Hoffnungslosigkeit (Philosophie) – Bedeutung & Merkmale
Wer hoffnungslos ist, hat keine positive Aussicht auf die Zukunft. So untergräbt Hoffnungslosigkeit die Motivation und die Vitalität, die ein Mensch braucht, um das Hier und Jetzt aktiv zu gestalten.
Was bedeutet Hoffnungslosigkeit?
Für das Phänomen der Hoffnungslosigkeit gibt es keine einheitliche und allgemeingültige Definition. Im Grunde versteht man darunter Stimmungen, die von Verzweiflung, Resignation oder Frustration sowie Ohnmacht geprägt sind.
Hoffnungslos zu sein, heißt, keine positiven Aussichten und Auswege wahrzunehmen.
Wenn Hoffnung eine Form ist, sich emotional auf ein positiv gedachtes Zukünftiges einzustellen, dann ist die Hoffnungslosigkeit durch Furcht und einen negativen Zukunftsentwurf gekennzeichnet.
Wortherkunft Hoffnungslosigkeit
Der Begriff ist eine Verneinung von Hoffnung (= mit Zuversicht erwarten, Vertrauen in die Zukunft haben). Früher glaubte die Sprachwissenschaft, hoffen sei mit hüpfen verwandt und versinnbildlicht ein erwartungsvolles Aufspringen. Heute ist diese Auffassung umstritten und der Wortstamm von hoffen weiterhin ungeklärt (1).
Aufschlussreich sind die Beziehungen zu älteren Sprachen: Im antiken Griechenland hatte das Wort ἐλπίς (Hoffnung) ursprünglich nicht die eindeutig positive Bedeutung des heutigen Sprachgebrauchs. Es beschrieb ganz formal den Bezug zur Zukunft eines einzelnen Menschen, was unserem neutralen Begriff der Erwartung entspricht. Die konkrete Bewertung ergab sich entweder aus dem Kontext oder wurde durch Angaben wie gut oder schlecht präzisiert (3).
Erst durch das Christentum erhielt die Hoffnung einen eindeutig positiven Gehalt mit religiösem Charakter, während die Hoffnungslosigkeit als ihr Gegenteil stark abgewertet wurde.
Vgl. Depressionen in der Geschichte: Historie der Depression in Antike, MA, Neuzeit & heute
Wie fühlt sich Hoffnungslosigkeit an?
Während wir in der Hoffnung eine Weite und Leichtigkeit spüren, die uns trägt, erleben wir in der Hoffnungslosigkeit eine existenzielle Schwere und Enge auf geistiger und leiblicher Ebene, welche die vertraute Wahrnehmung der Welt und des Selbst durchdringen.
Dabei kann sich dieser Zustand unterschiedlich äußern:
Die Welt wirkt fahl und grau
Die Dinge wirken sinnlos und unbedeutend
Einsamkeit
Schweregefühl
Engegefühle
Wo wir normalerweise eine Welt voller Chancen vorfinden, bleiben uns wichtige Möglichkeiten in der Hoffnungslosigkeit versagt – sie erschließen sich nicht mehr.
Die Zukunft, ein offenes Feld voller Potenzialität und Erwartungen, schrumpft und versperrt sich einer vorstellbaren positiven Wendung.
Der notwendige Zusammenhang zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, der zeitliche Fluss des Lebens, scheint auseinanderzubrechen.
Hoffnungslosigkeit geht oft mit existenzieller Einsamkeit einher, die sich nicht nur auf das Fehlen des Anderen bezieht, sondern die Disruption des Mit-Seins umfasst.
Vgl. auch Einsamkeit in der Depression sowie Einsamkeitsfähigkeit
Unterschied: Hoffnungslosigkeit & Verzweiflung
Verzweiflung richtet sich eher auf eine extreme Diskrepanz zwischen der eigenen Existenz und den angestrebten Seinsmöglichkeiten. Das Gefühl der Sinnlosigkeit und der Unmöglichkeit, ein authentisches Selbst zu realisieren, verdichtet sich quasi im Verzweifelt-sein.
