Melancholische Depression – Bedeutung & Symptome

Die melancholische Depression wird einerseits als idealtypische Form von Depression beschrieben, andererseits als spezielle Ausprägung mit spezifischen Merkmalen klassifiziert. In jedem Fall geht eine melancholische Depression mit körperlichen, emotionalen und kognitiven Symptomen einher.

melancholische Depression

Melancholische Depressionen

erhielten im Jahr 2022 mit dem ICD-11 eine Neuauflage und damit zunehmende Relevanz in der Psychologie.

Die Melancholie findet sich unter dem Diagnoseschlüssel: 6A80.3

 

Depressionen mit melancholischer Symptomatik

Was in der ICD-10 leichte und mittelgradige Depressionen mit "somatischem Syndrom” waren, wird jetzt nach aktuellen ICD-11 als leichte bis mittelschwere Depression "mit Melancholie" (6A80.3) klassifiziert.

In der NLV Unipolare Depression (4) heißt es: Depressive Patienten mit somatischem Syndrom tendieren zu psychotischen Symptomen und würden einer erhöhten Suizidgefahr unterliegen. Außerdem sollen Depressionen mit somatischem Syndrom eine Eigenständigkeit entwickeln bzw. sich an chronopathologische Prozesse binden.

Diese Definition ist etwas seltsam. Denn von vielen Fachleuten wurde das Konzept der melancholischen Depression bislang anders aufgefasst.

 

Schwere Depressionen gehen immer mit körperlichen Symptomen einher

Übrigens entfällt bei schweren Depressionen der Zusatz “mit Melancholie” oder “mit somatischen Symptomen”, weil schwere depressive Zustände so gut wie immer mit körperlichen Problemen einhergehen.

So steht es in der Fachliteratur – doch leider wird das häufig nicht betont oder hervorgehoben, sodass viele Menschen (u. a. Fachleute) irrtümlicherweise glauben, körperliche Beschwerden bei Depressionen wären ein sehr sehr seltenes Neben-Phänomen.

 

Was sind melancholische Depressionen?

Das lässt sich so nicht genau beantworten. Die melancholische Depression wird in der psychologischen Forschung entweder als schwerer Ausdruck einer klinischen Depression oder als eigenständige Ausprägung/Entität verstanden (10).

Auf der Seite “Neurologen und Psychiater im Netz” heißt es zum Beispiel (3): “Melancholische Depression bedeutet eine schwere Ausprägung der Depression bzw. des Kernsymptoms der Stimmungsstörung.

Und auch auf der Website der Oberberg Kliniken wird die melancholische Depression von der somatischen Depression unterschieden: “Die negative Verstimmung ist besonders schwer ausgeprägt, die Betroffenen berichten häufig, dass sie nichts mehr fühlen können („Gefühl der Gefühllosigkeit“), die emotionale Schwingungsfähigkeit ist stark eingeschränkt, sehr häufig besteht ein ausgeprägtes Morgentief.”

Andere Definitionen finden sich auch in anderen Fachbeiträgen (Quelle 1 und 2), wie zum Beispiel im MSD Manual für medizinische Fachkräfte (5):

Major Depression und anhaltende depressive Störung können einen oder mehrere Spezifikatoren (...) umfassen (...) Melancholisch: Die Patienten haben die Freude an fast allen Aktivitäten verloren oder reagieren nicht auf sonst angenehme Reize. Sie können niedergeschlagen und verzweifelt sein, exzessive oder unangemessene Schuldgefühle, morgendliches Früherwachen und deutliche psychomotorische Verlangsamung haben oder Agitiertheit sowie signifikante Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme aufweisen.”

