Kein Selbstwertgefühl: Symptome + Selbstwert-Aufbau (Übungen)
Kein Selbstwertgefühl zu haben, ist Kern-Thema bei vielen psychischen Krankheiten. Dabei versteckt sich das mangelnde Selbstvertrauen geschickt hinter verschiedensten Symptomen, Verhaltensweisen & Glaubenssätzen. Hier eine Liste mit Selbstwert-Übungen, die bei geringen Selbstwertgefühlen helfen können.
Selbstwert & psychische Gesundheit
Psychisch kranke Menschen leiden oft an mangelndem Selbstwertgefühl » Übungen zur Stärkung des Selbstwerts.
Geringes Selbstwertgefühl bei psychisch Kranken weit verbreitet
Konflikte & Kritik, die wir alle mal erleben, helfen eigentlich zu lernen, sich in eine Gemeinschaft einzufügen und seinen Platz zu finden.
Bei psychischen Krankheiten, wie Depressionen, Angststörungen & Co. gewinnt das Ganze aber eine völlig andere Dynamik:
Ablehnung & Scham werden in Deinem Selbsterleben zur allgegenwärtigen Größe.
Als Betroffene*r sehnst Du Dich nach einem besseren Selbstwertgefühl, möchtest den Vergleichszwang loswerden, Dich aus der Abhängigkeit von der Angst, Scham, Traurigkeit oder Wut endlich lösen.
Selbstwertprobleme – das gebrochene Selbst
Viele Betroffene haben ein doppeltes Problem mit dem Selbst.
Während in Deiner Vorstellung alle anderen Menschen mit einem tollen Selbstvertrauen herumlaufen und Erfolge feiern, quälen Dich irrwitzige Selbstzweifel & ein extrem niedriges Selbstwertgefühl.
Der Vergleich ist natürlich realitätsfern, in Deinem Kopf aber absolut wirklich & plausibel.
By the way: nennt sich in der Wissenschaft Fokussierungsillusion = Ausblenden von negativen Eigenschaften, Problemen etc. bei Menschen, die wir bewundern.
Doch nicht nur, weil Betroffene über ihr mangelndes Selbstvertrauen klagen, auch das Selbsterleben an sich zeigt, wie sehr sich alles um ein brüchiges Selbst dreht.
Kein Selbstwert oder kein Selbstbewusstsein?
Viele nutzen Selbstwert, Selbstvertrauen & Selbstbewusstsein als Synonyme. Im Sinngehalt sind diese Worte aber nicht deckungsgleich:
Selbstwertgefühl ist ein Maß an Wertschätzung für Dich selbst
Selbstvertrauen heißt, Vertrauen in Deine eigene Person und Fähigkeiten haben
Selbstbewusstsein bedeutet, Dich selbst wahrzunehmen und Deinen Charakter zu kennen
Menschen mit psychischen Störungen haben kein Selbstwertgefühl und kein Selbstvertrauen, aber dafür ein überbordendes Selbstbewusstsein. In dem Sinne, dass sie sich selbst sehr stark beobachten und wahrnehmen. Zu sehr und verzerrt wahrnehmen.
Der ständige und totale Selbstbezug ist zu viel. Du stellst Dich & Deine Person ständig in Frage.
Permanent bist Du Deinem inneren Kritiker ausgesetzt. Diese überhöhte Selbstbeobachtung führt oft zu einer Fehlinterpretation von Gefühlen oder Körperreaktionen.
Selbstwerthaus – Die Säulen des Selbstwertgefühls
nach Friederike Potreck-Rose/Gitta Jacob: Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen. Psychotherapeutische Interventionen zum Aufbau von Selbstwertgefühl, 4. Aufl. 2007 (Klett-Cotta Verlag), Quelle: Westpfalz Klinikum
Das Selbst & die existenzielle Angst
Bist Du betroffen, dann fühlst Du Dich in dieser Lage logischerweise sehr einsam. Diese Einsamkeit hat sogar 2 Ausprägungen, die ich von Menschen mit den verschiedensten psychischen Krankheiten öfter gehört habe. Vgl. Existenzängste und Einsamkeit in der Depression
Angst vor Haltlosigkeit in sich und die Angst vor Abhängigkeit von anderen Menschen (sich in ihnen zu verlieren). Darin drückt sich eine tiefe Verunsicherung der eigenen Existenz & Daseinsberechtigung aus:
Angst, sich selbst zu verlieren (Beziehungen & Abhängigkeit)
Bist Du in Gesellschaft, nimmst Du vor allem das Denken & Fühlen der anderen wahr.
