Emotionsregulation – Gefühle zulassen & aushalten + Übungen
Bei psychische Störugen spielen Gefühle eine besondere Rolle. Doch Emotionsregulation ist nicht nur für psychisch kranke Menschen wichtig, sondern scheint überhaupt für die psychische Gesundheit eines Menschen wichtig zu sein.
Mit Emotionen & Gefühlen umgehen lernen
Gefühle zu regulieren ist ein wichtiges Tool bei psychischen Krankheiten. Hier Theorie & Übungen zur Selbsthilfe.
Die Rolle von Gefühlen bei psychischen Problemen
Ein Mensch mit psychischen Krankheiten hat weit mehr Probleme als seine Gedanken. Wenn Du immer wieder von extremen Emotionen überflutet wirst, verlierst Du immer mehr das Vertrauen in Deine Gefühlswelt und in Dein Selbst. Gefühle werden plötzlich unberechenbar und gefürchtet.
Die Störung des eigenen Gefühlshaushalts verdeutlicht sich auch durch Probleme, eigene Gefühle wahrzunehmen und Körperempfindungen richtig einzuschätzen.
Allgemein gehen viele Menschen heute noch von einem Leib-Seele Dualismus aus. Gerade bei psychischen Krankheiten zeigt sich jedoch, wie untrennbar Körper & Psyche miteinander verbunden sind. Sobald Du eine dieser Ebenen beeinflusst, nimmst Du auch Einfluss auf die anderen Ebenen.
Mehr unter: Leib & Leiblichkeit – Körper haben, Leib sein
Darin liegt auch der Clou:
Ein Mensch besteht aus vielen Facetten
Nur eine einzige davon in den Fokus zu nehmen, bringt es nicht.
Was Du brauchst ist ein ganzheitlicher Ansatz zur Selbsthilfe. Und dazu zählen neben Selbstwert-Übungen auch Übungen zur Gefühlsregulation.
Negative Gefühle sind normal
Jeder kennt sie, keiner will sie haben. Bei psychischen Erkrankungen hast Du allerdings das Pech, dass Du Deine Gefühle generell schlechter kontrollieren bzw. aushalten kannst. Das ist oft ein Symptom/Bestandteil dieser Art von Krankheiten.
Darum wünschen sich die meisten Betroffenen, ihre Gefühle 100 % kontrollieren zu können. Sie sehen ihre eigenen Emotionen als negativ, feindlich & beschämend an. Die Gefühle sind damit nichts mehr, das zu Dir gehört.
Umso wichtiger ist es, dass Du lernst, negative Gefühle zuzulassen und auszuhalten. Aber auch, Dich nicht von Deinen Empfindungen überrennen zu lassen.
Ein kompetenter Umgang mit den eigenen Gefühlen ist daher ein Basic für jeden Menschen mit psychischen Krankheiten.
Was ist Emotionsregulation?
Bei der Regulation von Emotionen geht es darum, die Stärke, das Erleben und die Dauer von auftretenden Emotionen zu beeinflussen.
Da es sich um eine Methode handelt, die vor allem im Coaching und in der Psychotherapie zum Einsatz kommt, dient sie meistens dazu, auf negative Emotionen positiv einzuwirken.
Emotionsregulation Übungen
Mihaly Csikszentmihalyi, einer der Pioniere der positiven Psychologie & des Flow-Erlebens, betonte häufig, dass es nicht auf das WAS oder WARUM ankommt, sondern auf das WIE.
Übertragen auf Gefühle: der Umgang ist entscheidend.
Ablenkung im akuten Notfall
Wirst Du von einer Welle an Gefühlen oder Emotionen geradezu überschwemmt, ist schnelle Hilfe angesagt. Im Notfall ist Ablenkung schnell & effektiv:
Starke Sinnesreize nutzen (Chili-Bonbon, Gummiband am Arm, Musik etc.)
Zählübungen, um den Fokus vom Gefühl abzuziehen
Innere Sicherheit imaginieren (z. B. der innere Ort, Helfer, Beobachter-Ich, Perspektivwechsel: Freund/Weiser)
Gefühle beobachten & sein lassen
Aristoteles legt uns nahe, unsere Gefühle nicht zum Schweigen zu bringen, sondern sie zu kultivieren.
