Meditation bei Depression gefährlich - Risiken & Nebenwirkungen

Meditieren bei Depressionen & anderen psychischen Krankheiten wird oft als Selbsttherapie empfohlen. Psychologen warnen in diesem Zusammenhang allerdings vor den Nebenwirkungen der Meditation, die bei Depressionen, Psychosen & Co auftreten können.

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Meditieren ist nach vielen Studien gesund.

Aber leider nicht für jeden. Die Nebenwirkungen der Meditation kennt fast keiner.

 

Meditieren kann Nebenwirkungen haben

Und bei psychischen Krankheiten sogar gefährlich sein

Alle meditieren - als wäre es völlig gewöhnlich. Nur ein Hype oder ist da doch was dran am inneren Frieden? Und wie ist das eigentlich mit Meditation bei Depression?

Ich spoiler mal: Meditieren bei psychischen Krankheiten kann mit Nebenwirkungen einher gehen. Nur wissen das oft ausschließlich die Profis (also die Psychologen, Psychiater, PTs). Im Laufe des Textes erkläre ich Dir auch warum.

Generell sollte man Hypes und Trends immer kritisch betrachten, denn ihnen fehlt es oft an Tiefgang.

Und dass eine Meditation bei Menschen Nachteile haben kann, wird leider nicht groß beleuchtet. Aber eins nach dem anderen...


Inhaltsverzeichnis: Meditieren bei Depression


 

Warum ist Meditation heute so beliebt?

Stress ist heute ein Dauerthema. Tatsächlich belegen Zahlen, dass immer mehr Menschen an psychischen Krankheiten (darunter Angst, Depressionen) erkranken. Da kommt Meditation gerade Recht: Sie hilft Stress abzubauen, Konzentration zu steigern, einfach gesünder zu werden.

Mmh, sorry, aber Meditation ist heutzutage ein Verkaufsschlager. Erinnert mich an die Sophisten im alten Griechenland, die Tugend gegen Geld lehren wollten und von Sokrates dafür scharf kritisiert wurden. Heute: da kann man den Menschen Coachings, Trainings und Apps verkaufen.

Nur zur Info: Laut einer Untersuchung investierten die Leute im Jahr 2015 global 8 Millionen Dollar in Meditations-Apps, 2019 warens dann schon 195 Millionen. Wow, da hätte ich doch auch gern so ‚‘ne App erfunden!

Außerdem ist mittlerweile auch die Psychologie am Thema dran. Heute gibt es Abermillionen Untersuchungen, vor 50 Jahren interessierte sich kaum jemand dafür – außer Hippies. Der Clou daran: die Meditation ist aus ihrem spirituellen und religiösen Rahmen gehoben. Sozusagen für die Masse vereinfacht, profanisiert.

 

Die Studienlage zur Meditation ist durchwachsen

Bevor Du jetzt empört mit mentalen Tomaten wirfst – Ja, ich weiß, es gibt sehr viele Studien, welche die Wirkung der Meditation belegen. Meditieren bei Depressionen & anderen psychischen Krankheiten kann helfen. Natürlich auch, wenn gar keine Erkrankung vorliegt.

Dazu möchte ich anmerken: Es gibt auch Studien, die eine verjüngende Wirkung von Meditation nachweisen. Oder eine heilsame Wirkung gegen Krebs bescheinigen.

Also Studie ist nicht gleich Studie.

 

Was ist jetzt das Problem?

Die Studien sind sehr unterschiedlich, was ihre Qualität und Aussagekraft betrifft. Vor allem ist das Setting der Aussagen stets zu beachten. Insbesondere die Wirkung bei (psychischen) Krankheiten ist eigentlich gar nicht so klar bewiesen, wie viele Magazine, Mentaltrainer & Co. schreiben. Verkauft sich nämlich besser.

Ich will natürlich die Wirkung der Meditation nicht bestreiten. Nur das Denken darüber hinterfragen.

Meditation gibt es seit Jahrtausenden – aber nicht als Therapie bei Krankheiten oder Stress. Sondern als spirituelle Lebensweise und Methode, den Geist zu verstehen. Alle funktionellen Betrachtungsweisen sind so ziemlich der psychologischen und medizinischen Sicht geschuldet.

 

Was ist Meditation überhaupt?

