John Stuart Mill “Über die Freiheit” - Buchtipps Philosophie
Mills Traktat über die Freiheit ist eines der wichtigsten Grundlagenbücher des modernen politischen Liberalismus und unserer demokratischen Gesellschaft. Ein philosophischer Buchtipp.
Mills Abhandlung "Über die Freiheit"
ist ein Meilenstein in der Philosophie-Geschichte und prägt unsere Kultur bis heute
Der Ruf nach Freiheit
Der Begriff Freiheit ist heute bedeutender denn je. Gerade in der Corona-Pandemie wurde der Ruf nach Freiheit immer lauter, da viele Einschnitte in das Privatleben stattfanden und die Anti-Corona-Maßnahmen in die Grundrechte eingreifen.
Die Frage ist nur: Was versteht man denn unter Freiheit? Welches Konzept möchte man ansetzen?
Es gibt nämlich verschiedene Konzepte von Freiheit. Wir müssen nur bedenken, wie sich das Ganze entwickelt hat. Damals, in der Antike zum Beispiel, war Freiheit nicht das, was wir heutzutage darunter verstehen. Zudem war sie früher ein Privileg der oberen Gesellschaftsschichten. Der einfache Mann hatte von Freiheit in Antike & Mittelalter überhaupt nichts.
Freiheit in der Neuzeit – Kant & Hegel
Das Konzept der menschlichen Freiheit änderte sich eigentlich erst mit dem 17. oder 18. Jahrhundert. Als dann das Sklaventum abgeschafft wurde und bei Kant hat dann dementsprechend die Freiheit einen ganz anderen Touch.
Kant ist natürlich ein Rationalist. Für ihn bedeutet Freiheit immer eine Vernunft-Entscheidung. Das heißt, so wie wir es heute verstehen, „Ich kann tun lassen, was ich will und bin auch frei“ ist für Kant überhaupt keine Freiheit. Das ist eine Illusion der Freiheit.
Wollen wir es jetzt mal auf die heutige Situation übertragen? Dann musst du das so verstehen, dass Kant praktisch sagt: „Wenn du eine Maske trägst, weil der Staat es dir vorgibt und die Gesellschaft, dann ist das auch keine Freiheit.“ Frei ist deine Entscheidung dann nur, wenn du verstehst, dass die Notwendigkeit, die Maske zu tragen, da ist.
Auch Hegel sieht die menschliche Freiheit anders. Er hat nämlich ein Konzept von Freiheit, das sich auf Kant gründet, aber etwas weiterentwickelt ist. Hegel ist auch sehr rational geprägt. Hegel spricht davon, dass Freiheit „die Einsicht in die Notwendigkeit“ ist. Alle anderen Entscheidungen zwischen Optionen sind dann reine Willkür.
Wie unterscheidet Hegel Willkür und eine echte Freiheit?
Naja, indem er davon ausgeht, dass der Wille von der Vernunft geleitet werden muss, von ihr bestimmt werden muss und dadurch eben echte Freiheit entsteht.
Mal kurz übertragen auf die heutige Situation wäre das so: Wenn der Staat Partys verbietet, dann ist das für Hegel überhaupt kein Eingriff in die menschliche Freiheit an sich. Denn Partys haben nichts notwendiges und vernunftbestimmtes an sich. Für Hegel ist das nur ein Eingriff in die Willkür und damit völlig legitim.
John Stuart Mills Freiheitskonzept
„Die einzige Freiheit, die diesen Namen verdient, besteht darin, unser eigenes Wohl auf unsere eigene Art zu suchen, solange wir dabei nicht die Absicht hegen, andere ihrer Freiheit zu berauben oder ihre dahin zielenden Anstrengungen zu durchkreuzen.“ (J.S. Mill)
John Stuart Mill hatte nochmal ein anderes Konzept von Freiheit als Hegel oder Kant oder die antiken Philosophen. Für Mill war der größte Feind der Freiheit – oder besser gesagt, die größte Gefahr: die Tyrannei der Mehrheit. Das bedeutet, für Mill war es wichtig, dass der Einzelne in seinem Privatleben frei ist, solange er niemand anderen Schaden zufügt oder ihn in seiner Freiheit einschränkt.
Übertragen auf die heutige Situation würde ich sagen: Mill hielte nichts von einem bundesweit einheitlichen Lockdown, wie wir es hier in Deutschland hatten. Er würde eher ein Konzept befürworten, wie in Schweden, das doch recht offen gehalten wurde.
Hintergründe: das viktorianische England des 19. Jahrhunderts
Schon im 19. Jahrhundert genossen die Briten politische Freiheiten, die auf dem europäischen Kontinent noch weitgehend unbekannt waren. Dabei konnten sie auf eine jahrhundertelange Geschichte der sukzessiven Beschneidung monarchischer Macht zurückblicken.
