Ich bin hässlich – Körperbildstörung & falsche Selbstwahrnehmung
„Ich bin hässlich“ ist für Menschen mit Körperbildstörung nicht einfach nur ein Gedanke. Es ist ein quälender Zustand von Minderwertigkeit, der sich in jeder Faser Deines Körpers manifestiert. Was manche als Eitelkeit abtun, ist eine handfeste psychische Erkrankung, die das Leben extrem einschränkt.
Hilfe, ich bin hässlich!
Meist gründet diese Annahme nicht auf objektiven Tatsachen, sondern auf der falschen Selbstwahrnehmung durch eine Körperbildstörung
Die Körperbildstörung ist mehr als Unzufriedenheit
Zwischen der psychischen Krankheit Körperbildstörung und den normalen Sorgen einer Frau bzw. eines Mannes über das eigene Aussehen besteht ein himmelweiter Unterschied.
Klar, jeder ist irgendwie oder immer mal wieder mit seinem Erscheinungsbild oder seiner Figur unzufrieden. Diese stinknormale Unzufriedenheit ist aber nichts, das einen Menschen im Alltag einschränkt, seine Gedanken beherrscht oder ihn leiden lässt.
Die Unterschiede sind sogar einfach zu erkennen: Fühlt Du Dich hässlich und beherrschen diese Gedanken Dein Leben so sehr, dass Du zwanghaft handelst oder Dich wegen Deines Aussehens schämst, dann ist eine Körperbildstörung sehr wahrscheinlich.
Egal, wie oft Dir andere Deine Attraktivität beteuern, Du bist überzeugt davon, dass Deine körperlichen Makel so anormal sind, dass sie jedem sofort ins Auge fallen, der Dich ansieht.
„Die meisten sind überzeugt, dass ihre Sicht der Wahrheit entspricht und dass andere sie genauso sehen. Und ein Grund dafür ist, dass Menschen mit BDD (Body Dysmorphic Disorder) wirklich eine andere visuelle Wahrnehmung haben.
Ihr Gehirn fokussiert auf winzige Details, sie sehen nicht das große Ganze.“ erklärt Expertin Katherine Phillips (9).
Körperbildstörung ist eine Verwandte der Zwangskrankheit
Leider nur wenig bekannt, aber Körperbildstörungen gepaart mit dem Gefühl der Hässlichkeit sind eng verwandt mit Zwangsstörungen. Im ICD-10 finden sie sich unter F45.2 Hypochondrische Störung,
Dysmorphophobie (nicht wahnhaft).
Du musst Dich in jeder spiegelnden Oberfläche betrachten, um Dein Aussehen zu überprüfen. Nur um immer wieder sicher zu gehen, dass jedes Detail sitzt, Du schlank genug aussiehst, dieser oder jener Makel noch versteckt ist.
"Wenn jemand mehr als eine Stunde am Tag für Kontrollrituale aufwendet, im Spiegel, in Fensterscheiben, im Handydisplay sein Aussehen überprüft oder permanent andere zum eigenen Aussehen befragt, sollte man wachsam werden", sagt die Psychologin Viktoria Ritter.
Die Schönheitsmakel, die Du an Dir selbst siehst, rücken unermüdlich in den Mittelpunkt. Sie sind so groß, dass sie jedem ins Auge stechen, der Dich nur mit einem flüchtigen Blick würdigt, denkst Du.
"Die Betroffenen sind oft sehr attraktiv. Ihre Selbsteinschätzung weicht stark von ihrem tatsächlichen Aussehen ab", sagt Viktoria Ritter (2).
Egal, wie oft Dir Leute sagen, wie schön Du bist, egal, wie oft Du angesprochen wirst, weil Du jemandem gefällst – das alles hat keine Bedeutung und ist bloße Farce. Zumindest für Deinen Kopf & Dein Selbstwertgefühl.
Vgl. auch: Kein Selbstwertgefühl – Symptome & Selbstwert-Aufbau (Übungen)
Zwangsgedanken
Sobald Du ein Kompliment erhältst, tauchen Zwangsgedanken auf, wie:
Ich bin so hässlich, dass man mir aus Höflichkeit sagt, dass ich schön bin
Die Komplimente sind nicht ernst gemeint
Das ist auch das Einzige, was man an mir schön finden kann
Du warst wirklich nie schön und wirst es auch nie sein
Zwangshandlungen
Neben den Zwangsgedanken treten aber auch Zwangshandlungen auf:
Manche schminken den vermeintlichen Makel über Stunden.
Andere drehen durch, wenn die Frisur nicht sitzt und so ihre Entstellung offensichtlich wird.
Andere verzweifeln am morgendlichen Ankleiden, weil sie nichts finden, das ihren Makel kaschiert.
