Antriebslosigkeit & Depression – Die gehemmte Depression

Antriebslos & depressiv – gehemmte Depressionen sind der „Normalfall“, also das, wie sich jeder einen typisch depressiven Menschen vorstellen würde. Leere & Sinnlosigkeit, Schwäche & Kraftlosigkeit sowie kognitive Blockaden sind an der Tagesordnung. Die Körperhygiene und Artikulation fallen deshalb besonders schwer.

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Gehemmte Depressionen sind die bekannteste Form der Depression

Sie wirken hemmend auf das ganze System Mensch: Das Denken ist blockiert, Gefühle werden eingefroren und körperliche Bewegungen stark verlangsamt.

 

Depressiv, antriebslos & blockiert

Jedes Jahr erkranken rund 150.000 Menschen in Deutschland an Depressionen. Über 5 Millionen Betroffene gibt es bereits – und das allein in Deutschland! (5).

Statistiken rangieren die Depression sogar zur 2.-häufigsten Todesursache im Jahr 2020. Dabei werden unter dem Namen Depressionen einige depressive Erscheinungsformen zusammengefasst, die sehr unterschiedlich ausfallen.

Die häufigste Form ist die gehemmte Depression, auch melancholische Depression genannt. Gehemmt sein in Denken und Motorik, das können sich die meisten Menschen kaum vorstellen.

Es ist ein quälender Zustand, da Du als Betroffene*r selbst diese Verlangsamung gegen Deinen Willen erfährst. Es ist wie ein unsichtbarer Widerstand, gegen den Körper und Geist mit den letzten Kräften ankämpfen müssen, wenn sie können. Als würdest Du Dich im Treibsand befinden...

 

Antriebslosigkeit – mehr als fehlende Motivation

Die beiden Haupt-Symptome bei gehemmten Depressionen sind Antriebsmangel und permanente Ermüdung. Wobei Antriebshemmung der bessere Begriff ist, denn als Betroffene*r gibst Du Dich nicht der Faulheit hin, sondern willst, aber kannst nicht. Es ist, als drücke eine unsichtbare gewaltige Last Dein Körper & Deine Seele nieder.

Zusammen mit der starken erschöpften Müdigkeit, die Dich beherrscht, wird jede Motivation im Keim erstickt. Du kämpfst quasi gegen Windmühlen: Du hast kaum Kraft, aber jede Bewegung kostet unendlich viel Mühe und Anstrengung.

In einer meiner schlimmsten Phasen, konnte ich meine Beine nur noch mit größter Willenskraft bewegen. Sie waren so steif und schwer, dass sie mir nicht mehr gehorchen wollten.

So kommt es, dass sogar einfache, alltägliche Dinge wie Körperpflege, Einkaufen und Abwaschen zum unüberwindlichen Hindernis werden. Es ist für Dich nicht möglich, das Geschirr abzuspülen, in den Supermarkt einkaufen zu gehen oder Dich zu waschen.

 
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Depressionen haben viele Gesichter

Die Medizin unterscheidet heute zwischen 5 Erscheinungsformen der Depression, die sich durch unterschiedliche Schwerpunkte charakterisieren.

1) Gehemmte Depression

Mentale Blockaden (vgl. brain fog), tiefe Niedergeschlagenheit & Resignation, Verlangsamung, Erschöpfung, Antriebslosigkeit sind vorherrschend.


2) Agitierte Depression

ängstliche Unruhe, Hyperaktivität, hektische Betriebsamkeit (vgl. Agitierte Depression trifft 1/4 der Fälle)


3) Larvierte Depression

Auch somatisierte, maskierte, körperliche oder versteckte Depression genannt. Körperliche Beschwerden stehen im Vordergrund, z.B. chronische Rückenschmerzen, Magenleiden, Kopfschmerzen, Darmprobleme etc. die Psychischen Ursachen sind schwer zu erkennen.


4) Psychotische Depression

Wahnhafte Symptome, wie Verarmungswahn, Versündigungswahn, Halluzinationen (akustisch, visuell), Drang nach Selbstbestrafung und Selbstschädigung


5) Atypische Depression

Hierunter fallen viele Sonderformen. Bei atypischer Depressionssymptomatik kann ein hohes Bedürfnis nach Schlaf bestehen anstatt Schlaflosigkeit, starke Verletzbarkeit und Empfindlichkeit anstatt Gefühllosigkeit, ein ausgeprägtes Abendtief anstatt Morgentief usw.