Das Ganze ist allerdings von einer Spannung und damit Bewegung geprägt, einem aktiven Ringen um die Überwindung des Widerstandes.
Dahingegen tendiert Hoffnungslosigkeit zu einer Art Passivität: Ein hoffnungsloser Mensch nimmt die mögliche Zukunft als unwiederbringlich versperrt wahr und hält jeden Widerstand für sinnlos.
Psychologie über Hoffnungslosigkeit
In der Psychologie gibt es keine klare Definition. Oft wird sie als die negative Erwartungshaltung dargestellt, ein gewünschtes Ziel in Zukunft nicht zu erreichen. Während einige Ansätze den kognitiven Aspekt betonen, verstehen andere die Hoffnungslosigkeit als affektiven Zustand.
Entsprechend wird hoffnungslos zu sein als Symptom von psychischen Störungen wie der Depression begriffen. Auch gilt sie als Prädiktor für einen negativen Therapieverlauf. Hier ist Hoffnungslosigkeit eine Disposition, die sich in negativen, entwertenden Gedankenmustern niederschlägt.
Hoffnungslosigkeit in der Philosophie
Aus der Perspektive des Existenphilosophie (vgl. Sartre) oder der Phänomenologie (vgl. Husserl) ist Hoffnungslosigkeit nicht bloß ein emotionaler Zustand, sondern eine Form des In-der-Welt-Seins. Die Leere, die aus der Erfahrung der Hoffnungslosigkeit erwächst, führt zu einer Konfrontation mit dem „Nichts“, einer fundamentalen und unhintergehbaren Komponente der menschlichen Existenz.
In der existenzphilosophischen Literatur wird die Überwindung der Hoffnungslosigkeit als Prozess beschrieben, der tiefes persönliches Wachstum und eine Neubewertung der eigenen Existenz ermöglichen kann.
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In "Die Krankheit zum Tode", einem seiner Schlüsselwerke, erörtert Kierkegaard das Konzept der Verzweiflung, was man als eine Form von tiefer, existenzieller Hoffnungslosigkeit verstehen könnte. Verzweiflung beschreibt bei ihm einen Zustand, in dem das Selbst nicht in Einklang mit dem eigenen Wesen oder der eigenen Identität ist. Die Ursache der Verzweiflung liegt in der Diskrepanz zwischen dem, was man ist, und dem, was man sein möchte oder sein könnte – im Grunde ein Konflikt zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit.
Für Kierkegaard ist diese Verzweiflung eine Bedingung der menschlichen Existenz, eine unvermeidliche Begleiterin des Strebens nach einem authentischen Selbst, das sich vor Gott definiert.
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Schopenhauer betrachtet das Leben generell von Leiden und Mangel bestimmt, die den Nährboden für Hoffnungslosigkeit bilden. In seinem Hauptwerk "Die Welt als Wille und Vorstellung" argumentiert er, dass das Wollen, getrieben von unstillbaren Begehren, zu ständiger Frustration führt. Hoffnungslosigkeit erscheint hier als Konsequenz eines zyklischen sinnfreien Strebens ohne wahre Erfüllung.
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Nietzsche hingegen thematisiert Hoffnungslosigkeit im Rahmen der Überwindung herkömmlicher moralischer und metaphysischer Werte. In "Also sprach Zarathustra" erörtert er den "letzten Menschen", der in Selbstgefälligkeit und Komfort kein Streben nach Größe oder Überwindung mehr kennt.
Nietzsche sieht in diesem Zustand einen Mangel an Lebensbejahung, der in einer stillstehenden, hoffnungslosen Erschöpfung mündet. Er setzt dieser Hoffnungslosigkeit das Bild des "Übermenschen" entgegen, eine Figur der ständigen Selbstüberwindung und Neuschöpfung von Sinn.
