Depression: Bilder im Kopf – Quälende Intrusionen & Flashbacks
Bei Depressionen sind Bilder im Kopf typisch, sogenannte Flashbacks, die sich immer wieder um eine schlimme Erinnerung drehen. Vor dem geistigen Auge entstehen also mentale Bilder, die mit negativen Gedanken und schrecklichen Gefühlen verbunden sind. Doch es gibt Mittel, um aus diesen negativen Erinnerungen und Gedankenkreisen auszusteigen.
Schmerzliche Erinnerungen bei Depressiven
Quälende mentale Bilder sind bei Depressionen häufig und belasten extrem mit Angst & Scham. Doch du kannst etwas dagegen tun.
Bildhafte Flashbacks bei Depressionen
Vielleicht kennst du das selbst: Manchmal blitzen lebhafte Bilder in deinem Kopf auf, die dir ein vergangenes Ereignis ins Gedächtnis rufen. In der Regel schenken gesunde Menschen diesen Erinnerungen kaum Aufmerksamkeit und haben nicht oft mit ihnen zu ringen.
Wenn du Depressionen hast, dann tauchen diese mentalen Bilder aber immer wieder und häufig auf. Ein und dieselbe Szene spult sich in deinem Kopf in grausamer Wiederkehr ab. Bei mir sind das zum Beispiel Bilder von Ex-Partnern, die mir Schlimmes angetan haben, oder an meinen verstorbenen Vater.
Depressive Intrusionen
Psychologen nennen diese mentalen Bilder bei psychischen Störungen: Intrusion, umgangssprachlich als Flashback bekannt. Jedes Mal, wenn diese Erinnerungen hochkommen, lösen sie extreme Gedanken und Gefühle in mir aus:
Trauer, Schuldgefühle, Hilflosigkeit und Scham – so gewaltig und existenziell zu spüren, dass es mich aus dem Gleichgewicht haut.
Vgl. auch Trauer & Depression – Symptome, Bedeutung & Unterschiede
Intrusionen / intrusive Gedanken – Definition
Ein intrusiver Gedanke bzw. eine Intrusion ist ein unfreiwilliger, aufdringlicher Gedanke, ein Bild oder eine unangenehme Idee, die zu einer Besessenheit werden kann, verärgert oder beunruhigend ist und sich schwer beseitigen lässt.
Wenn solche Gedanken mit einer Zwangsstörung, Depression, einer Körperbildstörung (KDS) und manchmal ADHS in Verbindung stehen, können die Gedanken lähmend, ängstigend oder hartnäckig werden.
Die Bilder in deinem Kopf können wie ein Kurzfilm ablaufen oder als unscharfes Bild erscheinen. Intrusive Erinnerungsfetzen tauchen wie aus dem Nichts auf, blitzen plötzlich in deinem Bewusstsein auf. Gerade wenn du mit PTBS geschlagen bist, wirst du die Erinnerung so unglaublich intensiv wieder erleben, als würde sie im Hier und Jetzt geschehen.
Es hat lange gedauert, bis die Medizin herausfand, dass nicht nur Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung von schrecklichen Bildern heimgesucht werden, sondern auch Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Störungen (Bsp Angststörung).
Seit 2017 ist man schlauer (1).
Depressive Bilderwelt
Typische Intrusionen bei Depression
Ich bin also nicht die einzige Depressive, in der lebhafte Bilder im Kopf herumspuken. 4 von 5 Depressiven berichten von wiederkehrenden, quälenden Erinnerungen. Typisch für Intrusionen bei Depressionen sind Geschehnisse im zwischenmenschlichen Bereich:
Tod, Krankheit oder Unfall von Angehörigen
Kränkende Bemerkungen von Freunden
Blamage in der Schule oder Arbeit
persönliches Versagen
Konflikte und Streit
Die ewige Wiederkehr der Vergangenheit
Jeder Mensch hat solche Erinnerungen. Die meisten können sie aber besser kontrollieren und finden sie nicht belastend. Anders ist es, wenn du an Depressionen leidest.
Vgl. auch Vulnerabilitäts-Stress-Modell – Erklärung & Kritik / Mängel
Etwas triggert dich und schon beginnt das Gedankenkarussell sich zu drehen. Je mehr du versuchst, die Bilder aus deinem Bewusstsein zu drängen, desto stärker kehren sie mit der Zeit zurück.
Und dann bist du wieder mittendrin im Geschehen. Mit all den hässlichen Schuldgefühlen, der gewaltigen Scham und Wertlosigkeit, der ungeheuren Angst und den tiefen Minderwertigkeitsgefühlen.
Worte können schwer wiedergeben, was da in deinem Inneren für ein großes Kino läuft. Wie beim Trauma hast du nicht einfach nur eine Erinnerung an Vergangenes. Du durchlebst es immer und immer wieder.
