Neurotische Depression – subdepressiv & doppeldepressiv
Der Begriff neurotische Depression wird heute nicht mehr oft verwendet. Meist reden Ärzte von Subdepressivität oder Dysthymie. Wie Du es auch nennst, es geht dabei immer um eine verwandte Krankheit bzw. Vorstufe zur Depression, die außergewöhnlich lange andauert und Dir das Leben schwer macht.
Subdepressive Störungen
wurden früher als neurotische Depression bezeichnet. Heute sprechen Mediziner von Dysthymie.
Subdepressiv – lebenslang & konstant
Stimmungstiefs, die aber lange anhalten, doch noch nicht den Schweregrad einer typischen Depression erreichen, erhielten irgendwann den Namen “neurotische Depression”. Neurotisch deswegen, weil es sich um eine Störung Deines psychischen Erlebens handelt, für die es keine organischen Ursachen gibt.
Die zahlreichen Synonyme machen das Verständnis auch nicht leichter: Während die einen von depressiver Neurose, nervöser Depression oder hysterischer Depression sprechen, benutzen andere lieber subdepressives Syndrom, Dysthymia oder Dysthymie.
“Neurotische Depressionen” sind zwar chronisch, aber keine Depression. Der Unterschied zeigt sich nur in der Intensität Deiner Symptome. Subdepressiv bedeutet, sie fallen etwas schwächer aus.
Das heißt aber nicht, dass Du deswegen weniger leidest als Menschen mit Depressionen. Ganz im Gegenteil, der Leidensdruck ist durch lange Dauer groß.
Warum überhaupt neurotisch?
Klingt nicht gerade schmeichelhaft, ist aber auch keine Abwertung, sondern lediglich eine Einteilung, um die “neurotische Depression” von anderen Formen abzugrenzen.
Hast Du schon mal von Neurotizismus oder neurotische Persönlichkeitsstruktur gehört?
Neurotiker sind meist Menschen, die von normal-gedachten Verhaltensweisen etwas abweichen. Sie sind meist
unsicherer
ängstlicher
gehemmter
nervöser
verletzlicher
penibler
als andere Menschen, bei denen dieser Persönlichkeitsfaktor geringer ausgeprägt ist.
Das Wort Neurose stammt vom Vater der Psychologie, Sigmund Freud: neurotisch sind damit alle psychischen Gesundheitsstörungen, bei denen sich keine körperlichen Ursachen finden lassen.
Damit grenzte er leichtgradige geistige Erkrankungen von Psychosen ab, die für schwere psychische Störungen stehen sollten. Das Ganze ist also ziemlich vage und schwammig gedacht – einfach, weil es zu Freuds Zeiten noch wenig Erkenntnisse über Depressionen und Geisteskrankheiten gab.
Dysthymie vs klassische Depression – die Unterschiede
Um eine Depression zu diagnostizieren, müssen bestimmte Depressionssymptome gleichzeitig auftreten. Treten jetzt aber nicht alle Kriterien für eine Depression auf, dann gehen Mediziner von einer “neurotischen Depression” alias Dysthymie aus.
Die “neurotische Depression” zeigt sich in leichten depressiven Symptomen, die 2 Jahre kontinuierlich anhalten. Du kannst also noch Deinen Interessen nachgehen, bist aber ständig erschöpft und fühlst Dich irgendwie hoffnungslos.
Eine klassische Depression verläuft phasenweise, daher hörst Du öfter den Begriff depressive Episode. Hier ist Deine Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und Dein Antriebsverlust so stark, dass Du nicht mehr am normalen Leben teilnehmen kannst. Deine depressiven Symptome sind offensichtlich. Da sie in Phasen auftritt, hast Du hier Zeiten, in denen Du Dich psychisch wieder „normal“ fühlst.
Bist Du an Dysthymie erkrankt, dann ist die depressive Verstimmung ständig da, zwingt Dich aber nicht in die Knie. Noch nicht. Die depressive Symptomatik ist nicht deutlich zu erkennen.
Auch der Beginn der Probleme ist bei Depressionen klarer zu sehen. Depressive wissen, dass sie früher, vor der Erkrankung anders waren. Menschen mit Dysthymie denken, dass sie eigentlich schon immer so waren.
Subdepressiv – Was heißt das wieder?
Eigentlich nur ein anderes Wort für die Dysthymie.
Subdepressiv bedeutet, dass die depressiven Symptome nicht das Ausmaß einer klassischen Depression erreichen.
Allerdings können subdepressive Zustände in eine waschechte Depression ausarten.
