Triggerwarnungen – sinnvoll oder doch eher triggernd?

Triggerwarnungen sollen helfen, traumatisierte Leser bzw. Zuschauer vor negativen Reizen zu schützen. Nach mehreren Untersuchungen sind Warnhinweise auf Trigger jedoch nicht sinnvoll und lösen den gegenteiligen Effekt aus: Sie triggern Betroffene stärker als Texte, Filme oder Bücher ohne Warnung. Ist das wirklich so?

Triggerwarnungen

Warnhinweise auf Trigger

sollen eigentlich schützen. Studien zeigen jedoch, dass sie Trigger-Effekte verstärken anstatt abmildern.

Achtung: Trigger – Pro & Contra

Du kennst sie seit Jahren auf Zigaretten-Packungen. Doch Triggerwarnungen gehören heute auch zum festen Repertoire im Internet, in Büchern oder vor Filmen.

Egal ob Netflix, Instagram oder Online-Zeitungen: überall finden sich vor den Inhalten entsprechende Warnhinweise, die auf negative psychologische Effekte aufmerksam machen sollen.

Doch inwiefern schützen Triggerwarnungen wirklich vor negativen Gedanken und Gefühlen, die bei Betroffenen traumatische Erinnerungen wachrufen?

Lange Zeit glaubte man, diese Effekte durch den Warnhinweis zu Triggern abfangen zu können.

Neue Untersuchungen belegen jedoch, dass sie genau das Gegenteil bewirken:

Wie eine selbsterfüllende Prophezeiung lösen Trigger-Hinweise genau das aus, wovor sie eigentlich schützen sollten.

 

Was sind Trigger (Psychologie)?

Triggerwarnung Bedeutung

Sicher kennst Du den Ausspruch „getriggert werden“. In der Psychologie sind sogenannte Trigger oder Content Notes (Cns) nichts anderes als Auslöser. Also Reize, die für das Wiederaufleben von traumatischen Erinnerungen, Gefühlen und Gedanken führen.

Welche Inhalte können triggern?

Etwa schwer diese Frage pauschal zu beantworten. Traumatisierte Menschen können von den verschiedensten Worten, Bildern oder Klängen getriggert werden. Dabei sind einige so unscheinbar und unauffällig, dass Du von selbst vielleicht nicht drauf kommen würdest.

Zum Beispiel kann eine Frau, die Opfer sexueller Gewalt durch einen bärtigen Mann wurde, generell durch Menschen mit Bart daran erinnert werden. Oder denk’ mal an Personen mit Kriegstrauma. Hier reicht schon der Anblick einer Uniform, um die schrecklichen Ereignisse wieder im Kopf durchleben zu müssen.

Das waren jetzt Trigger-Beispiele für optische Eindrücke. Aber wie ist es mit Worten in Texten und Büchern? Wo sollen wir anfangen? Ist das Wort Trigger bereits ein Trigger? Wenn ich eine Hautfarbe beschreibe, könnte das Menschen mit Migrationshintergrund bereits triggern?

In Amerika ist dazu eine sozialpolitische Debatte entbrannt, die mittlerweile auch Deutschland erreicht hat. Doch soweit möchte ich in diesem Text gar nicht gehen. Mir ist wichtiger zu beleuchten, wie Triggerwarnungen auf Menschen mit Traumafolgestörung wirken und ob sie in diesem Bereich sinnvoll sind.

 

Ein Trauma wird im Körper abgespeichert

Eins vorweg: Nicht jeder, der eine traumatische Erfahrung macht, erkrankt daran. Also nicht jeder hat eine Traumafolgestörung. Aber einige schon. Was passiert da eigentlich bei Dir als Betroffener in Kopf und Körper?

Psychologen erklären, dass bei erkrankten Personen das Trauma nicht richtig verarbeitet wurde. Anstatt das Erlebte zeitlich und räumlich mit dem Erinnerungsareal (Hippocampus) zu bewältigen, wird es emotional im Stress- und Angstareal (Amygdala) abgespeichert. Hier kann der Verstand nur schwer zu greifen. Dann genügen einfache Trigger, um Dich sofort wieder in die jeweilige Situation zurück zu versetzen und entsprechende Emotionen und Gedanken auszulösen.

Experten sprechen von einer Überflutung des Gehirns, auch Flashback oder Intrusion. Das heißt, Du erinnerst durch nicht einfach nur an das schreckliche Ereignis. Du bist wieder mittendrin, mit all den schrecklichen Gefühlen, die Dich damals überwältigt haben. Das ist keine Bagatelle und auch nichts, was Du als Betroffener mit Logik lösen könntest.

vgl. Depression: Bilder im Kopf (Intrusionen) – Was hilft?

Wirst Du getriggert, dann verlierst Du die Kontrolle, bist wieder gefangen in der grausamen Vergangenheit und kannst wenig dagegen tun. (Vgl. Angst vor Kontrollverlust)

 

Warum Triggerwarnungen genutzt werden

Triggerwarnungen sollen genau diesen Kontrollverlust verhindern helfen. Oder besser gesagt: Traumatisierte Menschen können durch entsprechende Warnhinweise autonom entscheiden, ob sie sich mit einem triggernden Thema überhaupt beschäftigen wollen. Ob sie sich einer Gefahr des Wiedererlebens aussetzen möchten.