Die Grenze zwischen Dir und den anderen verschwimmt.
Du empfindest Dich nicht mehr als autonome Person.
Angst, Du selbst zu sein (Individualität)
Bist Du dagegen allein & für Dich, kann sich ein Gefühl des Verloren-seins einstellen.
Du findest in Dir keinen Halt, löst Dich quasi in Nichts auf.
Kein Selbstwertgefühl: Symptome
Es gibt ein paar allgemeine Verhaltensweisen & Einstellungen, die wie ein roter Zeiger auf ein niedriges Selbstwertgefühl verweisen.
Diese Symptome von schlechtem Selbstvertrauen kennt jede*r Betroffen*e nur zu gut:
Angst vor Nähe zu anderen Menschen
Erfolge nicht selbst wahrnehmen und abwerten (relativieren)
generelle Unzufriedenheit
„Ja“ zu sagen, wenn man eigentlich „Nein“ meint (und umgekehrt)
Krankhafter Vergleichszwang mit anderen Menschen
Gefühl, sich ständig in der Opferrolle zu befinden
Ängstliches Einhalten der Komfortzone
Zukunftsangst
häufige Selbstabwertung in Gedanken oder im Gespräch
Gefühl, von anderen wiederholt kritisiert, lächerlich gemacht, gemobbt oder sonswie blamiert zu werden.
Psychische Krankheiten als Selbstwertproblem?
Es ist schwer Worte dafür zu finden, wie sehr ein negatives Selbstbild Dein Denken, Fühlen & Handeln beherrscht, wenn Du an einer psychischen Störung erkrankt bist.
Du nutzt defensive Vermeidungsstrategien, die gar nicht als solche zu erkennen sind, und Deinen Selbstwert weiter abbauen.
Selbstabwertung (im Vorhinein)
Selbstabwertung ist eine (Vermeidungs-)Strategie, die stärker ausgeprägt ist, je mehr Angst, Unsicherheit, Druck Du verspürst.
Forscher meinen, das soll helfen, Kränkungen besser zu ertragen.
Tatsächlich ist natürlich das Gegenteil der Fall: eine Dynamik aus Selbstabwertung, höherer Verletzlichkeit und negativen Erfahrungen setzt sich in Gang, die Dein Selbstwertgefühl allmählich weiter zerstört.
Perfektionismus & überhöhtes Selbstbild
Ein überhöhtes Selbstbild nach außen zu tragen, ist die Kampfreaktion auf Existenzängste. Ich kenne das selbst sehr gut von mir.
Du hast hohe Anforderungen an Deine Leistungen, möchtest keinerlei Grund für Kritik liefern und Anerkennung erhalten. Leistung wird für Dich gleichbedeutend mit Zuneigung & Wert.
Das Gebilde des Perfektionismus ist allerdings ziemlich fragil. Versagensängste & Angst, die Kontrolle zu verlieren, sind die Folge. Dein Selbstwertgefühl schwindet durch die ständige Anspannung immer mehr.
Zwanghafter Selbstvergleich mit anderen
Es ist schon seltsam. Ständig vergleichst Du Dich mit anderen Menschen in den verschiedensten Bereichen.
Geht es um Deine Defizite, dann verlierst Du.
Ist ja auch kein Wunder, wenn Du an einem geringen Selbstwertgefühl leidest.
Geht es um Deine Stärken, hat Dein Selbstvergleich eher einen verbissenen Wettkampf-Charakter.
Selbwertgefühl Test:
Wie negativ ist Dein Selbstbild?
Möchtest Du Dein Selbstbild auf eigene Faust erforschen, dann sei bitte vorsichtig. Die Selbstbefragung & Selbstreflexion kann heftige Gefühle zum Ausbruch bringen oder Erkenntnisse, die Dich im ersten Moment destabilisieren.
Hast Du dieses negative Selbstbild auch, wenn Du allein bist?