Begleitet von sehr bösartigen Gedanken, die dir deine Unzulänglichkeit, wesenhafte Hässlichkeit und Sinnlosigkeit vorwerfen.
Intrusionen bei Depressionen aufarbeiten
Schreib Deine Geschichte neu!
Es gibt einige Methoden, mit denen Verhaltenstherapeuten arbeiten, um aus der Depressionsspirale wieder herauszukommen. Darunter stimmungsaufhellende Aktivitäten, das Hinterfragen von Glaubenssätzen, das Aufdecken von Automatismen (Schemata) und Achtsamkeitsübungen.
Wenn das alles nicht fruchtet, wie bei mir, dann gibt es aber noch eine weitere Möglichkeit, die Bilder in deinem Kopf loszuwerden. Nämlich mithilfe deiner eigenen Fantasie.
Diese Methode nennt sich Imagery Rescripting, also mentales Umschreiben oder imaginatives Neuschreiben, und ist in ihrer Wirksamkeit gut belegt (3). Du musst die belastende Erinnerung also mit Deiner Vorstellungskraft so abwandeln, dass sie sich nicht mehr so schlimm anfühlt.
Das machen zum Beispiel Menschen mit sexuellem Trauma so: Sie stellen sich vor, wie sie den damaligen Angriff erfolgreich abwehren oder jemand hilft.
Es geht nicht darum, dass du dir einredest, alles wäre anders gewesen.
Es geht lediglich darum, die Erinnerung so umzuschreiben, dass sie deine emotionalen Bedürfnisse erfüllt. Weiter nichts.
Die Wirkung des mentalen Umschreibens
Eigentlich ist Konfrontation (Habituation) die übliche Herangehensweise (zumindest bei Traumapatienten). Daher muss das mentale Umschreiben einen anderen Mechanismus haben: Die Imagery Rescripting verändert kognitive Schemata (6), das Grundgerüst an Glaubenssätzen, die Deine eigene Person betreffen.
Erinnerungen sind nämlich keine bloße Wiedergabe von vergangenen Ereignissen, sie sind Interpretationen davon. Vgl. auch Psychotherapie kann Erinnerungen verfälschen
Eine Studie von 2018 legt nahe (7): Das mentale Umschreiben beeinflusst dein Selbstbild auf meta-emotionaler Ebene.
Beispiel fürs mentale Umschreiben
Wie soll das jetzt genau funktionieren? Ich gebe Dir ein persönliches Beispiel meiner Geschichte. Eines der harmlosen.
Das ist natürlich nicht das einzige Geschehnis für die Ausbildung meiner psychischen Krankheiten, aber eines, das mir immer mal wieder ins Gedächtnis kommt.
Ich wähle ein Ereignis, das mir immer wieder in den Kopf schießt.
Ausgangspunkt:
Ich bin 12 Jahre alt und ein paar Jungs machten sich lautstark über meine Nase lustig. Auf diese Erinnerung stützt sich u. a. meine Überzeugung, nicht attraktiv genug und abnorm hässlich zu sein.
Als nächstes arbeite ich den Kontext der Situation auf:
Was sah ich damals?
(Ich sitze im Aufenthaltsraum der Schule, die Jungs an einem anderen Tisch als ich. Der Raum war mit vielen Tischen und Stühlen eingerichtet. Große Fenster an einer Seite etc.)Wer ist noch anwesend?
(Ich bin allein an meinem Tisch, die 3 Jungs etwas entfernt an einem anderen Tisch)Was hörte und roch ich?
(Ich höre nur dumpfe Geräusche aus den Klassenzimmern und das Läuten der Kirchenglocke, sonst ist es still usw.)Wie fühlte ich mich in diesem Moment?
(Ich schämte mich sehr, fühlte mich hässlich und fehlerhaft. War zu schüchtern, um mich selbst zu verteidigen)Was ging mir damals durch den Kopf?
(Dass ich nie genug sein werde, nie so begehrt und wertvoll wie andere Mädchen)Was bedeutet mir das Ereignis heute? Welche Schlüsse habe ich daraus gezogen?
(Dass meine Nase abnorm lang und groß ist, ich deswegen nie attraktiv sein kann, jedem sofort mein Makel ins Auge springt usw.)
Jetzt geht es ans kognitive Umschreiben der Geschichte:
Was müsste in der Geschichte passieren, damit ich sie nicht so belastend wahrnehme?
(Mir kommen andere Jungs zu Hilfe und machen die anderen fertig, solch einen Quatsch zu reden. Oder ich erhebe mich selbstbewusst und haue einen kessen Spruch raus. Diese Jungs waren nämlich auch nicht gerade hübsch!)Was würde ich als Erwachsene in dieser Situation tun?
