Placebo: Der Arzt in mir – Selbstheilung durch Gedanken?
Placebos wirken über psychologische Prozesse. Es gibt sie jedoch nicht nur in der Medizin. Überall im Alltag sind Placebo-Effekte zu finden: bei der Bewältigung von Liebeskummer, beim Einkaufen, beim Sport, bei der Ernährung und vieles mehr. Doch was können sie - insbesondere bei Depressionen oder bei Nahrungsergänzungsmitteln?
Placebos setzen Selbstheilungs-kräfte frei
Aber was passiert da eigentlich in Deinem Kopf & Körper?
Placebos wirken wirklich
In der Alltagssprache hat der Begriff kein gutes Image: In den meisten Fällen ist Placebo gleichbedeutend mit einer Schein-Therapie oder einem Schein-Medikament, die unwirksam seien.
Eigentlich stimmt das aber gar nicht. Placebo-Effekte gibt es nicht nur in der Medizin, sondern in unserem ganzen Alltag. Und sie sind sogar sehr wirksam.
Das liegt nicht an den „Zuckerpillen“, Produkten oder Methoden selbst, sondern an Deiner Einstellung, Erwartungshaltung und dem ganzen Setting, in welchem das Placebo wirken soll. Das Framing, also der Rahmen, indem Dir Placebos präsentiert werden, spielt eine große Rolle.
In Deinem ganzen Alltag gibt es Placebos
Du kennst Placebos aus der Medizin. Doch auch außerhalb von diesem Bereich wird Dein Alltag von Placebo-Effekten begleitet.
Wenn eine Mutter auf die kleine Wunde ihres Kindes pustet und es sich schlagartig besser fühlt.
Wenn Jugendliche sich angetrunken fühlen, weil Du ihnen sagst, in ihrem Getränk wäre Alkohol.
Wenn Du Dich durch entkoffeinierten Kaffee angeregt fühlst.
Wenn Du unspezifische Nahrungsergänzungsmittel einnimmst und Dich automatisch fitter fühlst.
Das Gleiche gilt auch für Depressionen: Sobald Du Dich mit etwas beschäftigst, das Dir Hoffnung gibt, werden in Deinem Gehirn Mechanismen in Gang gesetzt, die tatsächlich Dein Leiden lindern können (9).
Wohlgemerkt: können – denn Placebo-Wirkungen variieren von Mensch zu Mensch. Sogar die Wunderheiler und Schamanen rufen entsprechende Effekte hervor:„Der Placebo-Effekt ist so groß, dass in dieser Studie einige Patienten aus dem Rollstuhl aufgestanden sind, weil sie geglaubt haben, sie würden geheilt". (16)
Wie war das noch? Der Glaube versetzt Berge! Aber nicht jeden und vor allem nicht die höchsten.
Was ist ein Placebo-Effekt? (Medizin)
Der Placebo-Effekt beschreibt einen positiven Einfluss auf die Gesundheit (körperlich und psychisch), der allein durch Placebos (Dinge ohne Wirkstoff) erzeugt wird.
Forscher vermuten, dass die Wirkung von Placebos auf psychischen und psychosozialen Prozessen beruht. Allerdings scheiden sich da die Geister.
Evtl. auch interessant für Dich: Psychosoziale Faktoren der Depression
Ganz wichtig: Placebos sind nicht nur Scheinmedikamente, sondern auch Schein-Behandlungen und scheinbare Ursache-Wirkungszusammenhänge im Alltag.
Übrigens denken einige Mediziner, dass die Wirkung der Alternativmedizin genau auf diesen Effekt zurückgeht. Ganz auszuschließen ist dieser Verdacht jedenfalls nicht, da für viele alternativ-medizinische Behandlungen keine aussagekräftigen Nachweise existieren.
Das finden Homöopathen, TCMler usw. gar nicht lustig.
Außerdem gilt das nicht nur für die alternativen Heilmethoden, sondern genauso für die Schulmedizin. Manche Experten meinen, dass bei jeder Behandlung bzw. Medizinvergabe, ca. 50-60 % der Wirkung allein auf dem Placebo-Effekt beruhen. (23)
Entdeckt wurde das Placebo-Phänomen im 2. Weltkrieg vom amerikanischen Arzt Henry Beecher. Da dem Doktor damals das Schmerzmittel Morphium ausging, verwendete er bei einigen Soldaten Kochsalzlösungen. Die Patienten wussten nichts davon, berichteten Beecher von viel weniger Schmerzen. Wie eben beim echten Morphium auch.