Oder erhalten Deine Selbstzweifel nur Futter, wenn Du Dich in anderen Menschen spiegelst?
Gibt es einen kritischen Punkt, an dem Dein Selbstwertgefühl eine 180 Grad Drehung hinlegt?
Sind es zum Beispiel die Blicke der anderen, die in Dir negative Gefühle auslösen?
Oder wenn Du siehst, wie andere Menschen lachen?
Wertest Du Dich im Vorhinein ab?
Wie stark ist Deine Selbstabwertung?
Wie häufig und intensiv vergleichst Du Dich mit anderen, um Dir einen abwertenden Platz zu verleihen?
Was sind die Inhalte Deines Vergleichszwangs?
Bist Du perfektionistisch veranlagt und möchtest immer beste Ergebnisse liefern?
Macht Dir Leistung nur dann Spaß, wenn Du die Erfolgslatte schön hoch aufhängst?
Wie freundlich bist Du zu Dir selbst, wenn Du Fehler machst?
Wie sprichst Du in Gedanken mit Dir?
Wie behandelst Du Dich selbst?
Kannst Du an Dir Größenideen & Überlegenheitsfantasien entdecken? Wenn ja, welche?
Selbstwertgefühl stärken
17 Übungen für das Selbstwertgefühl
Jetzt mal Klartext: Wie kannst Du Deinen Selbstwert erhöhen, wenn Dein Selbstbezug so übelst angeknackst ist?
Da gibt’s einige Übungen, um das Selbstwertgefühl zu stärken.
Wie immer gilt: Welche Selbstwert-Übung für Dich funktioniert, musst Du selbst herausfinden.
Möglicherweise ist nur eine davon Dein Game-Changer. Möglicherweise aber auch mehrere Techniken. Oder auch überhaupt keine. Das kannst Du aber nur wissen, wenn Du es versuchst.
1) Positiv-Tagebuch führen (Glückstagebuch)
Ja, ich weiß, klingt doof, aber hat sich anscheinend bei vielen Leuten bewährt. Um Dein verzerrtes Selbstbild zu lockern (nicht unbedingt zu verbessern), kannst Du über mehrere Wochen / Monate ein Tagebuch führen, in das Du nur Erfreuliches einträgst. Es geht darum, Dir selbst mit mehr Anerkennung und Respekt zu begegnen.
Aber auch, besondere Momente oder Worte zu sammeln, auf die Du in schlechten Phasen immer wieder zurückgreifen kannst. Viele beschreiben dieses Tagebuch nicht nur, sondern bekleben einzelne Seiten auch mit Lebenssprüchen & Sinnsprüchen.
Oder sammeln schöne Bilder und Fotos darin.
2) Selbstskalierung (systematische Selbsteinschätzung)
Betroffene schwanken ja oft zwischen totaler Selbstabwertung oder Perfektionismus. Hier kann ein sachlicher und objektiver Vergleich helfen, sich wieder einem realistischen Maßstab anzunähern.
Du sollst ein Gefühl für den Wert der Durchschnittlichkeit gewinnen. Als Mensch bist Du nämlich in manchen Sachen stark, in manchen schwach und in den meisten ganz normal mittelwertig, wie jede*r andere auch.
So geht die Selbstskalierungs-Übung:
1) Nimm Dir ein Blatt Papier zur Hand und such Dir einen Defizitbereich, in dem Du Dich oft selbst abwertest. Außerdem 2 Menschen: 1 den Du darin besser findest, 1 den Du darin schlechter findest.
2) Jetzt schätzt Du Dich auf einer Skala von 1-10 in diesem Bereich ein. 1 steht für sehr schlecht, 10 für besser geht’s nicht. Auch die anderen beiden werden so bewertet.
3) Diese Selbsteinschätzung wiederholst Du an verschiedenen Tagen.
4) Nach ein wenig Übung erweiterst Du das Ganze, indem Du differenzierst und Teilaspekte in den Blick nimmst.
3) Die 7-2-1 Selbstwert-Übung
Mini-Erfolge würdigen
An 7 Tagen in der Woche – also jeden Tag – rufst Du Dir ins Bewusstsein, was gut lief.
Du bist nicht ausgerastet, als sich Dein Kind im Supermarkt kreischend auf den Boden warf? Check!