Such Dir einen ruhigen Ort und versuche Dein momentanes Gefühl bewusst wahrzunehmen. Vielleicht sind es auch mehrere.
Dränge es nicht weg, sondern interessiere Dich wie ein neugieriger Forscher dafür.
Beschreibe Dir selbst das Gefühl so genau wie möglich: Du musst nur benennen was ist, nicht beurteilen.
Achte darauf, wie das Gefühl zunimmt und auch wieder abnimmt.
Du bist nicht Dein Gefühl
Vergegenwärtige Dir, dass Du ein Mensch mit Gefühlen bist. Du hast Gefühle, bist aber kein Gefühl.
Das bedeutet: Du entscheidest, was Du tust – nicht Dein Gefühl.
Diese Selbstbestimmung solltest Du Dir immer wieder klar machen. Gefühle sind menschliche Handlungsmotivationen & Impulse, doch sie machen Dich als Menschen nicht aus.
Bewegung an der frischen Luft
Sport ist ein super Stress-Ventil mit krasser Wirkung. Und negative Gefühle lösen Stress aus, sowohl körperliche als auch psychisch.
Mit Sport beugst Du der Stressreaktion vor und baust Stress ab.
Frischluft wirkt außerdem antidepressiv.
Sei kreativ (kreative Tätigkeiten)
Hilft nachweislich ebenfalls bei der Gefühlsregulation
kreative Tätigkeiten sind Malen, Töpfern, Stricken, Gedichte schreiben usw.
Sie fördern mentale Verarbeitungsprozesse und verschaffen Dir nachhaltige Glücksgefühle, wenn Du regelmäßig kreativ wirst.
Ist übrigens egal, wie schön oder nicht schön Dein Kunstwerk wird, es kommt nur auf den kreativen Akt an.
Lerne Entspannungstechniken
Autogenes Training
Achtsamkeitsübungen aller Art
spezielle Themen-Meditationen
Imaginationstechniken
Atem-Übungen
Adlerperspektive: innerlich Distanz aufbauen
Beobachten ist bereits eine innere Distanzierung von Deinen Gefühlen. Intensivieren lässt sich das Ganze, indem Du Deine Vorstellungskraft einsetzt.
Schon der antike, römische Dichter Ovid gab in seinen Schriften den Tipp, sich vorzustellen, man wäre oben bei den Sternen und würde das menschliche Leben von dort oben betrachten.
Weitere mentale Bilder zur Gefühlsdistanzierung sind auch:
Du sitzt in einem Flugzeug
Du reist auf einem fliegenden Teppich
Du stehst in einem Heißluftballon
Du fliegst als Adler über die Landschaft hinweg
Es geht nur darum, dass Du ein Bild findest, dass Dich aus weiter Entfernung schauen lässt. Wie fühlt sich das jetzt an? Ist Dein Kopf freier oder ruhiger? Welche Aspekte der geschauten Situation fallen Dir jetzt auf?
Selbstfreundschaft üben (Selbstmitgefühl)
In westlichen Kulturen ist Selbstmitgefühl eher verpönt, das Mitgefühl anderen gegenüber steht im Fokus. Dabei gibt es Selbstmitgefühl nicht nur in der buddhistischen Philosophie, sondern auch in der abendländischen, antiken Philosophie: Bei der philosophischen Selbstfreundschaft dreht sich alles um Verständnis, Anerkennung und Trost.
Alles Dinge, die Dir helfen, nicht im Leiden zu versinken und sich aus der Identifikation damit zu lösen.
Schlüpfe in die Rolle eines wohlwollenden Gegenübers bzw. eines Freundes/einer Freundin. Finde freundliche, mitfühlende Worte: was würdest Du zu Freunden sagen, um Verständnis und Geborgenheit zu vermitteln? Welche Gesten würden Deine Worte begleiten?
Denke daran: Du musst nur für das verletzte Ich da sein. Lösungen braucht es in diesem Moment (noch) nicht.
Selbstwertgefühl aufbauen
Das Selbstwertgefühl nimmt wesentlich Einfluss auf Deine Gefühle & Dein Gefühlserleben. Hierzu gibt es zahlreiche Übungen und Methoden, die langfristig helfen können und bei den meisten Menschen positive Wirkung zeigen.
