Interview: Psychosoziale Umschau 2/2022
Vor einiger Zeit wurde ich von SOULLALA für einen Artikel in der PSU interviewt. Dabei ging es um das Thema “Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache. Können soziale Netzwerke dabei helfen, sich selbst besser zu fühlen und Vorurteile abzubauen?” Da die Antworten leider nur teilweise abgedruckt wurden, möchte ich hier noch einmal meine Aussagen in voller Länge wiedergeben.
Thema: Social Media & Entstigmatisierung
Das Interview fand im Auftrag des Dachverbands Gemeindepsychiatrie e.V. statt
Seit wann bist du auf Instagram aktiv?
Seit Juli 2020
Was waren deine Beweggründe dich auf Instagram anzumelden?
Mir war es aus persönlichen Gründen wichtig, die Entstigmatisierung von Depressionen und psychischen Erkrankungen voranzutreiben. Aber auch Betroffenen & Angehörigen zu helfen, mehr Verständnis für sich selbst und die Krankheitssituation zu entwickeln.
Warum ist es dir wichtig über psychische Erkrankungen zu berichten?
Das hat ethische und persönliche Beweggründe.
1) Ich bin schon seit meiner Jugend psychisch krank, wusste aber lange nichts davon. Erst nach 2017 erhielt ich die Diagnosen Depression, Magersucht & Sozialphobie.
Allerdings war und ist die psychotherapeutische Betreuung & Aufklärung über weite Strecken mangelhaft: Viele Informationen, um mich und meine Krankheiten zu verstehen, musste ich selbstständig recherchieren.
Ich möchte also Betroffene zur Selbsthilfe anleiten, indem ich wichtige Informationen leicht verständlich aufbereite.
2) Außerdem bestehen zu viele Vorurteile über psychische Störungen, darüber zu reden ist immer noch ein Tabu. Stigmatisierung und Diskriminierung lassen sich aber nur abbauen, wenn wir darüber sprechen. Ich möchte zu mehr Offenheit in der Gesellschaft beitragen und andere motivieren, den gleichen Schritt zu tun.
3) Als Philosophin greift mir persönlich der psychologisch-neurobiologische Ansatz zu kurz. Da wird viel mit naturalistischen Voraussetzungen gearbeitet, die dem Menschen nicht gerecht werden und ihn auf eine biologische Reiz-Reaktions-Maschine reduzieren.
In der Philosophie finden sich hingegen Ideen & Gedanken, die sehr viel zum Verständnis von Psyche & psychischen Krankheiten beitragen können. Diese philosophischen Gedanken möchte ich zugänglich machen und so Verständnis fördern.
Warst du schon immer so offen über deine Erkrankung zu sprechen?
Nein, ich habe mich früher für meine psychischen Probleme geschämt. Das wurde sogar noch schlimmer, als ich die Diagnosen erhielt. Ich stieß vielfach auf Unverständnis und Vorurteile – sowohl innerhalb der Familie als auch im Freundeskreis. Hinzukommt dass die Krankheiten selbst Schamgefühle fördern. Vgl. auch Schamkrankheiten - toxische Scham
Erst als ich mit meinem Blog und Instagram den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt habe, kann ich offener darüber sprechen.
Welche Vorteile siehst du auf Instagram und welche Nachteile in Hinblick auf das Thema psychische Erkrankungen?
Die Vorteile liegen im schnellen und einfachen Austausch Gleichgesinnter & Betroffener. Mittlerweile hat sich auf Instagram eine Mental Health Community geformt, die ich so nicht erwartet hätte. Auch der Austausch innerhalb der Bubble ist überwiegend wertschätzend und freundlich. Das unterstützt und motiviert Betroffene, darüber zu reden und sich Hilfe zu holen.
Der Nachteil ist allerdings das Medium selbst und der Umgang damit.
Die Entstigmatisierung bleibt leider innerhalb der Bubble und erreicht kaum Menschen, die sich in anderen Diskursen bewegen. Es ist also schwer, Menschen außerhalb der Community zu erreichen.
