Die 3 sozialen Fallgruben
Einführung und kritische Vorbemerkungen
Anmerkungen zum Krankheitsverständnis der offiziellen Psychotherapie
Wenn ein Mensch unter seelischen Symptomen leidet, funktioniert irgendetwas in ihm falsch. So sieht es die Richtlinien-Psychotherapie.
Dein Behandler lässt dich deine Beschwerden schildern, er befragt dich, er macht Tests mit dir. Am Ende weiß er, was mit dir los ist. Er stellt dir eine psychiatrische Diagnose. Die Zuschreibung deiner Diagnose transportiert neben dem typischen Krankheitsbild noch weitere Aspekte, unter Anderem:
Du erhältst Unterstützung und Schutz
Du bist nicht allein; denn Andere haben auch „so was“.
Deine Diagnose ermöglicht dir, dich auf Kosten deiner Krankenversicherung behandeln zu lassen.
Du kannst dich krankschreiben lassen.
Wenn gar nichts mehr geht, kannst du vorzeitig berentet werden.
Andere Menschen sollten auf dich Rücksicht nehmen.
Aber du zahlst auch einen Preis
Dir wird vermittelt, dass etwas in dir nicht in Ordnung, nicht normal ist.
Deshalb bist du weniger wert.
Die Ursache deiner Erkrankung liegt in dir: Weil du nämlich falsch handelst, denkst oder eine unpassende Persönlichkeit hast oder bist, bist du krank geworden.
Deshalb musst du verändert werden.
Gegen die Behandlungsmethoden solltest du dich nicht zur Wehr setzen.
Kann man Symptome, Leiden und Krankheit auch anders erklären?
Ja! Ich behaupte nämlich, dass die Psychotherapie „gesellschaftsvergessen“ geworden ist: Die Krankheitsursachen, die außerhalb von dir liegen, interessieren sie nämlich nur am Rande. (Schau dazu nochmals auf meinen Blog in der Kategorie Sackgassen nach!)
Mehr noch: Die Psychotherapie ist selbst erkrankt, sie hat sich deformieren lassen. Sie krankt an denselben kulturellen Mechanismen, die auch dich (und mich und uns alle) im Griff haben.
Eine anarchistische Perspektive
Die Richtlinien-Psychotherapie hat sich angepasst. Sie ist zur Bewahrerin, zum Reparaturwerkzeug von Störungen geworden.
Mein zentrales Anliegen ist, in meinem Blog immer wieder darauf hinzuweisen,
dass Patienten genauso wertvoll sind wie andere Menschen, genauso klug und verantwortungsbewusst, und dass sie Respekt verdienen,
dass gesellschaftliche Faktoren krank machen können,
dass nicht allein das Individuum schuld ist an seiner Erkrankung,
dass auch die Psychotherapie einer Runderneuerung bedarf.
Lebensbedingungen als Krankheitsrisiko
Deshalb habe ich in meiner langjährigen psychotherapeutischen Arbeit stets auf die Bedingungen geachtet, unter denen meine Patientinnen leben und arbeiten. Ich habe wenn gewünscht Angehörige in die Sitzungen eingeladen, mir deren Sichtweisen angehört. Gemeinsam wurden Konflikte zwischen Patientin und Angehörigem bearbeitet. Oft habe ich Patienten an ihrem Arbeitsplatz oder in ihrem Zuhause aufgesucht.
Ich habe viele krankmachende Arbeitsbedingungen gesehen, habe die Auswirkungen von Armut auf die psychische Gesundheit erlebt – und gelernt, alle diese äußeren Faktoren als mögliche Krankheitsursachen ernst zu nehmen.
Und ich bin auch auf drei in unserer Kultur verankerte Prozesse gestoßen, die ich für seelisches Leiden für (mit)verantwortlich halte. Darin unterscheidet sich mein Ansatz fundamental von der offiziellen Psychotherapie, welche die Ursache der psychischen Erkrankungen allein dem Individuum zuschreibt.