(Ich würde mich aus der Situation entfernen, anstatt zusammengekauert und allein an meinem Tisch zu sitzen. Ich würde die Jungs verarschen und mit einem Lächeln abzischen).
So ähnlich kann es funktionieren. Hier findest du außerdem einen Online-Leitfaden zur Selbsthilfe.
Prinzipien des Imagery Rescripting von Bildern im Kopf
Deine neue Version des Geschehens sollte deinen Bedürfnissen entsprechen. Meistens sind das solche Abänderungen, in denen:
du die Kontrolle wiedererlangst,
dich sicher fühlst,
dich wehrst
oder beschützt wirst.
Du darfst auch Fantasie-Gestalten wie Elfen, Feen, Monster oder Götter zu Hilfe rufen, um die Situation so zu lösen, wie es dir geholfen hätte.
Dabei brauchst du das Rad nicht neu zu erfinden. Die neue Geschichte muss lediglich der alten ähneln, aber eben anders sein, damit positive Gefühle in dir wachgerufen werden.
Das kognitive Umschreiben wird nicht beim ersten Mal seine volle Wirkung entfalten. Darum wiederholst du diesen Vorgang für ein und dieselbe Intrusion mehrmals, vielleicht 1 x pro Woche.
So wirst du verschiedene Gefühlsstadien durchlaufen: mal Wut, mal Trauer, mal Mitgefühl mit deinem früheren Ich. Auf diese Weise werden negative Gefühle wie Scham und Ohnmacht weniger.
Wenn du keinen Therapeuten als Gesprächspartner hast, das Ganze also in Eigenregie durchführst, dann schreib dir alles auf.
Wann solltest du das kognitive Umschreiben nicht alleine machen?
Diese Methode funktioniert nur, wenn du einigermaßen stabil bist. Menschen mit Psychosen, Selbstmordgedanken, schweren Depressionen sollten das Imagery Rescripting nur mit einem Therapeuten durchführen.
Ansonsten besteht die reale Gefahr, dass sich deine depressiven und psychotischen Symptome verschlimmern.
Fazit: Depression und Bilder im Kopf
Bildhafte, quälende Erinnerungen gibt es auch bei Depressionen und Angststörungen
Die Intrusion wird meistens durch einen Trigger ausgelöst
Das Wiedererleben der belastenden Situation ist quälend, angsterregend und hält depressive Symptome aufrecht.
Das Gedankenkarussell beschäftigt sich immer wieder mit dem vergangenen Ereignis, sorgt für eine Retraumatisierung oder Verstärkung der Leiden.
Neben Achtsamkeit, Bewegung, gesunde Ernährung und Psychotherapie kann das Imagery Rescripting helfen, das bewusste Umschreiben deiner Geschichte.
Im Zweifelsfall solltest du das Imagery Rescripting gegen Bilder im Kopf im Rahmen einer Psychotherapie testen.
Quellen:
1) Christiane Gelitz: Mit Fantasie aus der Depression
2) A. Arntz und A Weertman: Treatment of childhood memories: Theory and practice
3) A. Arntz: Imagery rescripting as a clinical intervention for aversive memories: A meta-analysis (Studie 2017)
4) A. Arntz: Efficacy of imagery rescripting and imaginal exposure for nightmares: A randomized wait-list controlled trial (Studie 2017)
5) K. Hansen et al: Efficacy of psychological interventions aiming to reduce chronic nightmares: A meta-analysis (Studie 2013)
6) M. Schmucker: Imagery rescripting: A new treatment for survivors of childhood sexual abuse suffering from posttraumatic stress (Studie 1995)
7) F. und A. Mancini: Rescripting Memory, Redefining the Self: A Meta-Emotional Perspective on the Hypothesized Mechanism(s) of Imagery Rescripting (Studie 2018)
8) Jon Wehatley et al: “I’ll believe it when I can see it”: Imagery rescripting of intrusive sensory memories in depression (Studie 2007)
9) Jon Wheatley und Ann Hackermann: Using Imagery Rescripting to Treat Major Depression: Theory and Practice (Studie 2011)
10) Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf: Imagery Rescripting – Selbsthilfe Anleitung online
11) Steffen Moritz und Lena Jelinek: We cannot change the past, but we can change its meaning. A randomized controlled trial on the effects of self-help imagery rescripting on depression (Studie 2018)
12) Stangl Online-Lexikon für Pychologie & Pädagogik: Intrusion
13) Taylor W. Schmitz et al: Hippocampal GABA enables inhibitory control over unwanted thoughts (Studie 2017)
14) Psylex: Intrusive Gedanken, Intrusionen (Online-News Psychologie)