Achtsamkeit, Selbstliebe, Selbsterkenntnis … da gibt’s viele Begriffe, die durcheinander schwirren. Vor allem Achtsamkeit & Meditation werden oft als Synonym benutzt. Sind sie aber nicht.

Was ist Achtsamkeit?

Achtsamkeit ist ein Geisteszustand, keine Methode. Diesen Geisteszustand kannst Du durch Formen der Meditation verfeinern, vertiefen. Der Normalzustand des Geistes ist ein Leben nach Automatismen, Selbstverständlichkeiten. Wir sind nicht bei den Dingen, die wir gerade tun.

Achtsamkeit heißt, sich nicht mehr von unbewussten Gedanken & Gefühlen treiben zu lassen. Aktivität ist hier ein wesentlicher Faktor: Es geht nicht um Konzentration, es geht um Aufmerksamkeit, entspannte und offene Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt.

Was ist Meditation?

Meditation ist der Überbegriff für spirituelle Methoden, kein Zustand. Im Grunde könnte ich auch Geistesübung sagen. Es gibt viele verschiedene Meditationsformen, die im Einzelnen große Unterschiede aufweisen. Allen gemein ist: sie trainieren den Geist.

 

Warum sollten wir unseren Geist trainieren?

Der Geist – so ein hochtrabendes Wort. Was genau ist darunter zu verstehen? Hmm, schwer zu definieren. Eben alles rund um die Psyche?

Wer ist dein Feind? Der Verstand ist dein Feind. Niemand kann dir mehr Schaden zufügen als ein untrainierter Geist. Wer ist dein Freund? Der Verstand ist dein Freund. Niemand kann dir mehr helfen als dein eigener Geist, der weise gebildet ist.“

- Buddha -

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Medizinische Studien zeigen: Unser Gehirnstruktur ist abhängig von der Nutzung. Das hat Einfluss auf unsere Handlungen.

Klar oder? Die Dinge, die wir fühlen, riechen, sehen prägen sich im Gehirn ein. Synapsen, Verknüpfungen, Assoziationen entstehen – und je häufiger die gleiche Erfahrung, desto stärker die Assoziation.

Selbstverständlich passiert das alles unbewusst.

Was hat Buddha jetzt da gefaselt?

Naja, er meint doch genau das: Du, ich, jeder Mensch lässt sich quasi bunt anstatt gesteuert durch Erfahrungen und Umstände formen. Der Weise meint aber, wir sollten unser Gehirn trainieren, um glücklicher zu werden. Und da hat er Recht.

 

Was passiert da im Gehirn?

Nach Studien (11) beeinflusst Meditieren ein zentrales Neuronen-Netzwerk im Gehirn - das sogenannte Default-Mode-Netzwerk. Dieses Zentral-Netzwerk aus Nervenzellen ist bei Leuten, die regelmäßig meditieren, stärker mit den Hirnarealen für die bewusste Kontrolle, Arbeitsgedächtnis und Konfliktmanagement verbunden. Darum ist das Default-Mode bei diesen geübten Meditierern weniger aktiv.

Im Übrigen wird dieses Ruhestandsnetzwerk nur aktiv, wenn es still ist bzw. wenig sensorischer Input durch äußere Reize stattfindet (vgl. den Beitrag: Die Stille)

Menschen beschäftigen sich nicht gerne mit sich selbst

Gerade bei psychischen Problemen wie Depressionen läuft die Gedankenspirale ununterbrochen. Und Gedanken scheinen selbst für gesunde Menschen richtig mies zu sein. Beweist wieder eine Studie (2).

Dabei ging’s darum, dass Probanden 15 Minuten allein und nüchtern in einem Raum sitzen sollten und sich geistig mit irgendeinem Thema beschäftigen. Die einzige Bedingung: nicht aufstehen und nicht einschlafen.

Aber: sie konnten sich selbst per Klick einen kleinen Elektroschock verpassen, wenn es ihnen zu unangenehm wurde, um die Zeit zu überbrücken.

Rate mal:

2⁄3 der Männer und 1⁄4 der Frauen entschied sich fürs Knöpfe drücken, anstatt mit ihren Gedanken allein auszuhalten. Es gab sogar einen Kandidaten, der sich 190-mal schockte.