Ja, ich weiß, das klingt vielleicht nach Korinthenkackerei, aber im medizinischen Kontext braucht es diese Unterscheidungen, um Dich als Patient besser einzuschätzen und zu wissen, wann zum Beispiel medikamentöse Therapien nötig sind und wann nicht.
Häufigkeit von neurotischen Depressionen
– Wer & wie viele sind betroffen?
“Neurotische Depressionen” beginnen in vielen Fällen im frühen Erwachsenenalter und dauern Monate oder Jahre, wenn nicht sogar ein ganzes Leben lang an. So richtig bemerkst Du diese psychische Krankheit im mittleren Lebensabschnitt.
Aber das ist nur ein Schema, im Grunde kann die Dysthymie in jedem Alter auftreten – also bereits in der Kindheit oder erst im späteren Lebensalter.
Bislang scheint es Frauen häufiger zu treffen als Männer. Das lässt sich aber eigentlich nicht so genau sagen, da Frauen generell eher dazu bereit sind, einen Arzt aufzusuchen. Vgl. Depression bei Männern: Wut auf Partner
Symptome der neurotischen Depression
Subdepressive Menschen sind noch nicht ganz depressiv, auch wenn die Anzeichen sich ähneln. Es läuft also ein ähnlicher Film wie bei Menschen mit Depressionen. Dazu zählen Merkmale wie:
Schlafstörungen
geringes Selbstvertrauen
soziale Isolation bzw. Rückzug
Verlust an Interessen
herabgesetztes Konzentrationsvermögen
pessimistische Einstellung
höhere Verletzlichkeit (Vulnerabilität, vgl. auch Vulnerabilitäts-Stress-Modell)
Niedergeschlagenheit
geringere Gesprächsbereitschaft
körperliche Beschwerden
erhöhtes Suizidrisiko (vgl. Selbstmordgedanken)
Wie zeigen sich neurotische Depressionen genau?
Um es noch einmal klar zu sagen: Als Mensch mit Dysthymie leidest Du, das kann absolut niemand in Frage stellen.
Die Symptome sind belastend, selbst wenn sie leichter sind als klassische Depressionen, und erzeugen ein langfristiges Leiden, insbesondere weil “neurotische Depressionen” so lange andauern.
Sie können zwar auch von Tagen und Wochen unterbrochen werden, in denen es Dir besser geht, signifikant ist aber, dass sie echt lange anhalten und Deine Lebensqualität so erheblich beeinträchtigen.
Wenn Du subdepressiv bist, dann fühlst Du Dich vielleicht nicht so sinn- und wertlos wie Depressive, wirst jedoch ständig von erschöpfter Müdigkeit, Abgespanntheit und Kraftlosigkeit gequält.
Andererseits zermürbt Dich eine innere Unruhe, Nervosität und Anspannung (vgl. Agitierte Depression), die sich mit Gefühllosigkeit abwechseln kann. Du bist schnell verunsichert, tendierst zu pessimistischen Sichtweisen, fühlst Dich schnell gekränkt und bist mitunter auch schnell reizbar oder sogar aggressiv.
Vgl. auch Depression: Aggressionen in 50 % aller Fälle
Auch körperliche Probleme kommen hinzu, die Dir Dein Leben noch schwerer machen: Schwindel, Kopfschmerzen, Beklemmungsgefühle, Herzbeschwerden, Magen-Darm-Probleme, unspezifischen Schmerzen usw.
Trotz all dieser Probleme schaffst Du es, den Alltag und die Arbeit zu bewältigen. Allerdings musst Du Dich dafür wesentlich mehr anstrengen als andere Menschen.
Ursachen & Auslöser von subdepressiven Störungen
Im Grunde gibt es da Null Unterschied zur Depression, die Ursachen und Auslöser sind identisch.
In den allermeisten Fällen findest Du die Gründe für chronische Depressionsformen in der Kindheit, also durch eine frühe Traumatisierung. Bei der Dysthymie kannst Du ebenfalls davon ausgehen, dass es sich letztlich um ein komplexes Zusammenspiel aus Genen, Umweltbedingungen, Erfahrungen, Erziehungsstil und Persönlichkeitsstrukturen handelt.
Als neurotische Persönlichkeit besitzt Du oft ein
übersteigertes Pflichtbewusstsein,
eine peinliche Gewissenhaftigkeit,
starke Selbstkritik,
mehr Ängstlichkeit,
weniger Ausgeglichenheit
und größere Unruhe
Frustrationen & Enttäuschungen nimmst Du Dir dadurch mehr zu Herzen. Das sind dann zwar nicht die Gründe für Deine Subdepression, aber oftmals die Auslöser: also die Dinge, die zum Ausbruch der Krankheit führen.