Dr. Placebo & die Kraft der Überzeugung in der Medizin
Placebos sorgen immer mal wieder für Aufsehen. Im Jahr 2001 hieß es noch, Placebos seien nicht so wirksam wie gedacht. 2008 gab es wiederum eine Studie (4), die belegte, dass Antidepressiva bei leichten bis mittelschweren Depressionen nicht besser wären als Zuckerpillen. Eine Studie von 2017 zeigt wiederum, dass sie doch besser sind, wenn auch nur minimal (21).
Für Aufmerksamkeit sorgte auch eine große Studie, die Scheinakupunkturen mit echten Akupunkturbehandlungen bei Rückenschmerzen verglich. Das Ergebnis: Das willkürliche und oberflächliche Nadeln der Haut war genauso effektiv wie die richtige Akupunktur. Neuere Untersuchungen beweisen den gleichen Effekt bei arthritischen Beschwerden.
Ähnliches wurde bei Sportprogrammen berichtet: Gaben die Forscher an, das Selbstbewusstsein werde damit gehoben, zeigten sich entsprechende Effekte bei den Probanden. Sagten die Forscher nichts darüber, passierte auch nichts.
Der wichtigste Faktor: die Kommunikation der Wirkung (Framing)
Der ausschlaggebende Faktor bei Placebos ist immer der Arzt selbst. Oder der Therapeut oder der Coach oder der Werbeträger (Marke, Verkäufer, Verpackung).
Die Beziehung zwischen dem Anbieter und Dir muss von Sympathie geprägt sein, sonst bist Du unterbewusst von gar nichts überzeugt, was derjenige so erzählt (7).
Oder anders ausgedrückt: „Unser Gehirn macht aus Worten Chemie", sagt Fabrizio Benedetti, der führende Placebo-Forscher (5).
Diesen Framing-Effekt, also die Wahl der Worte, die das Geschehen begleiten, kennst Du zum Beispiel aus der Gesundheitsvorsorge: Anti-Raucher-Werbungen nutzen die negative Variante (Verlust-Framing), um vor allem die Gefahren des Rauchens hervorzuheben.
Abnehmprogramme sprechen dagegen von den positiven Folgen wie Traumfigur, Gefühl der Leichtigkeit, mehr Attraktivität, Selbstbewusstsein usw., weil diese Formulierungen hier besser funktionieren.
Was beim Placebo-Effekt in der Medizin eine positive Rolle spielt, sind auch:
je größer die Tabletten, um so stärker die Wirkung
Häufigere Einnahmen wirken besser, als weniger Einnahmen
Injektionen erzielen stärkere Effekte als Kapseln, Kapseln wirken stärker als herkömmliche Tabletten
Verabreicht der Arzt selbst eine Injektion, wirkt das positiver als die Spritze von einer Krankenschwester
je teurere das Scheinmedikament, die Behandlung oder das Coaching, umso stärker die Wirkung
Marken-Präparate schneiden besser ab als Placebos in unscheinbaren Packungen
je mehr Zeit der Arzt mit dem Patienten verbringt, desto größer die positive Wirkung
Hilft Dr. Placebo bei allen Krankheiten?
Bleiben wir zunächst bei der Medizin. Nein, nicht bei allen Beschwerden entfalten Placebos eine Wirkung.
Doch bei folgenden Krankheiten ließen sich positive Effekte feststellen:
chronische Schmerzen, insbesondere Kopfschmerzen
chronische Müdigkeit, Müdigkeitssyndrom
Schlafstörungen
Asthma
Allergien
Verdauungsstörungen
Arthritis und Rheuma
Neurodermitis
Übrigens wirken Placebos nicht bei jedem Menschen. Untersuchungen zeigten, dass ca. 20-40 % auf Placebos ansprechen (17).
Wenn Scheinmedikamente so viel können, warum werden sie dann nur in klinischen Studien genutzt? Dir dürfte es ja ziemlich egal sein, wie Du heilst, Hauptsache Du wirst Deine Beschwerden los.