Du hast heute was Hübsches angezogen? Check!
Du warst pünktlich beim Treffen? Check!
Selbstbeschenkung
An 2 Tagen in der Woche gönnst Du Dir etwas, allein für Dich. Aber bitte, ohne einen Grund. Einfach so, weil Du wie jeder Mensch Deine eigene Anerkennung verdient hast.
Worin dieser gegönnte Genuss besteht, ist natürlich Dir überlassen: Wellness, Meditieren, neue CD, Blumen usw.
Mini-Challenge
An 1 Tag in der Woche lässt Du Dich auf eine Herausforderung ein, die Du normalerweise vermeiden würdest.
Das muss nichts großartiges sein, Du musst keinen Bühnenauftritt vor Millionen-Publikum hinlegen. Viel wichtiger ist die Regelmäßigkeit dieser Übung.
Ein paar Challenge-Ideen: Nein zur Freundin sagen, zum Sport-Kurs gehen, ungeschminkt heraumlaufen, alleine im Supermarkt einkaufen, etc.
4) Selbstironie trainieren
Humor ist eines der besten Mittel gegen Probleme vieler Art und dazu noch besonders gesund. Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, setzt deshalb neben vielem anderen auf die Methode der paradoxen Intention.
Dazu nimmst Du Dir in einer Situation genau das Gegenteil von dem vor, das Du sonst tust.
Anstatt Dich darauf zu konzentrieren, die Symptome oder Gefühle so gut es geht zu unterdrücken oder zu verstecken, schaltest Du auf humorvolles Trotzen um
Beispiel 1:
Du hast Angst in der Öffentlichkeit, die anderen bemerken Dein Zittern & Schwanken. Dann nimm Dir in überspitzter Witzigkeit vor, den Leuten zu zeigen, dass Du Weltmeister*in im Zittern & peinlichen Schwanken bist.
Lass den Film wie eine Slapstick-Komödie in Deinem Kopf ablaufen.
Beispiel 2:
Du hast Angst vor der Konfrontation mit Deinem Chef, der wegen jeder Kleinigkeiten ausflippt. Anstatt Dir Sorgen darüber zu machen, wie dumm Du jetzt wieder dastehen wirst, gönnst Du Deinem cholerischen Chef großzügig seinen Ausraster, ja forderst ihn sogar lächelnd in Gedanken
„Ja, lass es raus, Junge, dreh’ mal richtig auf. Ach was, das war schon alles? Das geht doch besser! Lustig, wie der aussieht, wenn er sich aufregt. Wie rot er wohl noch werden kann?”
5) Das freundliche Selbstgespräch (Selbstfreundschaft)
Selbstfreundschaft ist ein starkes Konzept in der Philosophie. Mittlerweile hat sie aber auch ihren Platz in der Psychologie gefunden, oft als Selbstliebe oder Selbstmitgefühl bezeichnet. (vgl. auch Philosophie und Psychologie – Oder: Was ist seelische Krankheit?)
Im Wesentlichen dreht sich alles darum, wie Du mit Dir selbst umgehst & sprichst.
In den meisten Fällen behandelst Du Dich viel schlechter als andere Menschen. Hier kann es helfen, Dich im freundlichen Selbstgespräch zu üben.
Du nimmst in diesem Moment die Perspektive einer liebevollen Person auf Dich ein und sprichst Dir in Gedanken freundlich zu. Und zwar immer dann, wenn Du Deinen inneren Kritiker dabei ertappst, wie er Dich niedermacht.
Das geht natürlich auch schriftlich, indem Du Dir selbst Briefe schreibst, als würdest Du sie für Deine*n beste*n Freund*in verfassen.
6) Sport treiben
Sorry, aber regelmäßige Bewegung muss bei jeder psychischen Störung erwähnt werden. Zum Einen, weil die Verbesserung der körperlichen Fitness bewiesenermaßen zu einem besseren Selbstwertgefühl beiträgt.
Zum anderen, weil physische Stressreaktion eine besondere Rolle einnehmen. Sport hilft beim Stressabbau und stärkt die Stresstoleranz.
7) Positive soziale Kontakte pflegen
Ganz ohne andere Menschen funktioniert ein Selbstwert-Aufbau meistens nicht. Auch das wird von psychologischen und philosophischen Untersuchungen immer wieder bestätigt.