„Als Auslöser einer neurotischen Depression wirken meist Situationen, die mit Überforderung, Prüfung oder Enttäuschung zusammenhängen:
Dazu gehören Todesfälle in der Familie, gesellschaftlicher oder berufliche Bedrohung mit oder ohne Abstieg, Umzug, Stellungs- oder Berufswechsel, umgekehrt aber auch Beförderung mit gestiegener Verantwortung, Verlust der bisherigen Routinemöglichkeiten bzw. Überforderung.
Bei starker häuslicher Gebundenheit können es sogar Urlaubsreisen, bei älteren Menschen Pensionierung oder Berentung sein, sofern als „Pensionierungsschock“ oder „Berentungsbankrott“ empfunden.“ (2)
Doppeldepression (double depression) – ein Sonderfall
Ein Übel kommt selten allein. Wie so oft, leidest Du nicht nur an der “neurotischen Depression”, sondern auch noch an anderen psychischen Störungen. Das alles macht es noch schwerer, eine Dysthymie überhaupt zu erkennen. Die häufigsten Verbindungen gibt es zwischen subdepressiver Symptomatik und:
Depression (75 %)
Angststörungen (50 %)
Persönlichkeitsstörungen (40 %)
somatoforme Störungen (45 %)
Sucht von Alkohol und Drogen (50 %)
ADHS (31 %)
Ganz schön verwirrend, oder? Vor allem, dass hier Depression an erster Stelle steht und sich die beiden Krankheiten so ähneln. Wie sollst Du das jetzt bitte verstehen?
Du musst Dir dafür noch mal die Definition von „neurotischen Depressionen“ in Erinnerung rufen: dabei geht’s um anhaltende depressive Verstimmungen, die aber noch nicht so schwer sind, um alle Kriterien für eine Depression zu erfüllen.
Du kannst also noch den Alltag hinbekommen, Kontakte pflegen, Dich zu Unternehmungen motivieren usw. Das zehrt zwar an Deinen Kräften und ist herausfordernd, aber möglich.
Kommt jetzt aber eine depressive Episode bzw. Depression hinzu, dann geht das alles nicht mehr. Du bist völlig antriebslos, niedergeschlagen, freudlos und kannst weder soziale Kontakte unterhalten noch arbeiten gehen.
„In diesen Fällen verschlechtert sich die Situation der Betroffenen erheblich, wie mir erst kürzlich eine 33-jährige Patientin in meiner Sprechstunde schilderte.
Aufgrund der bei ihr eingetretenen Doppeldepression verstärkten sich ihre Antriebslosigkeit, Trauer und Hoffnungslosigkeit. „Ich bin morgens oft nicht in der Lage, aufzustehen oder das Haus zu verlassen. Ich kann kaum noch meinem Berufs- oder Privatleben nachkommen“, sagte die Patientin.“ (6)
Eine Doppeldepression muss daher unbedingt psychotherapeutisch behandelt werden. Wahrscheinlich auch mit Medikamenten.
Fazit: neurotische Depression
Dysthymie ist keine Depression, hat aber das Potenzial, zu einer Depression zu führen
„neurotische Depressionen“ gehen oft mit anderen Neurosen einher, wie Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen usw.
Anzeichen für „neurotische Depressionen“ sind lang anhaltend: Antriebsmangel, Erschöpfungszustände, Melancholie etc.
Eine subdepressive Störung sollte nach offiziellen Empfehlungen vom Arzt abgeklärt werden, um zu erkennen, ob sie behandlungsbedürftig ist und das Abrutschen in eine Depression zu verhindern
vgl. auch Persönlichkeitsmodelle » Menschenbilder: Freud, Rogers, Perls (Teil 1)
Quellen:
1) Julia Dobmeier: Dysthymia (netdoktor)
2) Dr. med Volker Faust: Die neurotische Depression
3) Dr. med. H. Schulmayer: Neurotische Erkrankungen – Depression (Klinikum Stuttgart, Präsentation)
4) Wikipedia: Dysthymie
5) Gesundes Bayern: Stress lass nach Teil 3: Leben mit Depressionen – eine Betroffene erzählt
6) Andreas Hagemann: Jobverlust kann zu Doppeldepression führen
7) Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN): Unipolare Depression
8) Andrea Augustin: Depression und Dysthymie: Kennen Sie den Unterschied?
9) Gedankenwelt: Wie sich die Dysthymie von der Depression unterscheidet
10) Neurologen und Psychiater im Netz: Jahrelang traurig – chronische depressive Verstimmungen
11) Stiftung Deutsche Depressionshilfe