Die Aussage der Forscher: „Der dafür untrainierte Geist beschäftigt sich nicht gerne mit sich selbst“

 

Ist Meditation bei Depressionen gefährlich? Oder heilsam?

Zurück zur Meditation bei Depressionen und überhaupt zu möglichen Risiken und Nebenwirkungen. Eine Übersichtsarbeit hat sich mit dem Thema Nebenwirkungen bei Meditationen beschäftigt (3).

Ergebnis: ca. 8 % der Menschen, die sich in Meditieren versuchten, erlitten unerwünschte Nebenwirkungen – darunter Angst bis Panikattacken (vgl. Panikattacke: Nachwirkungen)

Der Hype behauptet jetzt aber: Meditation ist für jeden heilsam. Genau das ist sie aber nicht. Tatsächlich empfehlen Experten, dass vor allem Leute mit psychischen Problemen eine Meditation unbedingt unter ärztlicher Therapieleitung ausüben sollten.

Generell gibt es zu den Gefahren und Nebenwirkungen von Meditation erheblichen Forschungsbedarf.

  • Eine Studie dazu: das Dark Night Project von W. Britton, die führende Meditationslehrer nach ihren Erfahrungen befragte.

  • Ergebnis: Symptome wie Schlaflosigkeit, Angst, Gefühlsschwankungen bis zum Wiederauftauchen traumatischer Erlebnisse wurden genannt.

  • Berichtet wurde von Veränderungen der Wahrnehmung, vom Verlust des Selbstgefühls, aber auch von beruflichen und sozialen Beeinträchtigungen.

Ja, der Fokus aufs eigene Bewusstsein kann ziemlich üble Gedanken wecken. Nebenwirkungen bei der Meditation sollten daher stets als Warnsignal gedeutet werden.

 

Mc-Mindfulness – Meditation als günstige Selbstoptimierung

Der Begriff Mc-Mindfulness definiert (4), was das Ergebnis ist, wenn Meditation & ihr traditioneller Hintergrund auseinander fallen.

Eigentlich ist ja alles cool: Meditation ist jetzt für alle zugänglich, auch für die Leute, die nichts von spirituellen und esoterischen Dingen hören wollen. Die demokratisierte Meditation.

Leider gibt’s auch ein Aber: Tradition der meditativen Praktiken ist es, sich mit philosophischen und ethischen Normen und Fragen auseinanderzusetzen. Die fallen jetzt jedoch weg. Und damit der tiefere Sinn von Meditation.

Meditation dreht sich um Selbsterkenntnis, nicht um Entspannung und Leistungssteigerung, wie die Vielen es praktizieren. Da meditieren die Leute 30 Minuten lang, um fitter, gesünder und besser zu werden.

Nur mal so nebenbei:

Buddha bedeutet „der Erwachte“,
nicht der Gechillte, Fitte, Gesunde oder Erfolgreiche.

 

Starke Kritik am Achtsamkeitstrend

R. Purser, der den Begriff Mc-Mindfulness erfand, mahnt vor Konsum von Spiritualität ohne Erkenntnisgewinn.

„Achtsamkeit soll uns von Stress und Leiden befreien, fördert aber diese, laut Purser, indem sie die Ursachen für das Unwohlsein in unseren Köpfen verankert. Demnach sind nicht die äußeren Bedingungen schuld an meinem Stress, sondern ich.

Die Ursachen für den Stress werden nicht infrage gestellt, sondern das Anpassungsvermögen des Individuums. Das Leiden wird dadurch dekontextualisiert oder als vollendete Tatsache anerkannt, was eine Scheuklappenmentalität verursacht, die die wahren Probleme außer Acht lässt. Das Ich wird gleichzeitig zum Sündenbock und zur eigenen Rettung.“

In die gleiche Bresche springt David Forbes:

„dass Achtsamkeit in den meisten Fällen die vorherrschenden Zustände legitimiert, anstatt sie infrage zu stellen. Stress wird als genetisches Überbleibsel aus der Steinzeit charakterisiert, wie es Kabat-Zinn tut, das wir wegmeditieren können.“

 

Feel – don’t think!
– Wie gut tut uns Selbstoptimierung?