 

Symptome der melancholischen Depression

Wenn sie als spezifische Depressionsform verstanden wird, zeigt sich die melancholische Symptomatik neben den 3 Hauptsymptomen (Niedergeschlagenheit, Anhedonie, Antriebslosigkeit) durch folgende Anzeichen:

  • Gefühl der Gefühllosigkeit, quälendes Nicht-traurig-sein-können

  • Versteinerung, Starre

  • innere Leere

  • Angst (Zukunft, Alltag, soziale Kontakte)

  • Entscheidungsunfähigkeit

  • Morgentief, Früherwachen

  • mangelnde emotionale Schwingungsfähigkeit (Nicht-herauskommen-können)

  • plötzlicher Beginn und plötzliches Ende depressiver Phasen

  • Schuldgefühle

  • Entfremdung (Trennung von Welt und Mitmenschen)

 

Besonderes Merkmal: gestörtes Zeiterleben

Durch ein gestörtes Zeiterleben soll sich die Depression mit melancholischer Symptomatik deutlich von anderen depressiven Subtypen abheben.

Wegweisend für diese Auffassung waren Tellenbachs Studien zum Typus Melancholicus. Er verstand die "Remanenz" als Charakteristikum der endogenen Depression. Remanenz = Zurückbleiben hinter strengen Selbstansprüchen bzg. Pflichterfüllung und Ordentlichkeit. Damit ist sowohl ein zeitliches Zurückbleiben gemeint als auch ein Schuldig-bleiben.

Nach Tellenbachs Endogenitätstheorie “wird der Lebensrhythmus tendenziell ausgesetzt. Das Selbst ist nur Zeuge eines eingefrorenen Lebens. Der melancholische Patient kann nichts empfinden, nicht einmal Traurigkeit.” Die melancholische Depression “ist endogen eingebogen, ist ein seltsames, unbegreifliches, ungeheuerliches, deformiertes, ja pervertiertes Leiden, gleichsam eine pathische Apathie.” Vgl. auch: Philosophie der Psychiatrie

 

Fazit: melancholische Depression

  • Es gibt keine einheitliche Definition für melancholische Depressionen.

  • Entweder wird sie als Subtyp mit speziellen Merkmalen verstanden, oder als schwere Depression, die nicht klar von einer Major Depression abzugrenzen ist.

  • Die Unklarheit in der Definition hängt wahrscheinlich mit dem Melancholie-Diskurs zusammen, der zwischen genialer Stimmung und Krankheit oszilliert.

Vgl. auch Langzeitfolgen der Depression – Was von der Krankheit bleibt

Sowie » Depression: Gesellschaftliche Ursachen & Determinanten


Quellen:

1) Francesca Brencio, Valeria Bizzari: Melancholic depression. A hermeneutic phenomenological account
2) Hermann Ebel, Karl Beichert: Depressive Störungen bei Patienten der Allgemeinmedizin: Früherkennung und therapeutische Ansätze. In: Dtsch Arztebl 2002; 99: A 124–130 [Heft 3].
3) Neurologen und Psychiater im Netz: Einteilung der Depression
4) Nationale VersorgungsLeitlinien (NVL): ICD-11
5) MSD Manual: depressive Störungen. Ausgabe für medizinische Fachkräfte
6) Springer-Lehrbuch: Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. V. Arolt, C. Reimer, H. Dilling, 2011.
7) WHO: ICD-11. International Classification of Diseases, 11th Revision. The global standard for diagnostic health information
8) G. Parker: Identifying and differentiating melancholic depression in a non-clinical sample. J Affect Disord. 2019 Jan 15;243:194-200. doi: 10.1016/j.jad.2018.09.024. Epub 2018 Sep 12.
9) L. Tondo: Melancholic versus Nonmelancholic Major Depression Compared. J Affect Disord. 2020 Apr 1;266:760-765. doi: 10.1016/j.jad.2020.01.139. Epub 2020 Jan 26.
10) G. Parker et al: Discriminating melancholic and non-melancholic depression by prototypic clinical features. J Affect Disord. 2013 Jan 25;144(3):199-207. doi: 10.1016/j.jad.2012.06.042. Epub 2012 Aug 4.

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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