Mehr erfährst Du hier: Kein Selbstwertgefühl – Symptome & Selbstwert-Aufbau (Übungen)
Definition: Gefühle & Emotionen
Was Emotionen und Gefühle genau sind, lässt sich bisher nicht eindeutig definieren. Eine einheitliche Theorie gibt es nicht, dafür viele verschiedene Ansätze. Am beliebtesten sind evolutions- und neurobiologische Auffassungen innerhalb der Psychologie.
Während einige Gefühle & Emotionen als Reiz-Reaktionsmuster ansehen, die durch Umweltgegebenheiten ausgelöst werden, erblicken andere darin eine neurophysiologische Reaktion, die sich nur im Gehirn abspielt und willentlich nicht beeinflussbar ist. Eine weitere Position geht davon aus, dass Emotion & Gefühl soziale Konstruktionen des Erlebens sind.
Gefühle & Emotionen sind Motor für die sogenannten Automatismen, denen wir gerne im Alltag unterliegen, ohne zu wissen, warum und wieso.
Viele alltägliche Entscheidungen werden intuitiv getroffen – nach Bauchgefühl eben. Die Intuition zeigt sich als emotionaler Impuls, der uns zu einer bestimmten Entscheidung veranlasst.
Was sind Gefühle? (Psychologie)
Gefühle sind unmittelbar und beeinflussen die Wahrnehmung. Gefühle sind in der Psychologie ein Oberbegriff, der für Arten von psychischer Erfahrung & Reaktion steht.
Gefühle lassen sich aber nicht messen oder über das Individuum hinaus vereinheitlichen, weshalb die Forschung davon ausgeht, dass Gefühle eine subjektive Qualität besitzen.
Gefühle sind bei unserer Wahrnehmung des Selbst, der Welt und der Mitmenschen immer beteiligt. Darum sah C. G. Jung (der berühmte Schüler von Freud) das Gefühl als psychologische Grundfunktion des Menschen an: sie enthalten eine subjektive Beurteilung.
Was sind Emotionen? (Psychologie)
Emotionen, auch als Affekt oder Gefühlsregung bezeichnet, werden vor allem durch ihre sichtliche Veränderung physischer Parameter definiert (ist aber auch umstritten).
Die Basisemotionen Wut, Freude, Angst, Ekel, Traurigkeit und Überraschung sind universell. Das heißt, sie sind bei allen Menschen, unabhängig von Kultur, Geschlecht, Alter & Milieu gleich.
Als Seelenvermögen sind Emotionen eine Bedingung, um sich mit anderen Menschen nonverbal zu verständigen. Außerdem sollen Emotionen nach außen gerichtet sein und sich intensiver zeigen.
Unterschied: Emotion und Gefühl (Psychologie)
In der Umgangssprache werden Gefühle & Emotionen oft synonym benutzt. Das liegt daran, dass wir Emotion und Gefühl oft gleichzeitig wahrnehmen – doch beide haben ein anderes Naturell (laut den verbreiteten Theorien).
Nach Ansicht vieler Hirnforscher ist zwischen Emotionen und Gefühlen zu unterscheiden: Emotionen sind Sammelaktionen & Veränderungen, die im Körper auftreten, wenn man emotional ist. Gefühle sollen dagegen kognitive Erfahrungen sein, die durch die emotionale Körperaktion entstehen. Gefühle seien näher am Verstand angesiedelt (4).
Eine Unterscheidung von Gefühl & Emotion geht auf W. James zurück (James-Lange-Theorie): Traurigkeit & Angst sind demnach sensorische Erlebnisse, eine Gefühlswahrnehmung. Die motorische Reaktion darauf sei Weinen, Zittern & Co., also eine emotionale Gemütsbewegung.