Die Sache mit der Achtsamkeit ist, dass sie heute der Effektivität dient, anstatt Selbstzweck zu sein. Purser geht sogar weiter: „Es ist ein Rückzug in private Lösungsansätze angesichts steigender kollektiver Probleme. Das eigene Wohlbefinden wird zu einer Aufgabe, die sich nur durch eiserne Selbstdisziplin meistern lässt.“

Das Ich des Menschen ist zum Abarbeitungsthema geworden. Achtsamkeit bedient dabei die gleichen Leute, die auf Quantified Self (Messung von Körpersignalen) oder Bio-Hacking (Verbesserung von Körper und Psyche durch Nahrungsergänzungsmittel etc.) stehen. Vgl. CBD gegen Depressionen – Hilft CBD wirklich?

Denn auch bei Achtsamkeit & Meditation geht es den allermeisten Leuten darum, Kontrolle über den Körper zu gewinnen und den Geist stärker, resistenter zu machen.

Der Trend zur oberflächlichen „Selbsterkenntnis“ passt perfekt zum Effizienz-Prinzip unserer Leistungsgesellschaft. Regale sind vollgestopft mit Ratgeberliteratur für ein besseres, selbst erfülltes Leben.

Nur: in dieser Art von Selbsthilfe steckt wenig Selbst.

 

Ich zitiere den Komiker George Carlin:

„Wenn es in einem Buch steht, ist es nicht Selbsthilfe, sondern einfach Hilfe.“

Schon mal was von anxiety consumerism gehört?

Das ist eine erfolgreiche Industrie, die sich auf Entspannungsprodukte spezialisiert hat und Millionen scheffelt: Gewichtsdecken gegen Schlafprobleme, Malbücher für den Stressabbau, Verdampfer zur Aromatherapie etc.

 

Psychische Krankheit wird zum Charakterzug

Mentale Hygiene muss ohne Negativität auskommen. Only Good Vibes oder so ähnlich. Ist nur sehr einseitig gedacht. Denn ein Bewusstsein, das ständig auf sich selbst ausgerichtet ist und nur Positives zulässt, kann keine Veränderung bewirken. Weder im Außen noch im Inneren.

Wir brauchen schließlich Gefühle wie Ärger, Wut und Traurigkeit, um Erfahrungen zu verarbeiten und darüber hinwegzukommen.

Die große Gefahr dabei bzw. eine Entwicklung, die sich schon in Gang gesetzt hat: Depressionen, Angststörungen, Neurosen und dergleichen mehr sind plötzlich ein Charakterzug, der sich mit Selbstdisziplin abtrainieren lässt.

Das Problem: Häufig haben aber Depressionen mitunter ihren Ursprung in gesellschaftlichen Verhältnissen. Und lassen sich nicht einfach durch Aufmerksamkeit heilen.

Das wird aber gar nicht hinterfragt, sondern als Adaptionsproblem der eigenen Person wahrgenommen. Und wieder ist der Einzelne selbst Schuld, wenn er sich mit den Gegebenheiten nicht arrangieren kann und daran erkrankt.

 

Nebenwirkungen der Meditation – es gibt sie wirklich

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Kritik an den positiven Studienergebnissen und deren Qualität gibt’s auch von Psychiatern (5). Ebenfalls eine Meta-Studie, die 124 Forschungen über den Effekt von Achtsamkeit bei psychischen Leiden untersuchte. 108 der Studien kamen zum Resultat: Achtsamkeitstherapie ist erfolgreich.

Die Autoren der Meta-Studie bezweifeln das allerdings.

Sie sagen: wenn man eine moderate Wirksamkeit von Meditation voraussetzt, dann gibt es doch immer auch gegenteilige Studien, die keinen Effekt beweisen. Die Forscher denken, hier liegt eine Verzerrung der Studienergebnisse vor. Sie vermuten, Achtsamkeitsübungen seien nicht so effektiv, wie viele Studien nahelegen.

Es gibt auch einen Psychologen, der sich stark mit den Nebenwirkungen von Meditationen beschäftigt (6). Der anerkannte Meditationsfachmann & Psychologe Ulrich Ott vom Bender Institute of Neuroimaging der Universität Gießen. Er sagt, Meditation könne Nebenwirkungen auslösen bei:

"Menschen mit emotionaler Instabilität, Vulnerabilität für Psychosen, posttraumatischer Belastungsstörung und Erfahrungen von Depersonalisation oder Derealisation".