Umfragen zeigen, dass in Amerika, Israel, Dänemark und Italien ziemliche viele Ärzte schon mal ein Placebo verschrieben haben. In Deutschland ist das nicht erlaubt. Denn das Gesetz schreibt vor, dass ein Arzt seine Patienten nicht willentlich täuschen darf.
Das könnte sich jedoch bald ändern...mehr dazu weiter unten im Text unter: Placebos sollten bewusst genutzt werden.
Placebos bei Depressionen – funktioniert das wirklich?
Ein paar frühere Studien zeigten, dass Placebos genauso wirksam bei Depressionen seien wie die gängigen Antidepressiva. Nur haben Placebos den Vorteil, weniger Nebenwirkungen zu verursachen.
Eine neue Studie (22) von 2021 scheint nun diese Vermutung zu untermauern, dabei wurden allerdings nur Kurzzeittherapien durchgeführt. Die Teilnehmer der Studie, die das Placebo bekamen, waren motivierter für Entspannungs-Aufgaben und zeigten eine Verbesserung der depressiven Symptome.
Ausschlaggebend ist hier allerdings: Es wurde ein wirksames Mittel genutzt - die Entspannungsübungen. “Das Placebo kann Patienten mit Depressionen motivieren, eine Entspannungstechnik häufiger und wirksamer zu üben”, meinen die Psychologinnen.
Und an der Studie nahmen ausschließlich Frauen teil, und nicht mal viele: nur 126. Auch wichtig zu wissen: die hatten leichte bis mittelgradige Depressionen. Die Ergebnisse lassen sich also nicht einfach so übertragen.
„Bei ganz schweren Depressionen sind Antidepressiva dem Placebo klar überlegen, weil bei den Betroffenen kein Placeboeffekt mehr auftritt“, erläutert der Psychologe Manfred Schedlowski. „Sie leiden an sogenannten kognitiven Störungen und können gar keine Erwartungshaltung mehr aufbauen.“ (4)
Vgl. auch: Typische Gedanken bei Depressionen & Gedankenkreisen
Auch bei Angststörungen zeigen Placebos keine Wirkung (21) im Vergleich zu Antidepressiva.
Kurzes Interemezzo:
Warum ist die Studienlage zu Antidepressiva und Depressionen so widersprüchlich?
Wirkungen von Antidepressiva & Placebos können nur indirekt über standardisierte Fragebögen festgestellt werden. Das bringt aber so einige Probleme mit sich (23):
Die Fragenkataloge haben keine Aussagekraft über das wirkliche Leben der Betroffenen
Über Punkte wird die Schwere der depressiven Symptome definiert. Nur, ab wie viel Punkten Unterschied kann man von tatsächlichen Veränderungen sprechen? Das bleibt oft den Interpretationen der jeweiligen Forscher überlassen und ist daher nicht einheitlich.
Antidepressiva zeigen ihre positive Wirkung erst nach Wochen, vorher sind eher Nebenwirkungen spürbar. Die meisten Versuchsteilnehmer haben Erfahrungen damit und wissen daher schnell, ob sie ein Placebo oder ein echtes Medikament einnehmen. Die Erwartungshaltung der Probanden ist hier also stark aktiv und verzerrt die Ergebnisse.
Die Studien-Situation unterscheidet sich stark von Depressionstherapien im wirklichen Alltag (ob Klinik oder ambulant): in den Untersuchungen muss alles standardisiert sein - von der Dosis bis hin zu den Teilnehmern selbst. So läuft es allerdings nicht im echten Leben. Menschen erhalten individuelle Therapien, haben verschiedene Depressionsgrade, verschiedene Wirkstoff-Dosen und erhalten oft eine Kombination von Medikamenten sowie Therapieverfahren.
Studien dauern oft nur ein paar Wochen bis wenige Monate. Echte Therapien brauchen viele Monate oder Jahre. Die Langzeitwirkung ist in Untersuchungen also fraglich.
In Studien erhalten die Patienten eine intensivere Betreuung. Die meisten menschen verspüren dadurch mehr Wohlbefinden, was ebenfalls die Ergebnisse verzerrt.