In letzter ist mir auch aufgefallen, wie hitzig die Diskussionen und Kommentare werden, sobald man die Filterblase verlässt. Da ist leider viel Emotion und selektive Wahrnehmung am Werk, auch Ignoranz und persönliche Vorurteile.
Der soziale Druck, den Instagram verbreitet und verstärkt, ist zudem gewaltig. Und gesellschaftliche Normen sind ein wesentlicher Faktor in der Krankheitsentstehung, das legen allerlei Studien nahe.
Hat sich für dich etwas verändert seitdem du auf Instagram berichtest (in Hinblick auf eigene Erkrankung, Beziehung zu anderen Erkrankten und Nicht-Erkrankten)
Ich habe an mir selbst bemerkt, wie stark Instagram mich in seinen Bann zieht. Die optimierten Bilder & Videos triggerten meine psychischen Probleme, was sich bei mir durch Vergleichszwang, vermehrte Selbstzweifel, Ängste und depressiven Stimmungen äußerte.
Darum achte ich jetzt darauf, Instagram (fast) ausschließlich zur Content-Verbreitung zu nutzen.
Instagram steht teilweise in der Kritik, psychische Erkrankungen zu begünstigen. Wie stehst du dazu?
Tatsächlich sehe ich da ganz klar eine Gefahr in den digitalen Medien. Im Online-Marketing ist längst bekannt, wie Menschen im Internet lesen und handeln: Durch die Content-Flut sind User darauf trainiert, schnell die richtigen Infos für sich herauszupicken. Gleichzeitig werden sie von visuellen Reizen (Bildern, blinkenden Bannern etc.) bombardiert.
Schnelles Scannen & Lesen erfordert beschleunigtes Denken und Urteilen, das führt allerdings zu kognitiven Automatismen, Manipulierbarkeit und Denkfehlern.
Nicht umsonst fürchten Soziologen und Philosophen eine Verflachung des Denkens durch unbedachten Gebrauch des Internets. Was im Weiteren Sinne wirklich eine Gefahr für mündiges Denken und selbstbestimmtes Handeln darstellt.
Vgl. auch: Algorithmen auf Social Media – Jenseits von Gut und Böse
Bei Instagram kommt zur Content-Flut der soziale Druck hinzu: Gerade oberflächliche Trends unserer Leistungskultur, wie Toxische Positivität, Körperkult und Selbstoptimierung stehen hier im Fokus.
Das verzerrt die gesellschaftliche Alltagsrealität gewaltig, zementiert aber gleichzeitig ein utopisches Menschenbild, das durch Perfektion und Erfolg glänzt.
Für psychisch Kranke ist ein solches Klima giftig, da ihre Selbstzweifel, Schamgefühle & Minderwertigkeitskomplexe so verstärkt angesprochen werden. Generell wirkt der soziale Druck auf Instagram aber auf jeden Menschen schädlich, wenn er sich zu viel damit beschäftigt. Einfach weil sich die idealisierten Bilderwelten so sehr vom echten Leben unterscheiden, aber als Norm verstanden werden.
Die einzige Möglichkeit, sich dem zu entziehen, ist: Instagram bewusst und wohl dosiert zu nutzen.
Welche Risiken siehst du im Umgang mit sozialen Medien?
Social Media ist ein Stück gesellschaftlich konstruierte Realität, das leider stark über Idealisierung und Stereotype arbeitet.
Die Plattformen & Apps sind von ihrer Programmierung her so eingerichtet, dass sie als Trendverbreiter und -verstärker fungieren.
Das verzerrt, meiner Meinung nach, den Blick auf unsere unperfekte Lebenswirklichkeit, fördert chronische Unzufriedenheit und Fremdbestimmung.
Hältst du es für wichtig, dass Aufklärungsarbeit auch über die sozialen Medien stattfindet?
Total wichtig, weil Social Media nun mal zur modernen Gesellschaft gehören. Allerdings müsste es viel mehr Aufklärung und mehr professionelle Aufklärungsarbeit geben, um die Filterblasen zu durchbrechen und aufmerksamkeitswirksame Reichweite zu generieren.
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