Heißt, für Menschen, deren Wahrnehmung der eigenen Person und der Umwelt durch psychische Krankheiten stark verzerrt ist.

vgl. auch Vulnerabilitäts-Stress-Modell – Erklärung & Kritik / Mängel

 

Achtsamkeitsmeditation kann Nebenwirkungen haben

– Meue Studie von 2021 über unerwünschte Nebenwirkungen

Eine der neuesten Untersuchungen (14) untermauert diese Befunde. Dort wird ebenfalls betont, dass sich die meisten Studien (7.000 Studien wurden geprüft) über Meditation und psychischen Krankheiten auf den Nutzen von Meditationen konzentrieren, dass Risiko-Potential aber vernachlässigen.

Die Forscher fanden heraus, “dass die Häufigkeit von unerwünschten Wirkungen bei Achtsamkeitsprogrammen ähnlich hoch war wie bei anderen psychologischen Behandlungen.”

Daraufhin führten die Wissenschaftler eine eigene Studie mit Probanden durch - mit klaren Ergebnissen:

  • 83 % der Teilnehmer berichteten über mindestens eine meditationsverbundende Nebenwirkung.

  • Meditationsbedingte unerwünschte Wirkungen mit negativen Valenzen oder negativen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit traten bei 58% bzw. 37% auf.

  • Anhaltende negative Effekte traten bei 6% bis 14% auf und waren mit Anzeichen von dysreguliertem Arousal (Hyperarousal und Dissoziation) verbunden.

 

Risiken der Meditation – Wann kann Meditieren gefährlich sein?

Und hier finden wir das große Aber: tatsächlich kann die starke Beschäftigung mit uns selbst sehr nachteilig wirken, insbesondere wenn psychische Probleme oder Krankheiten vorliegen. Also wann ist Meditation gefährlich?

1. Meditieren bei akuter Depression

Achtsamkeit kann bei Depressionen helfen, das stimmt und ist auch belegt. Allerdings nicht, wenn Du akut an einer Depression leidest – also mittendrin bist. Denn gerade dann ist der Blick nach innen gerichtet und verstärkt die Wahrnehmung von Depressionssymptomen. Ich habe das selbst schon einige Male erlebt und Fachleute haben diese Nebenwirkung bereits bestätigt.

2. Meditation bei einer Psychose

Psychosen sind gefährliche Zustände. Hier braucht es unbedingt eine Anleitung und Begleitung, um nicht in abstruse Gedankengänge abzurutschen.

3. Meditieren und Süchte/Abhängigkeiten

Absolut kein Allheiltmittel ist Meditation bei akuter Sucht. Sie kann gerne begleitend ausgeübt werden, gegen die Sucht wird sie jedoch niemanden feien. Psychologen empfehlen Abhängigen, die Meditation mit ihrem Therapeuten zu besprechen.

4. Meditation bei starker Selbstkritik

Ein Mensch muss nicht gleich psychisch krank sein, um sich mit eigener Selbstkritik richtig fertig zu machen. In der Regel liegt dann auch schon eine depressive Verstimmung vor. Jetzt soll durch Meditation die Aufmerksamkeit auf sich selbst gerichtet werden, aber liebevoll.

Das kann nach hinten losgehen. Denn das eigene negative Selbstbild plötzlich genau entgegengesetzt zu betrachten, ist eine immense Herausforderung. Damit die Meditation keine Nebenwirkungen zeitigt, sollte daher immer eine Betreuung durch Meditationslehrer stattfinden.


 

Nur wenige Meditationslehrer verstehen etwas von psychischen Krankheiten

Das ist allerdings auch für erfahrene Meditationslehrer ein kritisches Gebiet (7), wie Ott betont:

„Heute kommen viel mehr Leute mit psychischen Störungen in die Meditationszentren als früher. Angeregt durch die vielen Bücher und die positive Presse wollen sie sich durch Meditation selber heilen.

Meditationslehrer und Zen-Meister sagen mir aber, dass sie sich davon überfordert fühlen. Denn viele von ihnen sind nicht dafür ausgebildet, mit Menschen zu arbeiten, die psychische Störungen haben.“

„Wer psychisch labil ist, sollte möglichst keine stundenlangen Meditationen am Stück über mehrere Tage machen. Bei entsprechend veranlagten Menschen kann es bei langen Meditationszeiten zu Halluzinationen und zu anderen psychotischen Symptomen kommen.

