Mimik (Resonanzen).

In der Psychologie kämen hier die Spiegelneuronen ins Spiel. Diese unbewusste Übernahme und Anpassung an die Ausdrücke, Stimmungen und Verhaltensweisen des Gegenübers beeinflussen Dynamik und Qualität von persönlichen Beziehungen. (Vgl. auch Leib & Leiblichkeit oder Leibphänomenologie)

In der Forschung gibt es Hinweise, dass negative Emotionen ansteckender sind als positive. Das liegt zum einen an der starken Signalwirkung von negativen Emotionen (in Bezug auf potenzielle Gefahren) bzw. Informationen. Sie ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich und bleiben besser im Gedächtnis haften (Negativitätsbias – vgl. kognitive Verzerrungen).

 

Emotionale Gefühlsansteckung in der Depression

Hat ein Partner Depressionen, verändert sich nicht nur sein Verhalten, sondern seine gesamte Ausstrahlung. Betroffene wirken kraftlos, lethargisch und ziehen sich zurück. Die gesamte Körpersprache ist teilnahmslos und abweisend. Die Dialoge und Begegnungen sind geprägt von Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und einer seltsamen Distanz.

Als gesunder Partner nimmst du an der Gefühlslage deines depressiven Partners teil. Das ist ein natürlicher, zwischenmenschlicher Prozess: Über feinste leibliche Regungen und verbale Signale berührt dich die affektive Stimmung des anderen. Du reagierst darauf unbewusst mit einer entsprechenden Gefühlsanpassung. Die extreme Schwerfälligkeit und Schwermut des anderen beeinflusst deine Stimmung und dein Wohlbefinden negativ. Das lässt sich kaum verhindern.

Wer schon einmal an einer Trauerfeier teilgenommen hat, kennt diese schwere Atmosphäre und ihren starken Sog, der alle Anwesenden erfasst. Ähnlich verhält es sich bei Depressionen in der Partnerschaft. Allein die Präsenz des depressiven Partners kann dich mit einer Wolke aus Passivität und Negativität umhüllen, die all deine Energien schluckt.

 

Fazit: Depression beim Partner

Das alles sind subjektive Realitäten, die zu oft von der Fachmedizin ignoriert oder als individuelles Problem abgetan werden (zum Beispiel als Co-Abhängigkeit). Dabei ist es nicht einfach bloß hilfreich, sondern notwendig, die wichtigsten Bezugspersonen der Erkrankten an der Therapie teilhaben zu lassen.

Leider bleibt dir als gesunde_r Partner_in keine andere Möglichkeit: Du musst selbst aktiv nach Hilfe und Entlastung suchen. Zum Beispiel bei Selbsthilfegruppen oder psychosozialen Beratungsstellen.


Quellen:

(1) Claudia Christine Wolf: Depressionen in der Partnerschaft. Zu zweit durch die Krise. (Interview vom 03.02.24 auf Spektrum der Wissenschaften)
(2) Bulling, L.J., Hilpert, P., Bertschi, I.C. et al. Associations Between Vocal Arousal and Dyadic Coping During Couple Interactions After a Stress Induction. Int J Appl Posit Psychol 8 (Suppl 2), 187–204 (2023). https://doi.org/10.1007/s41042-023-00087-5
(3) Lea Melikjan & Marianny Triviño: Wenn ich auf einmal alleine in der Partnerschaft bin... Beratung von Partnerinnen und Partner depressiver Menschen in der Sozialen Arbeit

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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KRITIK AN DER OFFIZIELLEN PSYCHOTHERAPIE #4 - VERTIEFUNG

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