Persönlichkeitsmodelle » Menschenbilder: Freud, Rogers, Perls (Teil 1)

Eine einheitliche Persönlichkeitspsychologie gibt es bis heute nicht. Dafür verschiedene Modelle über Selbst, Identität, Typologie, Charakter, Verhalten etc. Im Folgenden findest Du eine Skizze bekannter Persönlichkeitsmodelle mitsamt kritischer Gedanken zu den Positionen. Im 1. Teil geht es um mechanistische Menschenbilder und organismische Selbsttheorien. Im 2. Teil werden die dialektischen Persönlichkeitsmodelle vorgestellt.

Persönlichkeitspsychologie – Menschenbilder von Freud bis Perls

Persönlichkeitsmodelle & Identitätstheorien

gibt es viele. Hier stütze ich mich auf einen Artikel von Dr. M. Mehrgardt (1) und Klaus Schneewind (2).

 

Was ist eine Persönlichkeitstheorie?

Der Begriff der Persönlichkeit bezieht sich auf die individuellen Merkmale, Eigenschaften und Verhaltensweisen, die eine Person einzigartig machen. Persönlichkeitspsychologien versuchen, die Struktur, den Ursprung und die Entwicklung dieser Merkmale zu erklären. vgl. Wer bin ich? – Selbst, Ich & Identität

Es gibt verschiedene Theorien, die auf sehr unterschiedlichen Annahmen und Ansätzen beruhen. Zu den bekanntesten gehören die psychoanalytische Theorie von Sigmund Freud, die Verhaltenspsychologie von B. F. Skinner und die humanistische Psychologie von Abraham Maslow & Carl Rogers. 

 

Welche Persönlichkeitsmodelle gibt es?

Das kommt auf die Methode an. Es gibt mehrere Möglichkeiten, Persönlichkeitsmodelle und Menschenbilder innerhalb der Psychologie zu gruppieren. Schneewind (2) unterscheidet 3 Kategorien von zugrunde liegenden Menschenbildern:

 
  1. Mechanistische Persönlichkeitspsychologien

    Zum Beispiel Freuds mechanistisches Persönlichkeitsmodell oder andere Ansätze in der Tradition der empiristischen Philosophie.

  2. Organismischen Menschenbilder

    Diese sind aus dem philosophischen Idealismus entsprungen. Zum Beispiel die Ansätze der humanistischen Psychologie von Rogers oder Perls (Gestalttheorie)

  3. Dialektische Persönlichkeitsmodelle

    Sie verbindet eine Nähe zur phänomenologischen Philosophie. Als Beispiele sind hier Jung, Schmitz und Mehrgardt zu nennen. (mehr dazu im 2. Teil)

 

Mechanistische Persönlichkeitsmodelle

Hippokrates – Kretschmer – Catell – Freud – Skinner – Pawlow

 

Persönlichkeitstypologie von Hippokrates

Hippokrates' Theorie war einer der ersten Versuche, Persönlichkeitsmerkmale auf körperliche Ursachen zurückzuführen.

Der griechische Arzt ging von der Annahme aus, dass der Charakter eines Menschen durch die Balance seiner Körpersäfte (Humoralpathologie, 4-Säftelehre) bestimmt wird.

 

Hippokrates dachte, dass die Persönlichkeit eines Menschen von der Dominanz eines dieser Säfte im Körper geprägt werde

  • War Blut dominierend, wurde das mit der Eigenschaft "sanguinisch" assoziiert = lebhaft, optimistisch und sozial aktiv

  • Schleim wurde mit "phlegmatisch" verbunden, was ruhig, friedlich und nachdenklich bedeutet

  • Gelbe Galle wurde als "cholerisch" bezeichnet = impulsiv, ehrgeizig und leicht reizbar

  • Schwarze Galle wurde als "melancholisch" beschrieben, was mit introvertiert, empfindlich und pessimistisch verknüpft wurde (vgl. Melancholie)

 

Charakterologie von Kretschmer

Die Persönlichkeitstheorie von Ernst Kretschmer (Psychiater & Psychoanalytiker) ging davon aus, dass Körperbau und Körpertyp mit der Persönlichkeit einer Person in Zusammenhang stehen.

 

Kretschmer entwickelte die Idee, dass es 3 grundlegende Körpertypen gibt:

  1. den pyknischen Typ: klein, rundlich und breiter Brustkorb

  2. den asthenischen Typ: schlank, empfindlich und anfällig für Krankheiten

  3. den athletischen Typ: groß, muskulös und robust

So wurde der pyknische Typ mit einer "viszeralen" Persönlichkeit assoziiert, die sich durch emotionale Stabilität, Kontaktfreudigkeit und geselliges Verhalten auszeichnen soll. Der asthenische Typ wurde als "schizothyme" Persönlichkeit beschrieben, die schüchtern, zurückhaltend und introvertiert ist. Der athletische Typ wurde als "zyklothyme" Persönlichkeit bezeichnet, die impulsiv, aktiv und extrovertiert sei.