Es müssen ja auch keine Massen sein, die Du um Dich versammelst. Eher ein sicheres Netz von ausgewählten Menschen, bei denen Du Dich gut fühlst.
Überlege Dir genau, welche Kontakte Dir in der Phase, in der Du Dich gerade befindest, gut tun. Du solltest diese Kontakte aber auch pflegen und wertschätzen durch kleine Aufmerksamkeiten oder Gefälligkeiten.
8) Entspannte Morgen-Routine einführen
Wie Du in den Tag startest, wirkt sich auf Deine Stimmung & so indirekt auch auf Dein Selbstwertgefühl aus.
Darum gönne Dir jeden Morgen Zeit für Dich allein – und wenn es nur 15 Minuten sind (besser wären natürlich 30-60 Minuten).
Mach’ das, was Dich gut gelaunt in den Tag starten lässt:
Meditieren, Lesen, Musik hören, Kaffee auf dem Balkon genießen etc.
9) Stärken & Erfolge visualisieren (Wall of Fame)
Visuelle Reize sind ein starkes Mittel für Deine Psyche. Sie wirken meist stärker & intensiver nach als andere Sinnesreize.
Aus diesem Grund hilft es vielen Patienten*innen, sich ihre Stärken optisch zu vergegenwärtigen.
In der Psychotherapie wird oft zum Stärken-Plakat geraten:
Nimm ein großes Blatt Papier im Format A3 oder A2 und Buntstifte
Jetzt klebst Du ein schönes Foto von Dir in die Blattmitte – es ist wichtig, dass Du ein Bild wählst, auf dem Du Dir selbst gefällst.
Für die Schreibarbeit kannst Du Dir ruhig etwas Zeit lassen. In großer Schrift trägst Du nämlich Deine Stärken & Talente rund ums Bild auf. Du kannst auch gern Familie, Partner*innen & Freunde*innen befragen und die Texte ergänzen.
Hänge Dein Stärken-Plakat dort hin, wo Du es jeden Tag mehrmals siehst.
Gewöhn’ Dir an, das Plakat jeden Tag mindestens 1 x durchzulesen, sobald Du es siehst.
10) Schreiten wie ein*e Superheld*in
Vielleicht kennst Du ja die Superhelden-Pose, bei der Du eine selbstbewusste Körperhaltung einnimmst, um über den Leib die Psyche positiv zu beeinflussen. Das kann funktionieren, muss aber nicht.
Nach dem gleichen Prinzip funktioniert auch das Superheld-Schreiten – nur bewegst Du Dich dabei, was für mich viiiiel angenehmer ist als still stehen.
Achte also häufiger darauf, wie Du gehst oder läufst. Sowohl zuhause als auch in der Öffentlichkeit.
Schleichst Du oder schlurfst Du so dahin? Bemühe Dich dann bewusst, einige Minuten strammer und schneller zu gehen. Eben so, wie Du Dir eine*n Superhelden*in vorstellst.
Rennst Du eher hektisch und willst alles schnell machen? Versuch’ mal, selbstbewusst-superheldenhaft zu stolzieren.
11) Zelebriere kleine Fehler
Hier etwas für die mutigen Perfektionisten*innen: Such’ Dir eine kleine Unzulänglichkeit aus, die Du zu Deinem Markenzeichen machst. Das kann mit der Zeit lustig werden und du lernst, Dich in Selbstironie zu üben. Zum Beispiel:
immer leicht schief das Auto einparken
SMS an Familie & Freunde*innen mit Tippfehlen verschicken
2 unterschiedliche Socken anziehen
im Restaurant Besteck vom Tisch fallen lassen
12) Imaginationsübungen durchführen
Eigentlich ein Tool aus der Traumatherapie, wirkt aber ebenso gut bei Depressionen, Angstzuständen, überbordenden Gefühlen & mehr.
Imaginationsverfahren helfen, bestimmte mentale Vorstellungen ins Bewusstsein zu rufen und dadurch verschiedene Komponenten des inneren Erlebens anzusprechen: sensorische, motorische, kognitive und affektive Komponenten.
Das Ziel ist, angenehme Gefühle auszulösen und Zustände der Entspannung zu erzeugen.