 

Symptome der gehemmten Depression:

Antriebshemmung vorherrschend

Menschen mit gehemmter Depression weisen einige Eigenarten auf, die charakteristisch für diesen Subtyp sind. Dazu gehören:

  • Antriebshemmung (Du erlebst Dich als blockiert, Aktivitäten fallen Dir unglaublich schwer und sind extrem anstrengend, komplett motivationslos)

  • Denkblockaden (Du erlebst Dein Denken als verlangsamt und gebremst. Darunter leidet auch Deine Artikulation)

  • anhaltende Müdigkeit

  • energie- und kraftlos

  • sehr leises Sprechen (7)

  • langsame Bewegungen

  • verlangsamte Sprache

  • lethargische Stimmung

  • Verschlechtertes Gedächtnis

  • Konzentrationsstörungen

  • evtl depressiver Stupor (Bewegungslosigkeit: körperliche Erstarrung bei bewusster, geistiger Anwesenheit)

 

Weitere Anzeichen auf klassische Depressionen

Selbstverständlich zeigen sich bei der gehemmten Depression auch alle anderen bekannten depressiven Symptome, wie Schlafstörungen, Morgentief, Gefühllosigkeit, körperliche Probleme (Verdauungsprobleme, Appetitlosigkeit), Gedankenkarussell, depressive Angst etc.

Die stark veränderte, niedergedrückte Stimmungslage ist das primäre Indiz. Du fühlst Dich teilnahmslos, nichts interessiert Dich mehr und Deine Lebensfreude schwindet spürbar dahin. Auf diese Weise wird das eigene Ich zum Nichts, zu einer belang- und sinnlosen Existenz ohne Daseinsberechtigung.

Manchmal kann die innere Leere, die Du als gehemmt Depressiver bedrohlich in Dir wachsen fühlst, Dein Selbst auch komplett verschlucken. So als würde Deine Person sich langsam im Nichts auflösen.

Nicht zu vergessen, die gewaltige, unsichtbare Distanz, die sich zwischen Dir und den Mitmenschen aufbaut. Da sind keine Gemeinsamkeiten mehr zwischen Dir und den anderen.

Deine Welt schrumpft auf ein einsames, kleines Dich zusammen.

Vgl. auch Einsamkeit in der Depression – existenziell einsam sein

 

Gehemmte Depressionen behindern Denken, Bewegungsfähigkeit & Artikulationsvermögen

Antriebshemmung zu erleben, ist sehr viel schlimmer, als es sich anhört. Dein Denken geht ins Leere, ist seltsam dumpf und langsam. Darunter leiden sämtliche Kognitionsfähigkeiten: Gedächtnis, Konzentration, Leistung etc. So wirken auch alle äußeren Eindrücke und Reize auf Dich: surreal fern und doch nah, irgendwie unscharf und seltsam vage.

Eine Depression wirkt sich hemmend auf die Areale im Gehirn aus, die für Gefühle sowie Konzentration & Aufmerksamkeit zuständig sind. Alltägliche Dinge wie Kopfrechnen oder Aktivitäten planen funktionieren plötzlich nicht mehr. Das geht sogar so weit, dass Du nicht mehr Buch oder Zeitung lesen kannst, obwohl das Routine für Dich war.

So langsam Dein Denken voran geht, so langsam bist Du auch beim Sprechen. Die Worte formen sich schwer und klotzig in Deinem Mund und wollen stecken bleiben, wenn Du sie nicht mit letztem Druck aus Dir herausbekommst.

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Du scheiterst bereits am Worte finden, denn in Deinem Kopf ist alles zäh und chaotisch. Viele Fachleute geben daher ein verlangsamtes und leises Sprechen als Indiz für Gehemmtheit an.

Das alles wirkt sich auch auf Dein Bewegungsmuster aus. Jede Tätigkeit kostet Dich unendlich viel Kraft, als würdest Du einen Anzug aus Blei an Deinem Körper tragen. Deine Bewegungen sind sehr langsam, egal wie sehr Du Dich auch anstrengst. Diese Diskrepanz zwischen Deinem Willen und Deiner Bewegungsfähigkeit ist extrem beängstigend.

 

Völlige Antriebshemmung & quälende Erstarrung – der depressive Stupor

Der absolut schlimmste Fall in einer gehemmten Depression ist der depressive Stupor. Ein Stupor ist eine Lage der psychischen und motorischen Starre. Du bist bewegungslos, bei vollem Bewusstsein. Doch Du kannst nicht so auf äußere Reize reagieren, wie Du willst. Bei einem depressiven Stupor bist Du buchstäblich in Deinem Körper gefangen.