Traumapatienten werden in der Therapie darauf getrimmert, mit Auslöser-Reizen umgehen zu lernen. Sie müssen selbständig die Wahl treffen, wann sie stark genug sind, sich mit ihren Erfahrungen auseinanderzusetzen oder es an bestimmten Tagen lieber sein zu lassen.

Das erfordert einiges an Selbstreflexion und Selbsterfahrung. Hört sich eigentlich auch gut an. Aber ist es wirklich so?

 

Sind Triggerwarnungen sinnvoll?

Triggerwarnungen Pro & Contra

Wenn Du nur die Intention betrachtest, also die Gründe für Triggerwarnungen, ist die Antwort eindeutig. Allerdings steckst Du als Leser oder Zuschauer in einer anderen Rolle als der Verfasser. Das bedeutet, Du wirst die Warnhinweise nicht so rational und durchdacht erfassen.

Dass sich Triggerwarnungen schädlich auswirken, belegen sogar Studien:

  • 2017 (9): Psychologieprofessor Guys Boysen zitiert mehrere Studien, die zu dem Schluss kommen, dass Traumapatienten von konkreten Warnungen profitieren und in der Folge weniger negative Emotionen und Flashbacks erleben, da sie gezielt Bewältigungsstrategien aktivieren können. Für Betroffene sind Triggerwarnungen also überwiegend hilfreich.

  • 2018 (2): Hier ging’s um Texte. Diejenigen Teilnehmer, die den Text mit Triggerwarnung lasen, berichteten von mehr Angst. Die Forscher meinten: Trigger-Hinweise wirken sich wie eine selbsterfüllende Prophezeiung aus.

  • 2019 (3): Diese Untersuchung zeigte andere Ergebnisse. Demnach wirkten sich die Triggerwarnungen überhaupt nicht aus, weder positiv noch negativ.

  • 2019 (13): Diesmal waren verstörende Bilder im Fokus. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass Triggerwarnungen nicht zu einer negativeren Interpretation führten. Allerdings zeigte sich, dass bei den gewarnten Probanden eine negative Erwartungshaltung ausgelöst wurde, die sich nicht mildern auf die negativen Reaktionen auswirkten.

  • 2020 (4): Anders als in den vorherigen Studien, wurden hier explizit traumatisierte Menschen getestet. Die Forscher gaben an, dass Triggerwarnungen bei Betroffenen zu einer Verstärkung des Traumas führten. Das Trauma wurde wesentlich verinnerlicht und mit dem eigenen Selbstbild verschmolzen als es in der Vergleichsgruppe der Fall war.

  • 2020 (10): Bruce & Dawn fanden heraus, dass Personen mit Missbrauchserfahrungen, die Triggerwarnungen erhielten, einen Text weniger gut verstanden.

Eine andere Experten-Fraktion sieht die neueren Ergebnisse für falsch an. Schließlich hilft die Auseinandersetzung in der Therapie traumatisierten Patienten bei der Verarbeitung. Allerdings nur, solange Betroffene die Kontrolle haben, sich dafür zu entscheiden.

Die andere Partei ist von den Studien überzeugt: "Von solchen Warnungen halte ich gar nichts. Das schürt eine Erwartungsangst, dadurch wird das Gegenteil erzeugt.", meint der Psychologe Werner Hübner (5, 9).

 

Triggerwarnungen können triggern

Ja, was denn jetzt? Sind Triggerwarnungen sinnvoll oder nicht? Wenn Du Dich ein bisschen in den Sozialen Medien umschaust, stößt Du vielfach auf Meinungen, die sich pro Triggerwarnung aussprechen.

Mich macht das allerdings etwas stutzig: Schließlich ziehen sich Menschen, die gegenteilige Erfahrung machen, eher zurück und geben ihre negativen Erlebnisse auf Social Media nicht preis.

Ich selbst bin auf Instagram und Pinterest aktiv und das Bild, das die meisten Beiträge zu psychischen Störungen zeichnen, ist sehr homogen. Da werden im Grunde nur Erfolgsgeschichten verbreitet und nette positiv Sprüche wie „Wenn ich es geschafft habe, schaffst Du es auch“. Erinnert mich stark an toxische Positivität, nur nicht zu viel Negatives posten, das mögen die Leute nämlich gar nicht.

Vgl. auch Digitale Medien & Gehirn – Was macht das Internet mit uns?

Wenn es mir also schlecht geht, überlege ich 5 mal, ob ich diesen negativen Gefühlen dort Ausdruck verleihe. Schließlich scheint das eine überwältigende Mehrheit nicht lesen bzw. sehen zu wollen. Aber mal zurück zu den Triggern...