Die britische Königin Viktoria war nur noch eine konstitutionelle Monarchin; das britische Unterhaus, das sich aus den gewählten Vertretern von bestimmten Städten und Kommunen zusammensetzte, hatte weitgehende Gesetzgebungsgewalt.
Durch die Wahlrechtsreform von 1832 waren auch Teile der Mittelschicht wahlberechtigt, darunter viele Unternehmer, die im Rahmen der industriellen Revolution teilweise zu beachtlichem Wohlstand gelangt waren.
Die im internationalen Vergleich ungewöhnlichen politischen Freiheiten der Briten im 19. Jahrhundert bedeuteten aber nicht, dass die Menschen auch entsprechende persönliche Meinungs- und Handlungsfreiheit genossen.
Vor allem unter dem Einfluss der Puritaner und später der Methodisten wurde ein geistiges Klima geschaffen, das vom Einzelnen forderte, sich tugendhaft zu verhalten und zumindest nach außen einen gesitteten Eindruck zu erwecken.
Tanz, Musik und Alkoholgenuss galten als verpönt. Selbst Klavierbeine wurden schamhaft verhüllt und es galt sogar als unziemlich, von einer Hähnchenbrust zu sprechen.
Wer sich scheiden ließ, riskierte die soziale Ächtung. Darüber hinaus waren starke Bestrebungen im Gange, die engstirnigen religiösen Ansichten und Präferenzen in Gesetzen zu verankern. So wurden etwa 1854 alle Wirtshäuser per Verordnung geschlossen, was zu regelrechten Aufständen führte, sodass das Gesetz ein Jahr später wieder zurückgenommen werden musste.
Die restriktive Gesinnung hatte auch Einfluss auf die Wissenschaft. Es war nicht gern gesehen, wenn Wissenschaftler behaupteten, die Erde sei älter als 6000 Jahre. Viele Theologen sahen darin einen Widerspruch zum biblischen Schöpfungsbericht. Charles Darwin zögerte lange Jahre, bevor er 1859 seine Evolutionstheorie veröffentlichte.
Der viktorianischen Leserschaft musste Über die Freiheit als radikales Werk erscheinen, betonte es doch die Freiheit des Individuums gegenüber den Zwängen von Staat und Gesellschaft.
Buchtipp Philosophie: Über die Freiheit
John Stuart Mill veröffentlichte das Buch 1859, ein Jahr nach dem Tod seiner geliebten Frau Harriet Taylor Mill, die als Feministin bekannt war und die er unterstützt hatte.
Ganz wichtig: Mill kümmerte sich weniger um philosophische Grundsatzfragen, wie:
Wird unsere menschliche Handlungs- und Willensfreiheit durch Gene oder durch die Erziehung eingeschränkt?
Hat der Mensch einen freien Willen?
Mill geht das Ganze sehr pragmatisch an und hält das Thema auch von öffentlichem Interesse. Dabei ist zu beachten, dass er ein geistiger Zögling von Jeremy Bentham war, auch ein Utilitarist und ein starker Befürworter des Individualismus. Für Mill galt daher das Nützlichkeitsprinzip:
Gut ist, was für die Mehrheit der Menschen vorteilhaft ist.
Für ihn ist die größte Unterdrückung der menschlichen Entfaltung von Freiheit in der Umwelt zu finden – und zwar in der Gesellschaft und Kultur, in der ein Mensch lebt.
Warum ist ein Thema, wie die Freiheit des Einzelnen, eigentlich von öffentlichem Interesse? Naja, eine Gemeinschaft oder Gesellschaft wie unsere besteht aus verschiedenen Individuen.
Jetzt kann eine Gesellschaftsform nur so gut sein, wie es auch die einzelnen Individuen, also ihre Mitglieder sind. Ist der Mensch bzw. der Einzelne in der Entwicklung seiner Freiheit eingeschränkt, dann ist es auch die Gesellschaft.
Das bedeutet, die Gesellschaft kann sich eben nicht in ihre bestmöglichen Art und Weise weiterentwickeln, weil ja schon der Einzelne in seiner Freiheits-Ausübung und freien Wahl eingeschränkt ist.
Individuelle Freiheit bei Mill
Mills Freiheitsbegriff ging wirklich sehr weit. Er meinte, dass selbst wenn ich mir selbst Schaden zufüge durch eine unvernünftige Art zu handeln, dürfte die Gesellschaft nicht einschreiten. Sie kann versuchen, mich zu überzeugen, mir Vernunftgründe zu nennen und so weiter.
Aber solange ich niemand anderen Schaden zufüge außer mir selbst, darf ich in meiner freiheitlichen Entwicklung oder besser gesagt, in meiner Lebensführung nicht eingeschränkt werden. Dieses gleiche Prinzip haben wir heute auch.