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In seinem Essay "Der Mythos von Sisyphos" beschreibt Camus das Leben als absurd und versteht Hoffnungslosigkeit als Erkenntnis des Absurden. Der Mensch strebt nach Sinn in einer sinnlosen Welt, ein Unterfangen, das unvermeidlich zu Enttäuschung führt. Camus ruft jedoch zur Revolte auf – im Bewusstsein der Absurdität kann man dem Leben eigene Bedeutungen geben, wodurch Hoffnungslosigkeit nicht zum Stillstand, sondern zur Herausforderung wird.
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Der rumänische Philosoph und Essayist Cioran untersucht Hoffnungslosigkeit als zentralen Aspekt menschlicher Existenz. In Werken wie "Vom Nachteil, geboren zu sein" betont er die unentrinnbare Natur menschlichen Leidens und bringt eine grundlegende Skepsis gegenüber dem Wert des Daseins zum Ausdruck. Hoffnungslosigkeit wird bei Cioran nicht als vorübergehende Krise, sondern als tiefgreifende, dauerhafte Realität des menschlichen Zustandes behandelt.
Kreative Hoffnungslosigkeit
in der Akzeptanz- und Commitmenttherapie
Auf die existentialistische Lesart baut das Konzept der „kreativen Hoffnungslosigkeit“ auf: Es bezieht sich auf einen Zustand, in dem ein Mensch zwar den Sinn in seiner aktuellen Situation nicht findet, aber gerade dieses Empfinden als Startpunkt für eine persönliche Entwicklung nutzen soll. (Vgl. Was dich nicht umbringt, macht dich stärker – Wachstum nach Trauma?)
Es ist gewissermaßen ein paradoxes Konzept: gerade weil wir keinen Ausweg sehen, beginnen wir, Dinge anders zu betrachten und uns neue Wege und Lösungen auszudenken.
Kritik der kreativen Hoffnungslosigkeit
Wie bei so vielen Emotionen (zum Beispiel Melancholie) bemüht man sich in der heutigen Psychologie um eine positive Umdeutung. Dabei verfällt man genau ins andere Extrem und idealisiert die Hoffnungslosigkeit als universelle Kraft zur Sinnstiftung:
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Das Konzept der kreativen Hoffnungslosigkeit verführt dazu, reale Schwierigkeiten und ernsthafte Leiden zu unterschätzen. Nicht jede Form von Hoffnungslosigkeit kann kreativ umgewandelt werden oder ist allein im Einzelnen begründet, insbesondere wenn tiefgehende psychische oder soziale Probleme vorliegen.
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Was in einer Person kreatives Potenzial weckt, könnte eine andere in eine tiefe Depression stürzen. Die Fähigkeit, Hoffnungslosigkeit zu überwinden, hängt von der aktuellen Verfassung, vielfältigen Umweltfaktoren, persönlichem Kontext und verfügbaren Ressourcen ab.
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Müssen negative Gefühle und Stimmungen in positive Empfindungen, Gedanken oder Handlungen umgewandelt werden, um sich bewältigen zu lassen?
Nicht unbedingt. Vor allem nicht, wenn wir die binäre Unterscheidung von guten und schlechten Gefühlen aufgeben und ihnen allen Bedeutsamkeit zusprechen.
Weiter gefragt: Muss sich jedes negativ erfahrene Gefühl produktiv auswirken oder nutzen lassen?
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Die kreative Hoffnungslosigkeit versteht das Gefühl von Hoffnungslosigkeit als inner-psychischen Prozess. Dabei werden vielfältige äußere Einflussfaktoren, wie strukturelle Ungerechtigkeit oder sozioökonomische Bedingungen, (wieder einmal) ignoriert oder heruntergespielt.