Typische Imaginationsübungen sind:
Der innere Ort
Tresorübung
Der innere Garten
Die Baumübung
Die Lichtübung
Die Schutzkugel
7 innere Helfer
Den inneren Beobachter kennenlernen
Wichtig: Viele (unter anderem ich) machen sich anfangs zu viel Druck, wenn keine klaren, inneren Bilder auftauchen. Darum geht es aber gar nicht so sehr. Viel wichtiger ist, dass Du ein gutes Gefühl empfindest.
Die Kombi aus Vorstellungskraft und Wohlgefühl setzt sich viel besser in Dir fest als bloße Worte oder theoretische Gebilde.
13) Den eigenen Mut bewusst machen
Interessant ist, bei vielen Übungen geht es gar nicht unbedingt darum, Neues anzutrainieren oder zu entdecken. Innere Ressourcen aktivieren sich auch dadurch, dass Du Dich an positive Eigenschaften erinnerst.
Mut hat ein kraftvolles Sprachbild. Und Du warst sicher schon einmal mutig. Wichtig ist, dass Du die Übung nicht nur im Kopf machst, sondern niederschreibst.
So geht die Schreibübung Mut
Nimm Dir Zeit, diese Übung braucht Ruhe und Entspannung.
Schreibe eine Liste von allen Dingen, die irgendwann in Deinem Leben neu waren. Seit wann kannst Du schreiben? Wie war es, als Du Fahrrad fahren gelernt hast? Erinnere Dich an die Zeit, als Du Deinen Beruf gelernt oder einen Abschluss erlangst hast – wie schwer war es anfangs, wie leicht fällt es Dir jetzt?
Jetzt mach Dir bitte klar, dass in all diesen Situationen Mut erforderlich ist. Jede Veränderung braucht Mut. Wir bemerken das nur überhaupt nicht.
Je schwerer Dir etwas von Deiner Liste gefallen ist, desto mehr Mut und Kraft hast Du bewiesen, um sie zu bewältigen.
Lass diese Gedanken auf Dich wirken. In der Regel erkennst Du, zu was Du allem imstande bist.
14) Selbstwirksamkeit & Veränderung erinnern
Laut dem antiken Philosophen Heraklit, ist das Wesen des Seins stetige Veränderung. Ein ewiger Fluss, der sich uns in wechselnden Phänomenen zeigt. Veränderung ist auch ein Schwerpunkt in der kognitiven Verhaltenstherapie.
Schreibübung Strichliste führen:
Die Basis ist, dass Du lernst, Deine Gedanken zu beobachten. Das geht ganz gut über Meditation, aber auch andere Achtsamkeitstechniken.
Dann machst Du Dir eine Liste mit 2 Spalten: die eine Seite für positive, selbstbestätigende Gedanken; die andere Seite für negative, selbstabwertende Gedanken.
Jedes Mal, wenn Du Dich bei einem Gedanken erwischst, machst Du in der entsprechenden Spalte einen Strich.
Zieh’ diese Übung 2 - 4 Wochen durch und werte dann aus, wie sich während dieser Zeit Dein Strichliste verändert hat.
15) Helfen lassen (Hilfe annehmen)
Das klingt evtl. banal, aber gerade Menschen mit ausgeprägter perfektionistischer Neigung haben Probleme, Hilfe von anderen anzunehmen. Dahinter muss nicht die Angst davor stecken, Schwäche zu zeigen. Auch das Vertrauen in andere ist hier erschüttert.
Allerdings sind wir, wie Aristoteles bemerkte, Gemeinschaftswesen. Bei vielen Sachen brauchen wir Hilfe. Das ist nicht nur in Ordnung, sondern schlicht & ergreifend menschlich.
Mach Dir wieder eine Liste von den Dingen, die Dir nur durch die direkte oder indirekte Hilfe von anderen möglich sind bzw. ermöglicht wurden.
Bitte auf der Makroebene:
Auto fahren kannst Du nur, weil andere das Auto zusammengeschraubt haben.
Gehst Du zu Fuß eine Straße entlang, dann weil andere diese Straße gebaut haben.
Du trägst Kleidung, die andere Menschen hergestellt haben.
Du benutzt ein Smartphone, das von anderen erfunden wurde u.s.w.