Wichtig sind auch die Arten der Studien. Veröffentlichungen von Pharmaunternehmen, die ein Eigeninteresse an positiven Ergebnissen haben, erscheinen häufiger in der Öffentlichkeit. Review-Studien, in denen veröffentlichte und unveröffentlichte Studien insgesamt ausgewertet werden, liefern dagegen ein vollständigeres Bild.
Was passiert beim Placebo-Effekt in Dir?
Die Wissenschaft vermutet, dass hier mehrere Faktoren ineinanderspielen, die für einen positiven Effekt auf den Körper sorgen. Außerdem sind diese Mechanismen je nach Beschwerdebild anders ausgeprägt und zusammengesetzt.
Bei Schmerzen sorgt das Scheinmedikament für eine Ausschüttung von körpereigenen Opiaten, die den Schmerz lindern. Diese Stoffe wirken auch bei Schockzuständen oder beim Hochgefühl der Langstreckenläufer (Runners High).
Bei Parkinson wirken Placebos hingegen als Pseudo-Dopamin. Spritzt man Patienten, die oft an Dopamin-Mangel leiden, eine einfache Salzlösung, setzte die Schmerzlinderung genauso stark ein wie bei einem echten Medikament.
Das geht sogar soweit, dass Menschen Placebos eine psychedelische Wirkung zusprechen und von veränderten Sinnes- und Körperwahrnehmungen berichten (13).
Verrückte Sache, oder? Ver-rückt, das trifft es!
3 Gehirnregionen sind bei Placebos - egal ob in der Medizin oder im Marketing – stark aktiv
Placebo-Effekte sind keine bloße Einbildung. Sie beeinflussen viel mehr gezielt das Gehirn, wie Untersuchungen mit Hirnscans beweisen (22):
Das rostrale anteriore Cingulium
die Amygdala
das pariaquaductale Grau
Wir wissen heute, dass diese 3 Gehirnregionen mit der Schmerzverarbeitung zu tun haben (19). Zum Beispiel sorgen sie für die Ausschüttung von Endorphinen (morphiumähnliche Stoffe).
Außerdem sind sie für das konditionierte Lernen relevant: kennst Du einen Schmerz bereits, zum Beispiel den einer Spritze, so wird es beim nächsten Mal weniger weh tun.
Dein Körper weiß also schon, was auf Dich zukommt, er hat gelernt und schüttet darum schon im Vorfeld die schmerzhemmenden Stoffe aus.
Quelle: Waldhirsch.de
4 Fakten zu Placebo-Effekten
1) Es gibt nicht den Placebo-Effekt an sich
Es ist nicht so, dass Placebos immer die gleichen Effekte im Gehirn auslösen. Darum ist das Rätsel, wie Placebos genau wirken, auch noch nicht gelöst.
Die Medizin weiß allerdings, dass bei Scheinmedikamenten diverse Mechanismen eine Rolle spielen, die zusammen mit der Art der Behandlung und im Kontext der Erkrankung ihre positive Wirkung entfalten.
Einer dieser Mechanismen ist mit Sicherheit die Überzeugung, dass ein „Medikament“ wirkt. Gehst Du von einem medizinischen Nutzen auf Deinen Körper oder Deine Psyche aus, dann beeinflussen Deine Gedanken Deinen körperlichen Zustand.
2) Damit Placebos wirken, müssen mindestens 2 Mechanismen zusammenspielen
Es reicht wahrscheinlich nicht aus, dass Du nur eine Erwartungshaltung hast und dann wird alles gut. Viel mehr müssen mindestens 2 Mechanismen für einen Placebo-Effekt zusammenkommen und sich gegenseitig unterstützen.
Nehmen wir zum Beispiel an, Du hast Angst, dass Deine Beschwerden schlimmer werden. Dann würde der 1. Mechanismus darin bestehen, dass Deine Angst durch die Einnahme des Medikaments deutlich abnimmt.
Dann kann der 2. Mechanismus greifen: Deine Erwartung, dass Dir das Placebo hilft, kann dein Belohnungszentrum aktivieren.