Deine Reaktionen laufen entweder kaum merklich ab oder so verlangsamt, dass es jedem auffällt. Auch klar sprechen kannst Du nicht, die Muskulatur ist oft verkrampft. Du wirkst auf Außenstehende wie versteinert.

 

Ursache für Antriebslosigkeit bei Depression

Zellkraftwerke produzieren weniger Energie

Zumindest auf biologischer Grundlage konnte bereits 2014 gezeigt werden (13), dass die Mitochondrien, die Energielieferanten der Zellen unseres Körpers, weniger Energie produzieren als im Vergleich zu gesunden Menschen.

Depressive Menschen leiden also nicht nur im Kopf, sondern buchstäblich auch im Körper an einem Energiemangel, der sich eben durch Antriebsschwäche, Verlust an Interessen und weiteren kognitiven Problemen bemerkbar machen könnte.

Darüber hinaus erzeugen Depressionen noch weitere energieraubende Symptome wie depressive Ängste & tiefste Sorgen, starker Stress und Verlust an Selbstsicherheit mitsamt den körperlichen Reaktionen dazu (Herzrasen, Schwitzen, Atemnot, Schlafstörungen, Muskelverspannungen, Magenschmerzen etc.)

 

Depressive Antriebslosigkeit
in der Philosophie

Es gibt auch philosophische Erklärungen über die Antriebslosigkeit bei Depressionen, die ein ganz anderes Verständnis eröffnen und nicht nur die biologischen Prozesse in den Blick nehmen.

Hier wird der Mensch als strukturelle Einheit mit der Welt und anderen Menschen begriffen und in seiner Subjektivität anerkannt, anstatt als Einzelobjekt, das einer “realen” Welt gegenüberstehen soll ( vgl. den überholten 2-Welten-Dualismus: Geist vs. Körper, Innen vs. Außen)

Im Zusammenhang mit der depressiven Antriebslosigkeit bzw. Antriebshemmung ist das Leibempfinden des Menschen ausschlaggebend, um überhaupt einen Zugang zur Welt zu erfahren und in ihr zu leben. Aber ebenso, um sich selbst als Teil der Welt zu erleben.

Doch psychische Krankheiten gehen immer mit einer Selbst-Entfremdung einher, die den Menschen von seinem natürlichen & selbstverständlichen Leib-Sein (Einheit von Geist und Körper) trennt und den Körper als übergroßen Störfaktor ins Bewusstsein katapultiert.

Separiert und vereinzelt (ohne die beiden anderen notwendigen Struktur-Einheiten von Psyche und Welt) erscheint Dein körperliches Befinden nicht mehr als vitale Kraft, sondern als ein Hemmnis fürs Leben.

Mehr dazu:

 

Fazit: Antriebslosigkeit & Depression

  • Gehemmte Depressionen zeigen sich durch eine starke Antriebshemmung bis hin zum depressiven Stupor

  • sämtliche kognitive Fähigkeiten leiden darunter: Lern- und Merkfähigkeit, Denk-Tempo, Sprechen, Lesen, Rechnen

  • in 50 % der Fälle bleibt das kognitive Vermögen auch nach Remission beeinträchtigt und eingeschränkt

  • Die wichtigsten Anzeichen für eine gehemmte Depression sind leises, langsames Sprechen, verlangsamte Bewegungsmuster und schwerfälliges Denken.

  • Wie bei allen Depressionsformen brauchen gehemmte Depressionen eine psychotherapeutische Behandlung.


Quellen:

1) Brigitte Boothe: Depression – mit sich selbst und der Welt zerfallen (Uni Zürich)
2) Robert-Koch-Stiftung
3) Stiftung Deutsche Depressionshilfe
4) Oberberg Kliniken: Depression – Das Leben wieder spüren
5) Karoline Metzler-Amlacher, Praxis für Psychotherapie und Psychologie
6) Birgit Völkel: Psychrembel Lexikon – Gehemmte Depression
7) soft-skills.com: Gehemmte Depression – Was ist das?
8) Ebel Hermann und Beichert Karl: Depressive Störungen bei Patienten der Allgemeinmedizin: Früherkennung und therapeutische Ansätze
9) H. F. Durwen: Depressionen im Alter
10) Andrea Blank-Koppenleitner: Depressive Verstimmung
11) Julia Dobmeier, Christiane Fuchs: Depression
12) Max-Planck-Institut für Psychiatrie: Depression
13) Neurologen und Psychiater im Netz: Neue biologische Grundlage der Depression auf zellulärer Ebene entdeckt

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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