Grenzüberschreitungen in der Psychotherapie

 

Dieser Beitrag ist für …

Betroffene und Hilfesuchende …

… auf beiden Seiten der therapeutischen Beziehung! Auch wenn du selbst Therapie oder Psychiatrie ausübst, möchte ich dich herzlich einladen, dir diese Berichte anzusehen. Wir Fachleute können viel aus ihnen lernen. Meinst du nicht?

Ich fange mal mit meinen eigenen Erfahrungen an:

 

Meine eigenen Erlebnisse

Meine Ausbildung in Gestalttherapie - ein gutes schlechtes Beispiel

4 Jahre lang dauerte meine Ausbildung in Gestalttherapie. Das war von Anfang 1981 bis Ende 1984. Es war eine wunderbar aufregende Zeit. Verschiedene Trainer – so hießen die damals – bereiteten mir und meiner Ausbildungsgruppe vielfältige neue Erfahrungen. Gestalttherapie war mit ihrem lebendigen, geradezu anarchistischen Vorgehen und mit der Betonung des gegenwärtigen Kontaktes ein provozierender Kontrapunkt gegen die verkrusteten etablierten Verfahren wie Psychoanalyse und Verhaltenstherapie.

Wozu Selbstherrlichkeit so führen kann …

Leider verführte sie so manchen, gerade auch unsere Trainer, zu Selbstherrlichkeit und Ausbeutung der Patienten bzw. Ausbildungskandidatinnen. Ich habe besonders von einem unserer Gurus (dessen Name nicht genannt werden darf) so viele aggressive und abwertende Breitseiten abbekommen, dass ich 4 Jahre lang immer kurz vorm Hinschmeißen war.
Andere Teilnehmer wurden ausgebeutet, indem sie bspw kostenlose Gartenarbeit in der toskanischen Hitze verrichten mussten und sich einreden ließen, dies sei therapeutisch wertvolle „Körperarbeit“.
Einige Teilnehmerinnen mussten sich immer wieder vor sexuellen Nachstellungen in Sicherheit bringen, welche der jeweilige Trainer geschickt als Aufforderung zu „Experimentierfreude“ und „persönlichem Wachstum“ tarnte.
Das nahm mitunter Züge von Gehirnwäsche an.

Persönliches Fazit

Etwa 40 % von all diesen therapeutischen Erfahrungen halte ich im Rückblick für lernenswert. Die restlichen 60 % haben mir deutlich gemacht, wie ich als Therapeut NICHT sein will – vielleicht sogar eine noch wichtigere Lernerfahrung!
Diese Trainer – es waren vor allem Männer! – waren für mich wirklich gute schlechte Lehrer!

Immerhin inspirierte mich deren selbstkritikfreies Agieren zu der Beschäftigung mit der Frage, wie denn Wahrheit in der Therapie entstehen könne. Daraus wurde schließlich meine Dissertation über Erkenntnistheorie und Ethik in der Psychotherapie.

Was vielleicht am schlimmsten war:

Die meisten Auszubildenden dachten nach jeder Verletzung:

Genau! Das hab‘ ich gebraucht! Gut, dass ich so massiv konfrontiert worden bin!!
Ich kann mir gut vorstellen, dass auch Patientinnen und Patienten ähnliche Erlebnisse auf eigene Schwächen zurückführen oder sich irgendwie schönreden.

Dass es sich in Wirklichkeit um Übergriffe und Anmaßungen handelte, wurde mir erstmals klar, als ich auf einer Tagung Andere von ihren verletzenden Erlebnissen in der Ausbildung erzählen hörte.

Auswirkungen auf meine Arbeit

In dieser Zeit arbeitete ich zuerst in einer Klinik für Alkohol- und Medikamenten-Abhängige, schließlich in einer stationären Drogeneinrichtung.
Immer mehr wurde mir klar: Auch in diesen Settings wurde massiv mit vermeintlich therapeutischen Drohungen, Kränkungen und Strafen gearbeitet!

  • Patientinnen wurden in der sogenannten Römischen Arena niedergebrüllt;

  • Patienten wurden entlassen, wenn sie sich verliebten;

  • Klienten bekamen ein Türblatt auf den Rücken geschnallt, wenn sie ihre Spiegel nicht streifenfrei putzten. (Das war wirklich so, auch wenn man es nicht glauben mag!)

Ich muss zugeben:

Anfangs machte ich mit, voll von eigenen Erfahrungen mit angeblich heilsamen Konfrontationen. Mir gefiel es, Macht zu besitzen und Wirkung zu haben. Zum Glück bemerkte ich bald, dass es sich um schädliche Introjekte, also „Geschlucktes“, handelte und konnte dies abschütteln.

Das war mir eine Lehre!

 

Aber ich wurde – und deshalb möchte ich all diese Erfahrungen nicht missen – sensibel dafür,

  • wie man sich als Patientin oder Patient fühlt,

  • wie schwer es für Hilfesuchende sein muss, sich gegen Verletzungen, Erniedrigungen, Nötigungen zur Wehr zu setzen.

  • Mein Therapeut, denkt man also, will mich doch heilen! Also ist alles gut, was er macht! Also stimmt MIT MIR etwas nicht, wenn ich mich verletzt fühle!

 

Fragen Sie bitte Ihre Patientin und Ihren Patienten!

Fortan habe ich Menschen, denen ich gegenüber saß, nach ihren Erfahrungen von Verletzungen gefragt.
Ich möchte alle Fachleute ermutigen, dies immer wieder zu tun!

Und bitte auch immer wieder die Frage stellen:

Habe ich Sie mit irgendetwas verletzt?

 

Die Berichte von Betroffenen

In den folgenden Blog-Artikeln lasse ich Menschen mit negativen Therapie-Erfahrungen zu Wort kommen.

 

Ermutigung und Emanzipation

Ihre Schilderungen sollen dir zeigen, dass du nicht allein mit deinen schlechten Erlebnissen bist. Sie sollen dich auch ermutigen, deinem Therapeuten oder deiner Psychiaterin selbstbewusst mitzuteilen, wie du dich fühlst. Setze dich ggf zur Wehr oder beende, wenn ein klärendes Gespräch nicht möglich ist, die Behandlung.

Negative Erlebnisse werden aus allen Richtungen und Schulen der Psychotherapie und Psychiatrie geschildert.

 

Diese Betroffenen erzählen in den folgenden Beiträgen:

  • Moira D hat einen Spiegel

… den sie Fachleuten vorhält. Sie meint, Selbsterkenntnis sei der erste Schritt zur Besserung. Für Therapeuten!

  • Jasmin R hat einen Ausraster

… als Therapeuten. Und danach hat sie es mit einem Schläfer zu tun.

  • Andreas O sucht Heilung

… und findet sich im Exil wieder.

  • Vera A überlebt nur knapp

… 8 Monate Klinik. Sie sucht Halt und Wärme, erfährt aber Desinteresse, Kälte und Abstinenz.

  • Kristin, das Ego-Monster,

… kann ihrem Psychologen leider auch nicht helfen!

Anja S gewinnt einen Professor

… und verliert ihren Job, ihre Doktorarbeit, ihren Ruf und beinahe ihr Leben. Ihr Therapeut klebt ihr ein Etikett auf die Stirn mit der Aufschrift: narzisstisch!

 

Das sind nur einige Schilderungen aus einer Vielzahl von therapeutischen Verletzungen, von denen mir immer wieder berichtet wurde und wird.

Dr. phil. Michael Mehrgardt

Hallo, meine Name ist Dr. phil. Michael Mehrgardt und ich war fast 40 Jahre lang als Psychologischer Psychotherapeut tätig. Dabei musste ich viele Missstände kennenlernen, die ich auf diesem Psychotherapie-Blog offen anspreche, das Thema: Grenzverletzung in der Psychotherapie. Auf meinem YouTube-Vlog  findest du Selbsthilfe-Tipps bei Depressionen, Ängsten, Paarkonflikten & Co.

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Depression: Aggression & Impulsivität in 50 % aller Fälle

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Sterben und Tod – Was man darüber lernen kann