3) Placebos wirken in einem psychologischem Setting
Das trifft natürlich nicht nur auf Placebos zu, sondern immer, wenn eine Behandlung stattfindet oder Medikamente verabreicht werden. Aber auch, wenn Du Produkte kaufst, bestimmte Handlungen vornimmst usw.
Jedes Mal wirken verschiedene Faktoren auf Dich als Patient ein, dazu gehört Deine eigene Einstellung genauso wie das Verhalten des Arztes, die genutzten Worte, Pillenform, Farbe der Verpackung usw.
Zum Beispiel werden einige Stimuli (äußere Reize) gezielt bei Schmerzpatienten eingesetzt.
Weißer Arztkittel,
grüne Medikamenten-Packung,
die Worte des Doktors,
die medizinischen Geräte im Raum
– sie alle wirken zusammen und sollen dem Patienten vermitteln, dass bald eine Besserung einsetzt.
4) Placebos sollten bewusst genutzt werden
Hier zeigt sich, wie stark Deine Psyche Einfluss darauf nimmt, ob ein Medikament wirkt – oder eben ein Scheinmedikament. Hast Du keine Ahnung davon, dass Du gerade eine Arznei zu Dir nimmst, dann fällt die Wirkung extrem schwach aus oder kommt gar nicht erst zustande.
Dr. Benedetti erklärt, hier fehle die psychologische Komponente: Erwartungshaltung, Angstreduzierung usw.
Allerdings braucht es evtl. gar keine Erwartungshaltung. Die neueste Meta-Studie zu Placebos (11) aus Freiburg zeigt: für den Placebo-Effekt ist keine Täuschung notwendig.
Den Patienten wurde direkt gesagt, dass sie ein Placebo ohne Wirkstoff erhalten. Und trotzdem wirkten die Pillen.
Das bestätigt die These, die ich weiter oben schon genannt habe:
Der Arzt, Behandler, Coach, Marketing ist selbst das Placebo, nicht die Methode oder die Zuckerpille.
Placebo-Effekte im Marketing – die Kraft Deiner Gedanken macht’s
Eines der häufigsten Placebos in Deinem gewöhnlichen Alltag ist der sogenannte Marketing-Placebo-Effekt. Hierbei spielen Preis und Markenname eine große Bedeutung.
Genauso wie Werbeversprechen, Farben, Verpackungen usw.
Wenn Du zum Beispiel eine teure Schokolade geschmacklich mit einer billigen Variante vergleichen sollst, wirst Du in den allermeisten Fällen der teuren Schokolade einen besseren Geschmack zusprechen (10).
„Das Belohnungssystem wird bei höheren Preisen deutlich stärker aktiviert und verstärkt auf diese Weise offenbar das Geschmackserlebnis (…) Letztlich spielt uns das Belohnungs- und Motivationssystem einen Streich", meinen die Autoren der Studie (12).
Darum linderst Du Liebeskummer effektiv, indem Du etwas für Dich tust, wie zum Beispiel eine neue Frisur (9). Worauf es ankommt, sind also Deine Gedanken und Gefühle zum Placebo – ganz egal, ob Medikament oder Therapie, bestimmte Nahrungsmittel oder Getränke, Handlungen oder Reize (Musik, Stimmen, Objekte etc.) Gegenstand Deiner Überzeugung sind.
Placebo-Effekt bei Nahrungsergänzungsmitteln
Einer der häufigsten Placebo-Effekte findet heute bei Nahrungsergänzungsmitteln statt: zum Beispiel bei CBD (15), das ein Wundermittel gegen Schmerzen, Angstzustände und Müdigkeit helfen soll. Von den Unverträglichkeiten wie Magen-Darm-Problemen erfährst Du nichts, obwohl die nachgewiesen sind (15) – ganz im Gegensatz zur propagierten Wirkung.
Vgl. Teufelskreis der Angst und CBD gegen Depressionen – Hilft CBD wirklich?
Das Problem bei Nahrungsergänzungsmitteln: sie werden von keiner Behörde überprüft, man verlässt sich stattdessen auf die Ehrlichkeit des Herstellers und Vertreibers. Was dann in einem Produkt wirklich drin steckt, wissen nur sie.
Aktuell rät die Wissenschaft von Nahrungsergänzungsmitteln ab, da die meisten Menschen keinen Mangel haben und keine Untersuchung eindeutige Vorteile belegen konnte.