Hier ist es sicherer, in einer Gruppe unter kompetenter Anleitung erste Schritte zu machen und dies gegebenenfalls mit einem behandelnden Arzt oder Therapeuten abzustimmen.

In der Meditation tauchen auch Emotionen auf. Meditation ist deshalb relativ kontraindiziert bei Belastungsreaktionen nach einem schweren Trauma, zum Beispiel, wenn man Opfer einer Gewalttat oder einer Naturkatastrophe war oder einen schweren Unfall hatte. Dann kann das Trauma in der Meditation wieder auftauchen. Da muss Vorsorge getroffen werden.

Einen MBSR-Kurs 'Stressbewältigung durch Achtsamkeit' sollten diese Menschen zum Beispiel nicht machen. Der ist geeignet für Menschen, die Stress bewältigen wollen, auch bei chronischem Stress, aber nichts für massive psychische Störungen.

 

Negative Folgen der Meditation – ein Beispielfall

Ich zitiere aus einem anderen Artikel (8)

Karen Förster war lange ratlos, an wen sie sich wenden sollte. Ihr Meditationslehrer empfahl lediglich, weiterzuüben: Sie solle da »hindurchgehen« und »das Leiden zulassen und anschauen«.

Auf die Idee, ihr eine Psychotherapie zu empfehlen, kam er nicht – und sie selbst zunächst auch nicht.

»Ich hatte keine Hoffnung, dass mir mit diesem Zeug jemand helfen kann«, sagt sie heute, es war »als würde ich in einer Parallelwelt leben«.

Für solche Fälle wäre eine Vernetzung ideal, wie sie in Einzelfällen bereits stattfindet. So berichtet Ulrich Ott von einem Zen–Lehrer, der bei mehrwöchigen Kursen mit einem meditationserfahrenen Psychiater zusammenarbeitet um bei auftauchenden Schwierigkeiten besser eingreifen und beraten zu können.

»In meinem Fall hätte eine solche Vernetzung den Prozess erleichtern und abkürzen können«, sagt Karen Förster.

Die furchterregenden depressiven Bilder im Kopf verfolgen sie nicht mehr, dank einer Psychotherapie. Sie meditiert schon länger nicht mehr:

»Das schweigende Sitzen in der Gruppe tut mir nicht gut«, sagt sie.

Trotzdem will sie die Erfahrung mit der Meditation nicht missen. »Das hat für mich alles Sinn gemacht« und das Vertrauen, »dass mich etwas stützt und trägt«, hat sie heute noch.

Meditation ohne Effektivitätszwang kann heilsam sein, aber nicht ausschließlich

Die positiven Auswirkungen von Meditationen sind wissenschaftlich bewiesen. Und das will ich hier auch gar nicht in Frage stellen. Allerdings führt eine krampfhafte Einleitung von Ausgeglichenheit, Frieden und Entschleunigung zum gegenteiligen Effekt.

Stress, Druck und Zwang treten auf, wenn die Meditation nicht zum Ziel führt. Das wiederum verstärkt den Stress.

Wohlgemerkt: Meditation ist eine Achtsamkeitsübung, die sehr sehr positive Ergebnisse mit sich bringt. Aber nur, wenn sie ohne Zeitdruck und dem Effektiviätsgedanken praktiziert wird. Vgl auch: Zeitnot & Zeitwohlstand - Zeitmangel als Lebensgefühl

Denn erst dann wird sie wieder zur Philosophie mit Tiefgang fürs eigene Leben.

Meditieren bei Depressionen & psychischen Krankheiten ist kein Allheilmittel

Ich möchte und muss das noch einmal betonen, weil es viele Ärzte (aus anderen Fachrichtungen), Bekannte und Familie nicht verstehen und wirklich falsch mit depressiven Patienten umgehen.

Psychische Probleme verschwinden durch Achtsamkeitsübungen nicht von alleine - und schon gar nicht von heute auf morgen. Keine Krankheiten, kein persönliches Problem und kein innerer Konflikt können ausschließlich mit etwas Meditation gelöst werden.

 

Ist Achtsamkeit sicher? Wie lässt sich Achtsamkeit für Patienten mit Depressionen & Co. sicher machen?

