Was bei Depressionen hilft #1
Ein wohltuend anderes Modell der Depression
Dieser Beitrag bietet Anregungen
zur Selbsthilfe. Er ersetzt keine Psychotherapie.
Ein Witz
Es gibt einen Witz, der ganz treffend das – manchmal etwas vorschnelle – Denken und Schlussfolgern der Wissenschaft karikiert:
Ein Mann torkelt im Schein einer Straßenlaterne umher und sucht etwas. Jemand kommt ihm zu Hilfe und fragt ihn, was er denn verloren habe. Er suche seinen Autoschlüssel, antwortet der Betrunkene. Der Passant hilft bei der Suche und fragt schließlich, wo er ihn denn verloren habe, er könne ihn nirgends finden. „Na, da hinten, in der Ecke …“ Erstaunt fragt ihn der Helfer, warum er denn nicht eben dort suche. Weil es hier heller sei, meint der Mann.
Die wissenschaftliche „Denke“
Gewiss wäre es ein bisschen böse, zu behaupten, Wissenschaft funktioniere immer genau auf diese Weise. Demnach würde sich ja jede Wissenschaftlerin dort auf die Suche begeben, wo es heller ist, sprich: wo sie sich auskennt. In ihrem Fachgebiet eben.
Aber so ganz falsch ist es auch nicht …
Es kommt sogar noch besser: Im Unterschied zu dem Betrunkenen wird sie sogar fündig! Dies als solches ist gar nicht erstaunlich, wenn man nämlich die ungeheure Komplexität des Systems Mensch bedenkt. Systemtheoretisch betrachtet, ist es nahezu zwingend, dass man, sobald man an einer bestimmten Stelle die Veränderung A macht, an einer beliebigen anderen Stelle ebenfalls auf eine Veränderung B trifft, die mit A einhergeht.
Wenn man z. B. auf eine bestimmte Stelle einer Luftmatratze drückt (A), erhöhen sich an jedem anderen Punkt (B) die Druckverhältnisse.
Von Ursachen und Folgen
Fragwürdig ist es jedoch, wenn der Forscher A für die Ursache von B hält! Wie in unserem Luftmatratzen-Beispiel hat man oftmals zwar den zwingenden Eindruck, dass A das Ereignis B verursacht, aber …
Es handelt sich jedoch um eine Schlussfolgerung, die genau besehen willkürlich und nicht selten falsch ist!
Denn es könnte sich auch umgekehrt verhalten, dass nämlich B die Ursache von A ist oder beide Variablen von gänzlich anderen Faktoren bedingt werden.
Was heißt das für die Depression?
Wenn die Forschung bei depressiv Erkrankten eine Reduktion der Menge an bestimmten Botenstoffen (Serotonin) zwischen den Synapsen feststellt, heißt dies nicht zwingend, dass dieser Befund die Ursache für die Erkrankung darstellt.
Die Verminderung der Botenstoffe kann nämlich auch Folge der Depression sein.
Oder beide Ereignisse gehen auf gänzlich andere Ursachen zurück.
Mehr dazu in meinem Blog-Artikel über
Pro & Contra bei Antidepressiva
(Bild: Canva/ MM)
Vormacht der Serotonin-Hypothese
Aufgrund dieser Argumentation können wir natürlich auch nicht ausschließen, dass es körperlich bedingte Depressionen gibt, etwa infolge eines Mangels an Botenstoffen oder Hormonen, einer Demenz, eines Hirntraumas etc.
Aber wir sollten die vorherrschende Serotonin-These als einziges Erklärungs-Modell zurückweisen. Diese hat nämlich dazu geführt, dass andere Erklärungs-Ansätze seitens der Psychiatrie und Psychotherapie vernachlässigt wurden. Kulturelle und familiäre Faktoren, wirtschaftliche Not und prekäre Arbeitsbedingungen, Diskriminierungen und Gewalterfahrungen spielen in der Genese von psychischen Krankheiten ganz sicher eine große Rolle.
Ein wohltuend anderer
Blick auf die Depression
Ich möchte deshalb die Volkskrankheit Depressionen aus einer Perspektive betrachten, die
der Gesellschaftsvergessenheit der offiziellen Psychotherapie entgegenwirkt,
kulturelle Prozesse in den Blick nimmt, die uns alle, Gesunde und Kranke, gleichermaßen betreffen,
die Krankheitsursachen nicht allein im Individuum verortet, (vgl. Grenzverletzungen in der Psychotherapie)
die Diskriminierung des medizinischen Krankheits-Verständnisses aufhebt. Vgl. auch Stigmatisierung in der Psychiatrie
Die Psycho-Logik meines Depressions-Modells
stelle ich in 3 ineinander greifenden Prozessen dar. Zur Veranschaulichung gebe ich diese als Abfolge von 3 Schritten wieder.
Vielleicht ahnst du anhand der folgenden Bilder schon, worum’s geht …
(Bilder: Canva/ MM)
1. Was du schluckst - die Introjektion
Wir alle sind einer Vielzahl von Regeln, Werten, Grundsätzen, Überzeugungen, Ge- und Verboten ausgesetzt: Der Oberbegriff dafür lautet Introjekte (wörtlich: das in dich Hineingeworfene). Einige dieser Regeln etc. sind unentbehrlich für unser Zusammenleben.