16) Persönliche Grenzen visualisieren
Manche können Grenzen besser ziehen als andere. Bei einigen gesunden wie kranken Menschen scheint es jedoch ein Problem zu sein, sich selbst in den Vordergrund zu rücken. In der Regel sind Schuldgefühle an der Tagesordnung.
Ich will Dir hier gar nicht predigen, Nein sagen zu lernen und Schuldgefühle loszuwerden, sondern eine einfache Imaginationsübung von Phyllis Krystal vorstellen:
Entweder Du zeichnest die Vorstellung auf oder Du übst sie in Gedanken
Du befindest Dich inmitten eines großen Lichtkreises, der Dich schützt. Der Lichtkreis ist so groß wie Deine ausgestreckten Arme reichen.
Jeder Mensch hat diesen inneren Grenzbereich, der sein Inneres schützt.
Jedes Mal, wenn Du mit einem anderen Menschen in Kontakt kommst, berühren sich zwar die Lichtkreise am äußeren Rand, aber sie überschneiden sich nicht.
Das ist wichtig, weil Du Dir so bewusst machst, dass nicht nur Du eine Schutzgrenze besitzt, sondern auch die anderen ihren eigenen Schutz mitbringen und auf sich aufpassen können.
Praktiziere diese Übung immer wieder, wenn in Dir Schuldgefühle hochkommen oder Du Probleme hast, Nein zu sagen.
17) Das gelassene Sein (selbstvergessene Gelassenheit)
Bei Platon erscheint als sokratische Tugend die besonnene Gelassenheit, die Sophrosyne. Das klingt im ersten Augenblick sehr nach Vernunft & Rationalität, schließt im eigentlichen Sinne aber auch Gefühle & Gemeinsamkeit mit ein.
Etwas verständlicher ist die buddhistische Fassung von Gelassenheit: sie bedeutet Gleichheit – besser gesagt, die Fähigkeit, keine Unterschiede zwischen sich selbst und anderen zu ziehen.
Gelassenheit ist damit ein Geisteszustand, der die Kluft zwischen dir selbst und anderen aufhebt.
Übungsanleitung:
Es ist wichtig, dass Du Dich komplett auf Deine Vorstellung einlässt und Dir die Dinge so detailreich wie möglich in Erinnerung rufst.
Erinnere Dich an eine Situation, in der Du Dich in Gesellschaft oder allein ganz bei Dir selbst gefühlt hast. Völlig gelassen im Sein, selbstbewusst und wohl.
Was hattest Du damals für Gefühle? Fallen Dir bestimmte Gedanken oder Eindrücke dazu ein?
Wer war anwesend? Was war die Rahmensituation?
Was war es, dass Dir bei dieser Gelegenheit zur inneren Gelassenheit verholfen hat? (Personen, Handlungen, Gerüche, optische Eindrücke, Laute, Gedanken, Worte)
Fazit:
Kein Selbstwertgefühl
Für alle Übungen gilt: es sind Übungen! Nichts muss schnell gehen, alles darf Zeit nehmen. Bitte vergegenwärtige Dir das immer wieder.
Vorsicht, was Affirmationen betrifft
Es gibt anscheinend einige Menschen, denen Affirmationen helfen. Neue Erkenntnisse zeigen jedoch, dass sie nur funktionieren, wenn Du bereits ein gewisses Selbstwertgefühl hast.
Wenn Du psychisch krank bist und mit tiefgründigen toxischen Schamgefühlen kämpfst, dann sind Affirmationen nicht wirksam (8).
Quellen:
1) Matthias Krüger & Natalia Erm: Die „Arbeit am Selbstwert“ als Therapieelement in der tagesklinischen Behandlung
2) Angstverstehen.de: Mangelndes Selbstbewusstsein – Was uns die Psychologie sagt
3) Elisabeth Lukas: Vom Sinn des Augenblicks: Facetten erfüllten Lebens
4) Psylex.de: Angst-Psychologie, Angstforschung
5) Aline Vater et al: Does a narcissism epidemic exist in modern western societies? Comparing narcissism and self-esteem in East and West Germany (Studie 2018)
6) Silke Weinig: Selbstwert stärken, wenn positive Affirmationen nichts nutzen!
7) Westpfalz-Klinikum: Selbstwert