 

Eigenschaftstheorie von Cattell 

Hier sind Ausprägungen von Eigenschaften in quantitativem Maße entscheidend. Die faktorenanalytische Persönlichkeitstheorie, auch als Trait-Theorie bekannt, wurde von Raymond B. Cattell (britischer Psychologe) entwickelt. Die Theorie basiert auf der Annahme, dass die Persönlichkeit aus einer begrenzten Anzahl von grundlegenden Eigenschaften besteht, die als Traits oder Faktoren bezeichnet werden. Diese Traits sind stabile und überdauernde Merkmale, die das Verhalten, die Gedanken und die Emotionen einer Person beeinflussen.

 

Cattell verwendete eine statistische Methode namens Faktorenanalyse

um die Vielzahl der menschlichen Persönlichkeitsmerkmale auf eine kleinere Anzahl von grundlegenden Faktoren zu reduzieren. Durch die Analyse von Fragebögen und Interviews mit vielen Teilnehmern identifizierte er schließlich 16 grundlegende Traits, die die Persönlichkeit beschreiben. Diese Traits reichen von intellektuellen Eigenschaften wie Intelligenz und Kreativität bis hin zu emotionalen Eigenschaften wie Offenheit für Erfahrungen, Extraversion und Neurotizismus.

 

Freuds psychoanalytisches Persönlichkeitsmodell

Freud hat zwar nie direkt eine Theorie der Persönlichkeit entwickelt, ging jedoch grundsätzlich von einer 3-teiligen Einheit der “psychischen Apparatur” aus: Es, Ich, Über-Ich.

Freuds mechanistisches Menschenbild nimmt an, dass unser Verhalten und Erleben durch triebhafte, unbewusste Kräfte gesteuert wird, die aus den verschiedenen Instanzen der Psyche entstehen.

 
  1. Nach Freud ist das menschliche Verhalten von triebhaften Impulsen geprägt, die im Unbewussten verankert sind: im Es.

  2. Das Ich hat die Funktion, die Impulse des Es in eine sozial akzeptable Form zu bringen.

  3. Das Über-Ich repräsentiert hingegen das moralische Gewissen, das durch Erziehung und Gesellschaft geprägt wird und das Ich bei der Einhaltung sozialer Normen unterstützt.

Freud ging davon aus, dass das Unbewusste eine starke Kontrolle über das Verhalten und Erleben eines Menschen ausübt.

 

Lerntheorien von Skinner oder Pawlow

In diesen Persönlichkeitspsychologien wird das Verhalten durch Muster äußerer und innerer Reize gesteuert. Konzepte von Persönlichkeit oder Selbst sind praktisch ohne Relevanz.

Die Persönlichkeitstheorie von B.F. Skinner ist Teil des behavioristischen Ansatzes in der Psychologie und geht davon aus, dass die Persönlichkeit des Menschen durch die Umgebung, in der er aufwächst, geformt wird. Skinner betont, dass Verhalten durch Reize aus der Umgebung ausgelöst wird und durch Belohnungen oder Strafen verstärkt oder abgeschwächt wird.

Für Skinner bestand die Persönlichkeit aus einer Sammlung von Verhaltensweisen

die im Laufe des Lebens erlernt werden. Die Persönlichkeit eines Menschen wird somit durch die Umgebung geformt, in der er aufgewachsen ist, und durch die Verhaltensmuster, die er im Laufe seines Lebens erlernt hat.

Nach Skinner kann die Persönlichkeit eines Menschen somit durch gezieltes Verhaltenstraining geformt werden. Indem man belohnende oder strafende Reize setzt, kann man gewünschtes Verhalten verstärken oder unerwünschtes Verhalten abschwächen.

 

Diskussion: Der Mensch als Summe seiner Physiologie?

Gemeinsam ist diesen Menschenbildern die selbstverständliche Projektion technischer, mechanischer und hydraulischer Vorgänge auf das Lebendige. Demnach ist Persönlichkeit aus beliebigen Einzelteilen summativ zusammengesetzt und wird angetrieben wie eine kartesianische Maschine, welche eindeutig, kontrollierbar und vorhersagbar funktioniert.” (Mehrgardt, 1)

Da hat der gute alte Dr. Mehrgardt durchaus Recht. Diese deterministischen und reduktionistischen Persönlichkeitspsychologien können wenig erklären. Und werden der Vielfalt an menschlichen Eigenarten und Seinsweisen nicht gerecht.

Der Mensch ist kein Maschine. Mechanistische Persönlichkeitstheorien gelten eigentlich als veraltet, doch werden sie immer noch vertreten und verbreitet.

 

Organismische Persönlichkeitsmodelle

Als Gegenströmung zu den mechanistischen Modellen können die organismischen Modelle verstanden werden.