Die große Vielzahl dieser meist ungeschriebenen Gesetze sind jedoch überflüssig, störend und krank machend. Solche Introjekte liegen meist nicht als ausformulierte Sätze in unseren Gehirnen bereit, quasi wie eine Liste von Ge- und Verboten, die du vor jeder Aktion checkst. Es sind eher vage, unscharfe, schillernde und verdeckte Vorgaben, die sozusagen im Gehirn auf der Lauer liegen. Sie geben sich oft erst dann in aller Klarheit und Härte zu erkennen, wenn du eines von ihnen gerade missachtet hast.
In dem folgenden Beitrag (Was bei Depressionen hilft #2) beschreibe ich, wie depressive Menschen an derartigen Introjekten leiden.
2. Was du gegen dich selbst richtest - die Retroflexion
Um diese vielen Introjekte befolgen zu können, müssen wir ständig unsere emotionalen Impulse und körperlichen Bedürfnisse kontrollieren und zurückhalten, und zwar auch hier in weit höherem Ausmaß als für unser Zusammenleben nötig.
Ich werde deutlich machen, inwiefern dieses Zurückhalten immer auch ein Gegen-sich-selbst-Wenden und Sich-Schädigen ist. Das sind die sogenannten Retroflexionen (wörtlich: Zurückbiegen).
In meinem dritten Beitrag (Was bei Depressionen hilft #3) werde ich aufzeigen, welche Retroflexionen für depressiv Erkrankte typisch sind.
3. Wie du dich hypnotisierst - die Deflexion
Um nicht andauernd von den damit verbundenen Frustrationen und Beschwerden innerlich bedrängt zu werden, machen wir uns dafür unempfindlich. Im vierten Teil (Was bei Depressionen hilft #4 – noch nicht veröffentlicht) erkläre ich diese sogenannten Deflexionen (wörtlich: Wegbiegen, Ablenken)
An alle diese Vorgänge haben wir uns gewöhnt. Sie sind normal. Sie sind Bestandteil unserer Sozialisation. Das heißt:
Wir sind sowohl Produkte dieser Mechanismen als auch deren Produzenten.
Introjektion, Retroflexion und Deflexion laufen automatisch, reflexhaft und meist unbemerkt ab.
Muster und Schemata
Seit Anbeginn deines Lebens bist du diesen Prozessen ausgesetzt und verinnerlichst sie. Die Erlebnisse, die dazu führen, sind jedoch keine historischen Ursachen für die Erkrankung. Vielmehr erzeugen sie Muster oder Schemata des Denkens, Fühlens, Handelns incl. der dazugehörigen physiologischen Prozesse.
Diese Muster verstärken sich jedes Mal, wenn sie aktiviert werden. Das bedeutet, dass du neue Muster lernen musst und kannst. Das gelingt, indem du diese neuen Muster möglichst oft anwendest, sprich: einübst.
Von Autobahnen, Urwäldern und Macheten:
Die alten Muster sind wie eine Autobahn. Wenn du irgendwo hinfahren willst, ist die Autobahn der schnellste und bequemste Weg. Du kannst sie ohne Karte oder Navi nutzen, weil du sie kennst. Dass du unbedingt neue Wege nutzen müsstest, um deinem Drama zu entkommen, weißt du aber vermutlich schon seit Langem.
Die neu zu lernenden Wege musst du jedoch erst mit deiner Machete in den Urwald schlagen, der die vertraute Autobahn umwuchert! Weil dies nicht ohne Risiko ist, erfordert es Mut, Anstrengung und Bereitschaft, Neuem zu begegnen.
Auch wenn es unbequem und beängstigend ist, solltest du diese neuen Wege immer wieder frei schlagen und gehen; andernfalls wuchern sie unversehens wieder zu. Irgendwann wirst du die Autobahn nicht mehr brauchen, und sie wird nach und nach zuwachsen, bis sie schließlich ganz verschwunden sein wird.
Auswege
In jedem meiner folgenden Beiträge werde ich Wege aufzeigen, wie du deine Depression bewältigen kannst. Natürlich funktioniert dies über Video- und Textbeiträge nur ansatzweise. Gegebenenfalls kannst du ja deine Therapeutin oder deinen Therapeuten dazu bringen, meine Therapie-Anregungen aufzugreifen.
Auf jeden Fall kann es schon hilfreich sein, wenn du das Modell in deinem Kopf über deine Depression, deine sogenannten Krankheits-Attributionen, änderst:
Es macht doch einen großen Unterschied, ob du denkst: Die Depression ist mein Schicksal! Es gibt dunkle Kräfte in mir! Ich kann sowieso nichts ändern! Ich kann nur abwarten.
Stattdessen gehe doch davon aus:
Ich kann den Sinn meiner Depression, ihre Psycho-Logik, erhellen!
Ich kann etwas gegen meine Depression tun!
Meine Videos zur Selbsthilfe bei Depressionen findest Du hier: