Depressionen & soziale Phobie – Mutruf einer Betroffenen
Betroffene: Tamara Niebler
Diagnosen: schwere Depression und soziale Angststörung
Therapien: 1 stationärer Klinikaufenthalt, 2 ambulante Psychotherapien
Wie und wann hast du von deiner Erkrankung erfahren?
Das hat ziemlich lange gedauert. Zuvor litt ich gut 15 Jahre an Magersucht, die hat jedoch auch niemand erkannt. Als ich die dann einigermaßen überwunden hatte (mit meinem Partner), machten sich körperliche Depressionssymptome und eine soziale Phobie bemerkbar. Vgl: Soziale Phobie Symptome
Die Diagnose schwere Depression mit gemischter Angststörung erhielt ich 2017, nachdem ich einen kompletten psychischen und körperlichen Zusammenbruch hatte (ausgelöst durch den Tod meines Stiefvaters).
„Die Anzeichen waren nicht mehr zu übersehen“
Wochen- und monatelang konnte ich nicht mehr richtig essen oder trinken, übergab mich trotzdem ständig, konnte nicht mehr schlafen, war fertig mit der Welt, wollte niemanden sehen.
Da war nur noch Angst vor Verurteilung, Angst verrückt zu werden, Angst zu sterben. Ich brach in Tränen und Panik aus, nur bei dem Gedanken, hinausgehen zu müssen und anderen Menschen zu begegnen. (Vgl. auch Panikattacke: Nachwirkungen – Symptome danach)
Das war der Zeitpunkt, an dem mich mein Partner zum Hausarzt brachte. Der erkannte sofort eine Angststörung und vermutete Depressionen.
Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?
Weil ich es satt habe, leise zu sein und mich mit Vorurteilen plagen zu müssen.
Ich habe gerade erst wieder eine extrem schmerzhafte Erfahrung hinter mir. Die hat mich wach gerüttelt:
So viele Betroffene können nicht darüber sprechen. Darum will ich es jetzt tun – für alle, die nicht laut sein wollen oder können.
Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat?
Und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld (und der Gesellschaft) in Bezug auf deine Erkrankung wünschen?
Puh, das war recht heftig. Als ich meinem Chef damals die Wahrheit über meine Krankschreibung sagte und meinte, ich wäre wohl länger weg, lag am nächsten Tag die Kündigung in meinem Briefkasten.
Familie und Freund*innen reagierten zwar freundlich, aber wirklich begriffen hat niemand, was ich da durchmache. Es hat auch niemand gefragt. Teilweise aus Angst, im Umgang mit psychisch Kranken etwas falsch zu machen.
Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?
Mir haben am meisten die Gespräche mit meiner damaligen Psychotherapeutin geholfen. Und mich selbst mit der Krankheit und der menschlichen Psyche auseinanderzusetzen. Außerdem mein Ehemann, der diese ganze schwere Zeit immer wieder mit mir zusammen durchsteht.
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Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?
Kommt die gewaltige Angst über mich, hilft mir nur noch annehmen und vorübergehen lassen. Ich mache dann oft eine Atem-Meditation, die beruhigt mich meistens. Ansonsten gilt für mich: regelmäßiger Sport, viel Lesen, über meine Gedanken auf meinem Blog schreiben.
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Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Du darfst dir Hilfe nehmen – jede*r darf und soll. Das ist keine Schwäche, sondern eine unheimliche Stärke.
Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben?
Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?
Nehmt es nicht persönlich, wenn sich Depressive verschließen oder allein sein möchten.
Gebt keine weisen Ratschläge, sondern hört bitte einfach nur zu. » Warum Ratschläge wie Schläge sind
Habt Verständnis für die Krankheit und ihre heftigen Symptome: das ist oft die größte Hilfe.
Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?
Mir ist es wichtig, nichts von anderen zu übernehmen, sondern selbständig zu prüfen und zu interpretieren.
Der Originalbeitrag ist hier erschienen: mutmachleute.de - Betroffene