Diese Vorgänge bezeichne ich als Fallgruben. Diese als krankmachend zu identifizieren, ist anarchistisch, weil deren Herrschaft, die uns alle im Griff hat, infrage gestellt wird.
Mein Blog mindroad auf der Seite der Inkognito-Philosophin will demgegenüber ein Reiseführer zu dir selbst sein, er will dich zur Emanzipation und Rebellion ermutigen.
Die drei Fallgruben sind …
besonders bedeutsam für die Entstehung von seelischem und seelisch-körperlichem (= psychosomatischem) Leid,
ebenso in unserer Kultur wie in jedem Einzelnen von uns verankert,
in der offiziellen Psychotherapie weitgehend unberücksichtigt geblieben.
Hier möchte ich dir eine kurze Einführung in die Wirkungsweise dieser Fallgruben geben. Ich werde sie im Weiteren immer wieder thematisieren, veranschaulichen und mit Beispielen versehen. Ein bedeutsames Beispiel findest du hier bei mindroad/ Auswege bei Depressionen bzw. in meinen Youtube-Videos über Depressionen.
Diese Fallgruben in den Blick zu nehmen eröffnet eine ganze Reihe von wirksamen Therapie-Ansätzen. Auch dazu findest du Anleitungen in meinen Beiträgen über Depression.
Hat Mehrgardt immer Recht?
Nein! Diese Prozesse sind nicht immer und nicht bei jeder Patientin gleichermaßen wirksam. Die davon abgeleiteten Therapieschritte helfen nicht jedem Leidenden und nicht immer.
Vielmehr werbe ich dafür, eine Perspektive auszuprobieren, welche von der Richtlinien-Psychotherapie vernachlässigt wird. Gleichermaßen plädiere ich für ein experimentelles Vorgehen statt für vorgegebene Behandlungs-Methoden. Das bedeutet:
Du probierst neue Wege aus!
Du gehst deine eigenen Wege!
Das sind sie: Introjektion, Retroflexion und Deflexion
Diese Begriffe stammen aus der Gestalttherapie. Ich verwende sie aber entscheidend anders als in der Gestalttherapie üblich:
Ich verstehe sie nicht als neurotische Prozesse (nämlich: Kontakt-Unterbrechungen).
Introjektion, Retroflexion und Deflexion sind vielmehr normale Vorgänge (nämlich: Kontakt-Funktionen).
Diese Prozesse sind also nicht als solche falsch, neurotisch oder krankmachend. Vielmehr sind sie grundlegend für ein funktionierendes Miteinander.
Introjektion, Retroflexion und Deflexion werden zu Fallgruben, weil wir sie reflexhaft, ohne Bewusstheit und vor allem zu massiv und häufig anwenden. Deshalb erzeugen sie Symptome und Leiden.
Wir alle sind gleichzeitig Opfer dieser Prozesse als auch deren Akteure.
Wie hängen Introjektion, Retroflexion und Deflexion zusammen?
Den Zusammenhang zwischen diesen 3 Fallgruben beschreibe ich dir gleich zu Beginn. Dann bekommst du vielleicht schon eine Vorstellung davon, warum diese Prozesse so wirksam – und oft genug krankmachend – sind:
Wir verinnerlichen Regeln, Werte, Verbote – das sind die Introjektionen.
Um diese Introjekte „bedienen“ zu können, müssen wir viele leibliche, gedankliche, emotionale, soziale Impulse zurückhalten – das sind die Retroflexionen.
Das Introjizieren und Retroflektieren verbannen wir aus dem Bewusstsein, wofür wir unterschiedliche Strategien einsetzen – das sind die Deflexionen.
Diese 3 Prozesse hängen also zusammen. Meist treten sie gemeinsam in Erscheinung. Das bedeutet, dass wir weniger einen bestimmten Prozess als entweder Introjektion oder Retroflexion oder Deflexion identifizieren können. Stattdessen können wir in einem bestimmten Vorgang – zB wenn du dich über eine vorlaute Person ärgerst – im Allgemeinen alle 3 Aspekte identifizieren. Also gilt oft diese Abfolge:
Introjektion —> Retroflexion —> Deflexion