Triggerwarnungen nicht sinnvoll

Dass Triggerwarnungen nicht zielführend sind, untermauert nun die neueste Untersuchung aus dem Jahr 2021 (6). Demnach konnten Trigger-Hinweise die traumatischen Erinnerungen überhaupt nicht abschwächen, sondern verlängerten das Erinnern an die schrecklichen Ereignisse sogar noch.

Die Studie analysierte explizit, ob Triggerwarnungen die Art des Erinnerns an ein Trauma veränderten. Ja, das taten sie, aber eben auf negative Weise. Anstatt die Menschen auf negative Erinnerungen vorzubereiten, passierte genau das Gegenteil: Sie kämpften nach Lesen bzw. Sehen der Triggerwarnung und den dazugehörigen Inhalten viel länger mit belastenden Erfahrungen und berichteten über stärkere Symptome (Schlafstörungen, Angst etc.). Die Kontrollgruppe, die keine Triggerwarnungen zu sehen bekam, hatte damit deutlich weniger Probleme.

Und noch etwas zeigte die Studie: Auch Bewältigungsstrategien wurden durch Triggerwarnungen nicht vermehrt, wie früher oft geglaubt wurde (zum Beispiel wie in der oben erwähnten Studie von 2017).

 

Fördern Triggerwarnungen die Stigmatisierung?

Robert Whitley, amerikanischer Psychologe, befürchtet sogar, dass Triggerwarnungen die Stigmatisierung von psychisch kranken Menschen in der Gesellschaft fördern (12). » Stigmatisierung in der Psychiatrie

Die Begrifflichkeiten „spielen mit dem Stereotyp, dass psychisch kranke Menschen nur diese einfachen pawlowschen Hunde sind, die instinktiv auf Reize reagieren, obwohl Menschen viel komplexer als Ratten oder Hunde sind und die Dinge ständig neu interpretieren und bewerten.

Hmm, an dem Argument ist schon was dran. Triggerwarnungen rufen auch in mir die Assoziation wach, dass jeder Betroffene auf gleiche Art und Weise auf bestimmte Worte, Bilder oder Klänge reagieren würde. Das ist sicherlich nicht der Fall.

Ebenso wenig stimmt es, dass Triggerwarnungen harmlos sind und daher zur Sicherheit gesetzt werden sollten. Die individuelle Erwartungshaltung spielt hier eine große Rolle.

Evtl. auch interessant für Dich: Was dich nicht umbringt, macht stärker?

 

Fazit: Triggerwarnungen

  • Die Triggerwarnungs-Debatte zeigt, beim Triggern handelt es sich um eine höchst individuelle Angelegenheit

  • In den meisten Fällen sind Triggerwarnungen ziemlich überflüssig, weil die Überschrift und der Teaser bereits beinhalten, worum es bei dem jeweiligen Content geht. Ich meine, als Betroffene oder Betroffener bist Du ja nicht blöd, Du weißt, dass bestimmte Themen für Dich schwierig sind.

  • Ich selbst setzte bei meinen Texten keine Triggerwarnung ein, eben weil meine Headline deutliche Aussagen trifft. Eine Ausnahme habe ich beim Thema Selbstmordgedanken gemacht, weil ich mir unsicher war.

  • Nach der neuesten Studie von 2021 mit traumatisierten Menschen erscheint Vorsicht die bessere Wahl. Also, wieso Erwartungen an negative Effekte schüren? Manche argumentieren, nur eine kleine Gruppe hätte mit negativen Auswirkungen zu kämpfen. Dieses Argument wird aber durch die neue Untersuchung widerlegt.

 

Quellen:
1) Lea Schönberg: Triggerwarnung: Dieser Text könnte zu Aufregung führen
2) Benjamin W. Ballet et al: Trigger warning: Empirical evidence ahead
3) Mevagh Sanson: Trigger Warnings Are Trivially Helpful at Reducing Negative Affect, Intrusive Thoughts, and Avoidance
4) Payton J. Jones: Helping or Harming? The Effect of Trigger Warnings on Individuals With Trauma Histories
5) Magdalena Bienert: Warnung auf Büchern oder Filmen. Warum Triggerwarnungen wenig bringen
6) Victoria M.E. Bridgland et al: Danger! Negative memories ahead: the effect of warnings on reactions to and recall of negative memories
7) Psylex: Triggerwarnungen können traumatische Erinnerungen verschlimmern
8) Yannik von Eisenhart Rothe: Getriggert? Ein Psychologe erklärt, warum Trigger nicht bloß ein Meme sind
9) Guy Boysen: Evidence-Based Answers to Questions About Trigger Warnings for Clinically-Based Distress: A Review for Teachers
10) Madeline Bruce und Dawn Roberts: Trigger warnings for abuse impact reading comprehension in students with histories of abuse
11) Elea Brandt: Mythbusting: Triggerwarnungen in Büchern
12) Mark Hay: Do Trigger Warnings Actually Work?
13) Victoria Bridgland et al: Expecting the Worst: Investigating the Effects of Trigger Warnings on Reactions to Ambiguously Themed Photos
14) Anna Lisa Franzke: Wenn Geschichten triggern...

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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