Gefühle
So zeigen sich Gefühle im Gehirn im Frontallappen
Gefühle enthalten eine kognitive Komponente
Anzahl unbegrenzt
Gefühle sind durch ihre verbale Ebene definiert
Gefühle stellen eine Interpretation dar, denen ein reflexiver Akt vorausgeht
Bewertungs- und Motivierungs-Mechanismus
weiche Intensität, länger anhaltend, selbstreflexiv
Emotionen
Emotionen schlagen sich im limbischen System nieder
Emotionen sollen reflexartig sein
Anzahl begrenzt
Emotionen wirken psychophysisch
Emotionen sind unmittelbare Reaktion des Nervensystems auf Empfindungen
Alarm- und Überlebens-Mechanismus
starke & kurze Intensität mit Handlungsmotivierung
Gefühle & Emotionen in der Philosophie
Gefühle, Emotionen und Stimmungen sind nach philosophischem Verständnis keine mentalen Kategorien, die irgendwo im Innenraum eines Menschen auftauchen. Vielmehr sind Gefühle an Objekte, Personen oder Gegebenheiten gebunden.
Eine Person kann für mich sympathisch sein und mich anziehen oder unausstehlich wirken und mich abstoßen. Ich kann andere mit meiner heiteren, beschwingten Stimmung anstecken oder spüre selbst, wie mich die ernste oder traurige Atmosphäre einer Situation erfasst.
Dabei gibt es kein Gefühl, dass seinen Resonanzraum nicht in einer leiblichen Erfahrung hat. Empfinde ich Angst, dann geht dieses Gefühl immer mit körperlicher Anspannung, einem leichten Zittern oder Herzklopfen einher. Bin ich traurig, dann fühlt sich mein ganzer Körper schwer und ermüdet an. Bin ich glücklich und fröhlich, spüre ich zugleich eine Leichtigkeit und einen Elan, die sich in beschwingten Bewegungen, offener Haltung und harmonischer Stimme niederschlagen.
Gefühle und Stimmungen sind nichts, was sich in einem separierten Innenraum abspielt, sondern fest mit mir und der Umwelt verzahnt. Sie sind keine mentalen Entitäten, sondern immer auch leiblich erfahrbare Phänomene. Sie sind nicht entweder kognitiv oder körperlich, sie sind immer beides zugleich.
Es gibt keine Gefühle außerhalb des Leiblichen und keinen Leib, ohne Gefühle.
Wie sehr menschliche Interaktionen von Gefühlen und leiblichen Resonanzen getragen werden, konnte die Säuglingsforschung belegen: Mutter und Baby verständigen sich unbewusst über feine, körperliche Aktionen und Reaktionen aufeinander.
Diese Affektabstimmung findet auch im Erschachsenenalter statt, nur ist hier die Affektkontrolle viel stärker ausgeprägt, so dass sich Emotionen und Gefühle vor anderen unterdrücken oder verbergen lassen.
Interessant sind auch Hinweise aus kulturübergreifenden Untersuchungen: in Ländern, wie zum Beispiel bei indigenen Völkern in Afrika, gelten Gefühle nicht als innere Zustände, sondern sind Zeichen für soziale Beziehungen, die aus dem Zwischenmenschlichen entstehen.
Psychische Probleme bzw. Krankheiten werden dementsprechend als Folge von Störungen aufgefasst, die ein Ungleichgewicht im sozialen System anzeigen.
evtl auch interessant für Dich: Philosophie & Psychologie – Oder: Was ist psychische Krankheit?
Quellen:
1) VSSP e.V. (Selbsthilfeverband für Soziale Phobie)
2) Deutsche Angst-Hilfe e. V. (DASH)
3) Rainer Poulet: „Gefühl“ und „Emotion“: Wo liegt der Unterschied?
4) Rüdiger Vaas: Emotionen – Essay (Spektrum Lexikon der Neurowissenschaft: Emotionen)
5) Brigitte Osterath: Emotion & Bewusstsein: Angst und Freude entstehen im Cortex
6) Stangl Lexikon der Psychologie & Pädagogik
7) Dorsch Lexikon der Psychologie
8) Melanie Braun: Die Bedeutung der Emotionsregulation (Klaus-Grawe-Institut für psychologische Therapie)
9) Serge K. D. Sulz. Psychotherapie mit Emotionen: mit Gefühlen umgehen lernen in der Strategisch‐Behavioralen Therapie SBT – Ein Trainingsmanual mit Arbeitsblättern und Übungen
10) J. Beuhausen: Emotionen und Förderung der Emotionsregulation