Die Relevanz von Zukunft & Hoffnung für das Dasein
Menschen besitzen immer eine Gewissheit, dass sich Dinge zum Guten ändern können. Selbst wenn eine Situation ausweglos erscheint, bleibt das grundsätzliche Gefühl, dass sich im Leben generell etwas zum Besseren ändern könnte.
Die Zukunft hat für Menschen eine besondere Relevanz. Sie ist eine Art von zeitlicher Orientierung und wesentlich für das, was wir Leben nennen. Die Zukunft zieht uns an, sie animiert uns zum Handeln und verspricht Neues, Veränderung, Entwicklung.
Unsere Hoffnungen, Erwartungen und Handlungsbereitschaft sind daher eng mit unserem Zukunftssinn verknüpft. Wir haben eine grundlegende Gewissheit,
dass sich die Dinge ändern;
dass es zukünftig anders sein könnte;
dass es mehr gibt, als das, was jetzt ist;
dass wir dazu beitragen können, eine Veränderung zu bewirken.
All dies geschieht nach phänomenologischer Auffassung nicht in Form von nachgelagerten Gedanken und Reflexionen, sondern eines primären und wesentlichen Vorbezuges menschlicher Erfahrung. (Vgl. Du bist, was Du denkst – Was sind Gedanken?)
Depression: Hoffnungslosigkeit durch Zukunftsverlust
In der Depression können wir uns keine Zukunft mehr vorstellen. Eine positive Wendung kann nicht gedacht werden. Oder anders ausgedrückt: Die einzige Zukunft, die sich vorstellen lässt, ist eine ewige Wiederkehr der trostlosen Gegenwart: monoton und unveränderlich. Depressive erfahren die Zeit in einer leeren und gleichförmigen Aneinanderreihung von Momenten, die sich bedrohlich und unaufhaltsam in die Weite spannen.
Veränderung ist in dieser Welt nicht möglich.
Wenn es keine Zukunft mehr gibt, dann steht unsere Welt buchstäblich still. Da sind nur noch Vergangenheit und Gegenwart, die chaotisch ineinanderfließen. Ohne Zukunftssinn gibt es auch keine Hoffnung und auch keine Motivation, überhaupt etwas an der gegenwärtigen Lage zu ändern.
Auf diesem Hintergrund baut die Überzeugung vieler Betroffener auf, dass nichts und niemand ihnen helfen kann. Diese Hoffnungslosigkeit ist außerdem Ursache dafür, dass manche sich weigern, Hilfe überhaupt anzunehmen.
Anstatt ein Bewusstsein – oder zumindest eine intuitive, präreflexive Gewissheit – einer Veränderbarkeit zu haben, besetzt eine erstarrte Gegenwart den Zukunftssinn. Die Zukunft wird von einem Ich-Könnte zu einem Ich-kann-Nicht. Auf diese Weise wandelt sich die Welt und alles darin zu etwas Bedrückendem und Bedrohlichem.
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Fazit: Hoffnungslosigkeit
In der Philosophie ist Hoffnungslosigkeit weniger ein isoliertes Gefühl als eine umfassende existenzielle Befindlichkeit, die Gefühlskomponenten beinhaltet, jedoch über die klassische Definition hinausgeht.
Speziell aus phänomenologischer Perspektive sind Gefühle als Formen des ‚In-der-Welt-Seins‘ zu verstehen– bedeutet: Hoffnungslosigkeit ist auch eine Art der Weltwahrnehmung und Weltbegegnung.
Sie kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist immer in ihrem lebensweltlichen Kontext zu begreifen.
Quellen:
1) „Hoffnung“, in: Wolfgang Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993)
2) METZLER LEXIKON PHILOSOPHIE: Hoffnung
3) Hans-Georg Link (1974): «Hoffnung», in: J. Ritter (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel: Schwabe Verlag. DOI: 10.24894/HWPh.1562
4) Christoph Demmerling: Philosophie der Gefühle. Von Achtung bis Zorn, 2007