 

Selbsttheorie der Persönlichkeit von C. Rogers

Rogers definiert die Persönlichkeit als ein organisiertes, konsistentes Muster von Wahrnehmungen und Konzepten, die sich aus Erfahrungen und Interaktionen mit der Umwelt ergeben. Er betont dabei den Einfluss der Umgebung auf die Persönlichkeitsentwicklung, insbesondere das Verhältnis zwischen Selbstkonzept und Erfahrung.

 

Gestalttherapie von Perls und Goodman

Hier wird das Selbst als System verstanden. Die Gestalttherapie ist Teil der humanistischen Psychologie und betont die Bedeutung von Selbstwahrnehmung, Achtsamkeit und Eigenverantwortung für die Veränderung von Verhaltensmustern und die Verbesserung der psychischen Gesundheit.

Ein zentraler Aspekt der Gestalttherapie ist die Betonung der unmittelbaren Erfahrung und der Aufmerksamkeit für das, was im Moment geschieht. Die Therapie geht davon aus, dass Verhaltensmuster und psychische Probleme oft durch nicht verarbeitete Erfahrungen oder unterdrückte Gefühle entstehen. Durch die Betonung des Hier-und-Jetzt soll eine Person ihre Emotionen und Verhaltensmuster besser verstehen und integrieren können.

 

Selbstorganisationstheoretische Ansätze 

Hier sind zum Beispiel Maturana & Varela oder die systemische Familientherapie zu nennen. Der selbstorganisationstheoretische Ansatz von Maturana und Varela ist ein biologisch orientierter Ansatz zur Erklärung von Selbstorganisation und Autopoiese in biologischen und sozialen Systemen.

Die Autopoiese-Theorie beschreibt, dass biologische Systeme (wie z.B. Zellen oder Organismen) sich selbstständig organisieren und sich dadurch in einer dynamischen Balance halten können. Autopoietische Systeme produzieren ständig sich selbst, indem sie ihre Bestandteile erneuern und miteinander in Wechselwirkung treten. Das bedeutet, dass sie selbstbestimmend sind und sich unabhängig von äußeren Einflüssen organisieren und erhalten.

Maturana und Varela betonen, dass die Struktur und die Funktionen eines autopoietischen Systems untrennbar miteinander verbunden sind.

Das System ist selbstreferenziell, d.h. es bezieht sich immer auf sich selbst und auf seine Umwelt, um sich selbst zu erhalten und zu organisieren.

Autopoietische Systeme können sich durch Lernen und Anpassung an Veränderungen in ihrer Umwelt weiterentwickeln und anpassen.

In diesem Ansatz wird betont, dass die Beziehungen zwischen den Teilen eines Systems wichtig sind, um die Selbstorganisation und Autopoiese aufrechtzuerhalten. Das bedeutet, dass eine Änderung in einer Teilbeziehung Auswirkungen auf das ganze System haben kann.

 

Die Gemeinsamkeiten der organismischen Theorien: 

  • Mensch als ganzheitliches Wesen

  • Fähigkeit zur Selbstorganisation und Selbstreferenzialität

  • Wiederbelebung phänomenologischer und introspektiver Methoden

  • Fokus auf Bedeutungszusammenhänge statt Separation

“In ihrer Kritik an den seelen- und sinnfreien Menschenbildern des mechanistischen Paradigmas und an seinen impliziten Ansprüchen nach fehlerlosem Funktionieren ist die humanistisch-organismische Bewegung sicherlich ein wichtiges Korrektiv.” (Mehrgardt, 1)

 

Diskussion: Konstruktion von Normen?

Doch auch hier werden Normen und Wertungen konstruiert.

So werden ihm im organismischen Ductus auf einfühlsame Weise, aber umso unmissverständlicher seine wesentlichen Schwächen vorgehalten: Die Entwertung betrifft nun nicht mehr nur einzelne, behebbare Mangelfunktionen; die Entwertung wird ebenfalls umfassend und wesentlich (…) Die gesamte Alltagsepistemologie wird gar als untauglich erklärt (Radikaler Konstruktivismus) und als eigentlicher Verursacher von Pathologie hingestellt (Systemische Familientherapie).” (Mehrgardt, 1)

Darüber hinaus wird der Mensch auch hier - meist versteckt - auf seine Biologie reduziert. Wichtig ist auch, dass jede Art von Problem als Störung im System “Individuum” aufgefasst wird.

 

Quellen:

(1) Michael Mehrgardt: Homo solus – Doxai und Paradoxa des kulturellen Selbstverständnisses. In: Gestalttherapie, 1, 3–25, 2001.
(2) Klaus Schneewind: Persönlichkeitstheorien. Bd. 1 u. 2, Darmstadt: Primus 1992.
(3) Dtv Atlas der Philosophie
(4) Metzler Lexikon Philosophie

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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