Für Mill besteht die menschliche Freiheit ganz praktisch darin, dass ein Mensch tun und lassen kann, was er will. Solange er jemand anderen nicht in seiner Freiheit-Ausübung einschränkt oder ihm Schaden zufügt.
Die Entfaltung des Individuums ist aber von großem öffentlichen Interesse seiner Meinung nach und nichts, was im Privatleben stattfinden muss. Denn wie gesagt, die positive Entwicklung einer Gesellschaft kann nur stattfinden, wenn sich auch die Individuen frei entfalten können.
Dabei muss aber nochmal unterschieden werden. Denn Mill ist auf keinen Fall ein Befürworter von asozialem Verhalten. Er sagt schon, dass die Gesellschaft dann einschreiten darf, sobald eben jemand unzurechnungsfähig ist oder eine geistige Behinderung hat. Also unmündig.
Dann darf der Staat zum Wohle des Einzelnen eingreifen. Ansonsten aber nicht, solange eben dieser Einzelne nur sich selbst schädigt, aber nicht in die Freiheit von anderen übergreift. Es ist ein bisschen schwierig, diese Differenzierung unter Einklang zu bringen. Doch vom Prinzip weißt Du, was gemeint ist.
In der Einleitung von „Über die Freiheit“ schreibt Mill ganz klar: „Der Zweck dieser Abhandlung ist es, einen sehr einfachen Grundsatz aufzustellen, welcher den Anspruch erhebt, das Verhältnis der Gesellschaft zum Individuum in Bezug auf Zwang oder Bevormundung zu regeln, gleichgültig ob die dabei gebrauchten Mittel physische Gewalt in der Form von gerichtlichen Strafen oder moralischen Zwang durch öffentliche Meinung sind.
Dies Prinzip lautet, dass der einzige Grund, aus dem die Menschheit einzeln oder vereint, sich in die Handlungsfreiheit eines ihrer Mitglieder einzumischen befugt ist, der ist, sich selbst zu schützen.“
Was bedeutet, keinen Schaden zufügen?
Die Formulierung „Schaden für andere“ sollte nicht zu eng ausgelegt werden. So kann man jemanden auch durch eine unterlassene Hilfeleistung schädigen. Des Weiteren ist jeder verpflichtet, ggf. als Zeuge vor Gericht aufzutreten, Steuern zu zahlen oder im Bedarfsfall das Gemeinwesen zu verteidigen und so seinen Beitrag zu leisten.
In diesen Fällen kann sowohl ein Handeln als auch ein Unterlassen von Handlungen anderen Schaden zufügen, ohne dass es unter das Prinzip der persönlichen Freiheit fällt. Wenn eine Handlung aber eindeutig nicht schädigend ist, sollte sie dem Prinzip der Freiheit unterliegen, und es sollte kein Zwang ausgeübt werden.
Ein Zwang geht erst einmal von Gesetzen mit Strafandrohung aus. Aber auch der Druck der öffentlichen Meinung kann sich negativ auf den Handlungsspielraum einer Person auswirken. Eine besondere Rolle spielt dabei die Religion, deren Vertreter oft von oben herab bestimmen, welche Verhaltensweisen man als Teil der Religionsgemeinschaft und der Gesellschaft an den Tag legen soll.
Individuum und Gesellschaft
Um es jetzt nochmal klarer zu wiederholen: Für Mill ist es so, dass wir als Individuen bestimmte Rechte haben innerhalb einer Gemeinschaft. Mit diesen Rechten gehen aber auch Pflichten einher.
Die Pflichten sind da, um sich an bestimmte Normen und Verhaltens-Regulierungen zu orientieren und diese einzuhalten. Allerdings eben nicht so, dass die Mehrheit oder die Gemeinschaft das Recht hat, den Einzelnen in seiner Einzigartigkeit einzuschränken.
Dieses Recht, dieses individuelle Recht endet allerdings dort, wo ich jemand anderen in seiner Freiheit beschneide oder eben verletze. Und das kann schnell geschehen, wenn ich meiner Pflicht als Mitglied der Gesellschaft nicht nachkomme oder mein Handeln sich indirekt auf andere auswirkt.
Fazit: John Stuart Mill „Über die Freiheit“
Mills Traktat „Über die Freiheit“ ist eine der wichtigsten Grundlagen des modernen politischen Liberalismus und unserer demokratischen Gesellschaft heute.
Was wir daraus genutzt haben, ist z. B., dass keine Mehrheitsbeschlüsse über das Recht des einzelnen Menschen gestellt werden.
Auch gibt unveräußerliche Menschenrechte, daran lässt sich einfach nicht rütteln. Egal, ob eine Mehrheit dagegen ist oder nicht.