Lediglich in bestimmten Fällen, wie Stoffwechselerkrankungen oder Depressionen, können bestimmte Supplemente wirklich helfen. (Vgl. Ernährung bei Depressionen)
Doch: in den allermeisten Fällen, ist der Placebo-Effekt im Spiel, wenn Dir Menschen schwören, sie fühlen sich dank Nahrungsergänzungsmitteln vitaler, gesünder, aktiver, leistungsfähiger usw.
Der Placebo-Effekt funktioniert, wenn die Reize zu Deinem Bedürfnis passen
Gerade im Marketing gilt: alles wird psychologisch verpackt (18). Größere Verpackungen mogeln mehr Inhalt vor. Billige Produkte werden absichtlich in optisch günstige Verpackungen gesteckt, um die Schnäppchenjäger anzusprechen.
Gleiches mit Klopapier oder Kondomen, sogenannte Peinlichkeitsprodukte. Mit dem Kauf willst Du nicht hausieren gehen, darum sind die Verpackungen so gestaltet, dass sie Dir die Scham nehmen. Zum Beispiel Federn, Blumen und Bärchen auf der Umverpackung von Toilettenpapier, welche die Weichheit oder den Duft untermalen sollen.
Überhaupt werden grafische Elemente (Störer genannt) gerne für Placebo-Effekte genutzt. Bei Aspirin-Verpackungen ist das zum Beispiel die Abbildung einer frischen Zitrone und die Beschreibung von zusätzlichen Wirkungen.
Und wer nach Kopfschmerz-Tabletten sucht, der hat wahrscheinlich auch Kopfschmerzen oder fürchtet sie und will sich mit einem guten Produkt behelfen.
Oder bei Hautpflege-Produkten, auf deren Verpackung der Zusatz “hautgesunde Pflege” abgedruckt ist. Das Bedürfnis der pflegebewussten Personen nach einem gesunden und pflegenden Mittel wird dadurch stark angesprochen.
Vgl. auch Grundbedürfnisse – Was braucht der Mensch?
Dein Persönlichkeitstyp bestimmt, wie stark Du auf Placebos reagierst
Ob Du oder wie sehr Du auf diese Placebo-Effekte reagierst, hängt von mehreren Faktoren ab:
Deine Einstellung
Grundsätzlich spielt Deine Haltung zu Dir, anderen Menschen und der Welt eine große Rolle beim Placebo-Effekt.
Bist Du misstrauisch gegenüber der Schulmedizin, dann wirst Du wahrscheinlich nicht so stark auf Medikamente und Behandlungen ansprechen.
Bist Du überzeugt, die Naturheilkunde ist gesünder, wirst Du damit bessere Ergebnisse erzielen und auch spüren.
Deine Konditionierung
Kognitive Lernprozesse finden Dein ganzes Leben lang statt. Am stärksten wirken die, die Du Dir in frühen Kindheitsjahren angeeignet hast. Hast Du zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass Zitronen Dich erfrischen und geistig anregen, dann wirst Du mit dem Bild oder Geschmack einer Zitrone dieselbe Wirkung assoziieren.
Deiner Insula
Die Insula ist eine bestimmte Gehirnregion, die Deine Wahrnehmung von Körperfunktionen beeinflusst. Ist die Insula größer ausgeprägt, dann ist Deine Wahrnehmung von Geschmack zum Beispiel besser und nicht durch Verpackung oder Preis so leicht zu manipulieren.
Im Gegensatz dazu stehen Menschen, die stärker auf Belohnungseffekte reagieren: Sie lassen sich leichter durch Stimuli beeinflussen.
Deine Bedürfnisse
Ein wichtiger Punkt: Wenn Du kein Bedürfnis nach einem bestimmten Produkt oder Mittel hast, dann wird Dich auch die Werbung oder das Zureden des Arztes nicht überzeugen. Klar oder? Wenn es Dir gut geht und Du zufrieden bist, dann brauchst Du auch nicht nach verschiedenen Hilfsmitteln zu suchen, die Dir mehr Gesundheit oder Leistung in Aussicht stellen.