„Die meisten quält allerdings eine globale Unzufriedenheit mit ihrem Äußeren“
Das allumfassende Gefühl, hässlich zu sein, kann in den Selbstmord treiben
Was unwissende Leute als oberflächliches, kleines Problem abtun, ist in Wirklichkeit eine sau-gefährliche Angelegenheit. Denn sich bei Körperbildstörung hässlich zu sehen, ist keine Banalität, die sich mit etwas Meditation einfach ablegen ließe.
Körperbildstörungen verursachen ungemeinen Stress in der Psyche und im Körper. Nicht nur Dein Privatleben ist davon betroffen, sondern auch das Berufs- und Sozialleben. Du empfindest Deine körperliche Unzulänglichkeit so stark und schwer, dass bei 70 % Selbstmordgedanken auftreten. (7) Noch krasser: satte 40 % der Fälle von KDS (Körper-Dysmorphe-Störung) begehen tatsächlich Suizid! (1)
Laut offiziellen Statistiken soll es die Körperbildstörung nur zu 1–2 % in der Gesamtbevölkerung geben, doch die Dunkelziffer von unerkannten KDS-Fällen ist extrem hoch. Gerade hinter Ess-Störungen & Magersucht versteckt sich ja die Körperbildstörung.
Und es trifft immer mehr Menschen – ob jung oder alt. Bedingt durch soziokulturelle Faktoren, wie zum Beispiel den Körperkult in den sozialen Medien oder die Vermittlung von perfekten Körperbildern in den Medien (TV, Print, Online).
Verzerrtes Selbstbild & falsche Selbstwahrnehmung
Wie ist es, sich krankhaft hässlich zu fühlen?
Schwierig zu beschreiben. Es ist, als würde Deine Minderwertigkeit durch jede Pore Deines Körpers nach außen dringen. Du siehst Dich im Spiegel an und ekelst Dich vor dem Bild, das Dir unbarmherzige Deine Realität vor Augen führt.
Und das ist nicht nur ein etwas verzerrtes Selbstbild. Denn Du bist überzeugt, in Wirklichkeit siehst Du für andere noch viel dicker, unförmiger und hässlicher aus, als Du Dich selbst wahrnimmst.
Dein minderwertiges Aussehen ist dann Zeugnis für Deine Unzulänglichkeit, Zweitklassigkeit, Abnormität und Wertlosigkeit.
Am schlimmsten ist es in der Öffentlichkeit, wo Du anderen Menschen begegnest. Du spürst Deinen Körper auf eine Weise, die Dir Deine Hässlichkeit immer wieder bewusst macht. In jeder Sekunde und jeder Minute.
Als würdest Du einen zentnerschweren Bauch besitzen, klotzige Beine und viel zu enge Kleidung tragen, welche die Makel Deines Körpers nur noch mehr hervorhebt.
Du fühlst Dich ständig angestarrt und führst alles auf Deine vermeintliche körperliche Unzulänglichkeit zurück.
Gedankenkarusselle wie „Ich war noch nie schön“ oder „Mit so einem Zinken musst Du ja unangenehm auffallen“ halten die Scham und Schande, die Du so tief in Dir spürst, weiter aufrecht und verstärken Deine Angst, von anderen Menschen abgewertet zu werden.
Vgl. auch Schamkrankheiten - toxische Scham
Die Schamgefühle sind so gewaltig, erdrückend und unerträglich, dass es Dich in die soziale Isolation oder Magersucht treibt. Ständig vergleichst Du Dich mit anderen und jedes Mal verlierst Du in Deinem eigenen Selbstbild hinsichtlich Schönheit, Wert und Ausstrahlung. (vgl. auch Was ist Schönheit?)
Ich selbst bin dann zeitweise nicht in der Lage, das Haus zu verlassen. Aus Angst vor den Blicken der anderen, in deren Augen ich glaube, nicht bestehen zu können.
KDS hat oft Depressionen & Angststörungen zur Folge
Es dauert oft lange, bis sich Betroffene in Therapie begeben. Ich selbst konnte durch meine Magersucht und Essstörung die ursprüngliche Krankheit viele Jahre kompensieren.
Ich ging auf Partys, hatte jede Menge Erlebnisse, Reisen etc. Selbstsicherheit verspürte ich allerdings nur, wenn ich nichts gegessen hatte und mein Gewicht so niedrig wie möglich hielt.
Tatsächlich beginnen die meisten Betroffenen (wenn überhaupt) eine Therapie aufgrund von Depressionen, Angststörungen oder Ess-Störungen.
Im Laufe der Psychotherapie arbeitet sich jedoch heraus, dass Depressionen durch die zugrundeliegende Körperbildstörung ausgelöst werden können.