Zum Schluss lasse ich noch einmal die Forschung zu Wort kommen: 2016 haben sich R. Baer und W. Kuyken mit der Frage beschäftigt “Is mindfulness safe? How can we ensure it is safe?

Dabei haben die Autoren 3 Punkte herausgearbeitet, die wichtig sind, um Achtsamkeit zu lernen und als Trainier zu lehren.

  1. Die Intensität der Praxis: Diese reicht von niedrig (kurze Übungen mit Apps oder aus Selbsthilfebüchern) über moderat (40 Minuten pro Tag etwa im Rahmen von Kursen) bis zu intensiv (viele Stunden am Tag über mehrere Tage bis Wochen).

  2. Die Vulnerabilität der Person (z.B. psychiatrische Vorerkrankungen wie Psychosen, s.u.).

  3. Die Qualität der Anleitung (Ausbildung der Meditationslehrer)

Außerdem heben die Forscher der Studie 3 Ergebnisse hervor, die im Wesentlichen mit dem übereinstimmen, was ich hier bereits ausgeführt habe.


1) Achtsamkeit dient nicht der Glückseeligkeit

Also nicht in erster Linie. Natürlich helfen Achtsamkeitsübungen wie Meditation langfristig dabei, sich gut zu fühlen. Da ist aber nicht das primäre Ziel - bei Achtsamkeit geht es darum, Dich allen Erfahrungen & Gefühlen zuzuwenden.

Den Angenehmen, den Neutralen und den Unangenehmen.


2) Achtsamkeit ist kein Heilmittel gegen alles

Meditation und Achtsamkeit allgemein sind nicht der einzige Weg, um Stress zu reduzieren, Symptome zu verbessern und Dein Wohlbefinden zu steigern.

Meditation ist auch nicht für jeden Menschen geeignet. Vielmehr sollen Patienten laut den Autoren die Übungen auswählen, die individuell auch passen. Egal ob Fitnesstraining, Sport, Yoga oder eben Meditation.


3) Achtsamkeit gründet sich auf Erfahrungswissen

Achtsamkeit beruht auf Erfahrungswissen, ist empirisch. Übungen sind in einer experimentellen und offenen Haltung durchzuführen. Dabei sollten sich Patienten von ihrere eigenen Erfahrung mit dem Meditieren leiten lassen. Hilft es oder fühle ich mich anhaltend schlecht dadurch?


 

Fazit: Meditation bei Depression gefährlich

  • Meditieren kann bei psychischen Störungen helfen, keine Frage. Achtsamkeitsbasierte Techniken helfen vielen Menschen bei der Verbesserung ihrer psychischen Gesundheit.

  • Doch ebenso wie bei einer Psychotherapie können Meditationspraktiken Nebenwirkungen hervorrufen, indem sie das Leid der Betroffenen vorübergehend verstärken (12).

  • Daher ist es so wichtig, nicht nur das Nutzen-Potenzial von Meditationen zu untersuchen, sondern ebenso auf die möglichen Nebenwirkungen (kurzfristig erhöhter Stress) hinzuweisen, damit sich Patienten besser darauf einstellen können.

  • Betroffene sollten sich nicht irgendwelchen Meditationslehrern und Anbietern anvertrauen, sondern spezielle Meditationsprogramme für psychisch Kranke nutzen.


Quellen:

1) Studie des Marktforschungsunternehmens Sensor Tower, 2015
2) Just think: The challenges of the disengaged mind
3) Adverse events in meditation practices and meditation‐based therapies: a systematic review, 2020
4) David Loy: Beyond McMindfulness, 2013
5) Reporting of Positive Results in Randomized Controlled Trials of Mindfulness-Based Mental Health Interventions, 2016
6) Zeit online: Hör mir auf mit Achtsamkeit, 2018
7) TK Magazin: Interview mit Meditationsexperte Ulrich Ott
8) Roths Psychoblog: Dämonen aus der Stille
9) achtsamleben.at: Nebenwirkungen von Achtsamkeit, Meditation bzw. Retreats
10) Oxford Mindfulness Centre - News
11) Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“: Judson A. Brewer
12) Willoughby B. Britton et al: Defining and Measuring Meditation-Related Adverse Effects in Mindfulness-Based Programs (Studie 2021)
13) Dipl.-Psych.: Christian Hilscher: Achtsamkeitsmeditation kann Nebenwirkungen haben

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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