Sehr viele Menschen haben aber einen konkreten Bedarf: zum Beispiel endlich ihre Schmerzen loszuwerden, ihre Figur zu optimieren, weniger gestresst zu sein, mehr Leistung bringen zu können und und und.
Fazit: Dr. Placebo – der Arzt in mir
Placebo ist im Grunde eine Beeinflussung, der Du jeden Tag ausgesetzt bist. Mal mehr, mal weniger bewusst. Zum Teil auch Selbstbeeinflussung.
Wichtig ist mir, dass Du durch diesen Text verstehst, dass nicht alles Hand und Fuß hat, was andere Menschen oder die Werbung behauptet. Insbesondere in den Sozialen Medien. (vgl. Digitale Medien & Gehirn)
Das wichtigsten Mittel zur Beeinflussung ist die Art der Kommunikation und die Rahmenbedingungen: Also wie die Botschaft an Dich herangetragen wird und in welcher Situation Du Dich befindest.
Dein Persönlichkeitstyp ist nicht genetisch festgelegt. Das bedeutet, Du änderst Dich im Laufe Deines Lebens. Du kannst also lernen, nicht so stark auf äußere Reize zu reagieren und Dich dadurch besser vor Manipulationen durch Werbung und unbewiesene Verfahren zu schützen.
Andererseits ist der Placebo-Effekt nicht per se schlecht. Gerade im medizinischen Bereich ist es super, wenn Du etwas findest, dass Dir nicht schadet, aber Deine Beschwerden lindern kann. Ob das jetzt ein echtes Antidepressivum, Alternativmedizin, eine Zuckerpille oder Nahrungs-ergänzungsmittel sein müssen, ist egal. Lass Dir nur nicht das Geld aus der Tasche ziehen.
Vgl. auch Geist und Gehirn – Ich ist nicht Gehirn
Quellen:
1) Kurt Langbein: Placebo – Der Arzt in mir (Dokumentation, 3Sat)
2) Ch. F. Freisleben-Teutscher: Auch bei Placebo: vier ethische Grundprinzipien beachten (Springer Medizin)
3) Medical Tribune: Placeboeffekte und ihr Einsatz in der medizinischen Praxis
4) Julia Bidder: Placebo – Der heilsame Glaube
5) Psylex Psychologie Lexikon: Placebo-Effekt (Psyche, Psychologie)
6) Fabrizio Benedetti: Placebo and the New Physiology of the Doctor-Patient Relationship (Studie 2013)
7) Jens Gaab et al: Effects and Components of Placebos with a Psychological Treatment Rationale – Three Randomized-Controlled Studies (Studie 2019)
8) Stangl Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik: Placeboeffekt (Stangl, 2021)
9) Psylex: Der Placebo-Effekt kann auch Liebeskummer heilen (Studienbericht 2017)
10) Schmidt et al: How context alters value: The brain’s valuation and affective regulation system link price cues to experienced taste pleasantness (Studie 2017)
11) Melina von Wernsdorff et. al: Effects of open-label placebos in clinical trials: a systematic review and meta-analysis (Studie 2021)
12) Psylex: Hirnstudie: Placebo-Effekt beim Weinkauf
13) Jay A. Olson: Tripping on nothing: placebo psychedelics and contextual factors (Studie 2020)
14) Planet Wissen: Wie das Immunsystem von Placebos profitiert (Sendung vom 09.07.2020)
15) Stefan Hanf & Chr. Brügmann: Schön, schlank, stark – Milliardengeschäft mit Nahrungsergänzungsmitteln (WISO-Dokumentation 19.10.2020)
16) 3sat: Placebo – Der Arzt in mir (Dokumentation vom 14.10.2020)
17) Dorsch Lexikon der Psychologie: Placebo-Effekt
18) Andreas Macho: “Verpackungen haben einen Placebo-Effekt”
19) Anna-Lisa Gretenkort: Der Placebo-Effekt (Neuromarketing)
20) Bundesministerium für Bildung und Forschung: Placebo-Effekt sichtbar gemacht
21) Ärzteblatt: Antidepressiva: Placebos wirken bei Depressionen besser als bei Angststörungen
22) Christian Wolf: Wie Placebos wirken
23) Sophia Wagner: Sind Antidepressiva wirklich wirksam? (Quarks)