Zusammen bilden die psychischen Leiden einen regelrechten Teufelskreis, der sich nicht durch eigene Kraft durchbrechen lässt und Dein Leben so gewaltsam einschränkt, dass man kaum mehr von Leben sprechen kann.
Ich bin hässlich
Die Ursachen der Körperbildstörung liegen oft in der Kindheit & Jugend
Krankhafte Gefühle, hässlich zu sein, „stehen häufig in Zusammenhang mit negativen autobiografischen Erfahrungen", (2). Es gibt eine genetische Veranlagung für diese psychische Störung, doch in den meisten Fälle liegen die Ursachen in der Kindheit.
Mobbing
Hänseleien
sexueller Missbrauch
körperliche Misshandlung
psychische Misshandlung
Fixierung aufs Aussehen in der Ursprungsfamilie
andere traumatische Erlebnisse vgl. Entwicklungstrauma
Körperbildgestörte Wahrnehmung fixiert sich auf Details
Menschen wie ich haben tatsächlich eine andere Wahrnehmung als „gesunde“ Leute. Dein Fokus ist auf ästhetische Details und Abweichungen gerichtet, die so unverhältnismäßig vergrößert werden.
„Die Teilnehmenden haben ein abstraktes Gemälde betrachtet und sollten dieses dann aus der Erinnerung nachzeichnen. Menschen mit BDD haben dabei immer bei den kleinen Details angefangen, nicht bei den großen Komponenten.“ (9)
„Menschen mit BDD schätzen neutrale Gesichtsausdrücke oft als drohend ein.“
So beschreibt es auch eine Studie von 2020: „Die Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass Essstörungen und körperdysmorphe Störungen mehr sind als nur die Entscheidung, zu essen oder nicht zu essen oder nicht zu mögen, wie man aussieht. Es handelt sich um Hirnanomalien …“ (13)
Hilfe bei Körperbildstörung
Hirnanomalien klingt jetzt nicht gerade nett. Ist aber Fakt. Ob die veränderten Gehirnfunktionen eine Ursache oder aufrechterhaltendes Symptom des KDS Syndroms sind, ist noch nicht raus.
Tatsache ist: Du bist nicht oberflächlich oder minderwertig, wenn Du mit einer Körperbildstörung geschlagen bist. Wichtig ist nur, dass Du Dir Hilfe nimmst. Und zwar professionelle Hilfe. Denn psychische Krankheiten lassen sich zwar eine Weile kompensieren, kehren aber wieder. Anstatt einen großen Teil Deines Lebens mit so hartem Leid zu verschwenden, ist es besser, Du holst Dir die Hilfe, die Du verdienst.
Zum Beispiel hier:
Selbsthilfe-Foren von Betroffenen
Suche nach Selbsthilfe-Gruppen über NAKOS
Psychotherapie: hier suchen
Evtl. interessant für dich:
Angst-Selbsthilfe: grundsätzliche Tipps
Soforthilfe bei Panikattacken
Quellen:
1) Klaus-Grawe-Institut für psychologische Psychotherapie: Ich bin hässlich oder: Körperbildstörung
2) Eva Dignös: Die Angst vor Hässlichkeit. Wenn das Spiegelbild zur Qual wird
3) angst-verstehen.de: Dysmorphobie/Körperdysmorphe Störung – Wenn die körpereigene Wahrnehmung trügt
4) Spektrum Lexikon der Ernährung: Körperschemastörung (body image disorder)
5) pta Forum: Essstörungen: Leiden von Körper und Seele
6) Katrin Fußnacht-Lee: Gestörte Selbstwahrnehmung: Ich bin so hässlich!
7) Katrin Neubauer: Körperdysmorphe Störung – Warum bin ich so hässlich?
8) Ulrike Buhlmann et al: Updates on the prevalence of body dysmorphic disorder: a population-based survey (Studie 2019)
9) Sophia Wagner: Körperbildstörung – Obsessive Fixierung auf eingebildete Hässlichkeit
10) Neurologen und Psychiater im Netz: Verzerrte Körperwahrnehmung begleitet oft Essstörungen
11) C. Emmerling und U. Cuntz: Stationäre Angebote bei Essstörungen – Multimodale Strategien für eine erfolgreiche Therapie
12) Mike Trott: Prevalence and correlates of body dysmorphic disorder in health club users in the presence vs absence of eating disorder symptomology (Studie 2020)
13) Teena D. Moody et al: Brain activation and connectivity in anorexia nervosa and body dysmorphic disorder when viewing bodies: relationships to clinical symptoms and perception of appearance (Studie 2020)
14) Psylex: Menschen mit Magersucht und Körperdysmorphie zeigen Ähnlichkeiten und Unterschiede im Gehirn