Toxische Weiblichkeit – überholte Rollenbilder & ihre Wirkung

Toxische Weiblichkeit stützt das dominante Männerbild, ebenso wie toxische Männlichkeit. Doch was genau ist darunter zu verstehen? Und woran zeigt sich zerstörerisches Verhalten von Frauen?

Toxische Weiblichkeit

Toxische Weiblichkeit gibt es

Genauso wie die allseits bekannte toxische Männlichkeit. Aber die weibliche Form hat andere Facetten, die wir oft nicht erkennen.

 

Toxische Rollenbilder bei Frauen & Männern

Beim Thema “toxische Weiblichkeit” geht es um Rollenbilder, die wir Frauen durch Kultur, Erziehung und Sozialisierung tief in unser Wesen eingesogen und verinnerlicht haben. Sie werden täglich unbewusst reproduziert, aufrechterhalten und weitergegeben – von Frauen an Frauen!

Toxische Männlichkeit wird häufig thematisiert.

Sie bezeichnet Verhaltensweisen & Denkarten von Männern, die auf Macht, Kontrolle und Aggression aufbauen. Das klingt zwar schrecklich klischeehaft, ist aber tatsächlich in Statistiken nachweisbar:

  1. Männer kommen häufiger mit dem Gesetz in Konflikt und landen im Knast (8)

  2. üben mehr sexuelle Übergriffe aus (3 und 9)

  3. begehen häufiger Suizid/Selbstmord (2) » Infos zu Selbstmordgedanken

Aber was soll man jetzt unter toxischer Weiblichkeit verstehen? Inwiefern bin ich als Frau zerstörerisch, mir selbst und meiner Umwelt gegenüber?

 

Toxische Weiblichkeit – Definition

Wichtig ist zu verstehen, was mit dem Begriff toxische Männlichkeit eigentlich bezweckt wird:

Es geht nicht darum, die bösen Männer zu kritisieren. Es geht darum, das gesellschaftliche Rollenbild von Männern anzuprangern – die Norm von Männlichkeit, die über Jahrhunderte vermittelt wird.

Genau auf dasselbe Prinzip zielt das Wortpaar toxische Weiblichkeit ab. Es geht um das überkommene Rollenbild, das ich als Frau selbst praktiziere, sich aber mindestens genauso destruktiv auf mich und andere Frauen auswirkt. Betroffen sind die Klischees des harten Kerls und der weichen Frau – klassische Stereotype, die übrigens auch patriarchalisch geprägt sind und noch aus dem Mittelalter stammen.

 
Toxische Femininität - Beispiele

Die toxische Femininität

Frauen legen sehr oft ein Verhalten an den Tag, das sehr stark an den Idealen & Normen der Gesellschaft ausgerichtet ist. Soweit nichts Neues, oder?

Dogmatische Rollenbilder sind immer schädlich. Während sich die negativen Auswirkungen der toxischen Männlichkeit deutlicher in der Außenwelt niederschlagen, weil sie vor allem nach außen gerichtet ist, zeigt sich toxische Weiblichkeit subtiler und angeblich nach innen gerichtet.

Dazu gehört zum Beispiel folgendes Mindset:

  • Bedürfnisse anderer über die eigenen stellen

    Sonst bist Du egoistisch. Immer noch sind es überwiegend Frauen, die den Haushalt erledigen, Alte pflegen, sich intensiver um die Kinder kümmern – am besten alles neben dem Job (16).

  • Immer gut aussehen und schick sein

    Sonst wirkst Du unweiblich, weil Du nicht dem femininen Schönheitsideal entsprichst – Frauen verbinden das Schönheitsideal tatsächlich mehr mit ihrem Selbstwert als Männer (14). (vgl. Was ist Schönheit?)

  • Passiv statt aggressiv

    Sonst bist Du eine schwierige Zicke. Aggressionen passen nicht zu der weichen Frau, die hauptsächlich für Ruhe und Harmonie verantwortlich ist bzw. das angeborene Talent haben soll, empathisch auf alles und jeden zu reagieren.

 

Männliches Idealbild

Was ist das Idealbild eines „echten“ Mannes in unserer Gesellschaft? Die meisten Menschen denken hier an Adjektive wie:

  • schweigsam

  • rational

  • hart

  • stark

  • dominant

  • aktiv

  • durchsetzungsfähig

Weibliche Idealbild

Zum weiblichen Idealbild gehören scheinbar positive Eigenschaften, die Frauen zugesprochen werden:

  • kommunikativ

  • emotional & empathisch

  • weich

  • schwach

  • hingebungsvoll

  • passiv

  • zurückhaltend


 

Frauen machen sich selbst das Leben schwer

Während sich überkommene männliche Rollenbilder an der Ausübung von Kontrolle und Macht konzentrieren, steht bei Frauen die Perfektion (gemäß dem Rollenbild) im Fokus.

Wo bestimmte Männer gerne ihre Überlegenheit zeigen, verurteilen und kritisieren sich Frauen selbst für ihre Bedürfnisse, Gelüste und Wünsche.

Der Drang vieler Frauen, sich ständig mit anderen Frauen zu vergleichen und unrealistische Schönheitsideale zu erfüllen ist giftig für sie selbst.

In dem Zusammenhang passend folgende Fakten:

 

Wie sieht destruktives Verhalten von Frauen aus?

Beispiele für toxische Weiblichkeit

Beispiele toxische Weiblichkeit

Das toxische Verhalten von Frauen richtet sich einerseits gegen die eigene Person, aber vor allem auch gegen andere Frauen.

Frauen treten gegenüber anderen Frauen oft verurteilend und feindlich auf. Noch schlimmer: Sie sind Weltmeister in der schnellen und oberflächlichen Verurteilung.

Ich nenne Dir hier einige persönliche Erfahrungen:

  1. Andere Frauen bezeichnen mich als Zicke, schwierig oder überempfindlich, wenn ich nachdrücklich und bestimmt meine Position vertrete. Oft heißt es auch, ich hätte Haare auf der Zunge, nicht gerade schmeichelhaft und ein sehr unweibliches Bild.

  2. Habe ich meine Periode und verhalte mich anderen gegenüber schlecht gelaunt, dann schiebe ich es oft selbst auf meine Tage oder werde von anderen Frauen in diese Schublade gesteckt.

  3. “Und wann bekommst Du endlich Kinder?” So ähnlich lauten viele Fragen, die ich mir von anderen Frauen anhören muss. Permanente Fragen nach Kinderplanung vermitteln das Gefühl, ich wäre nur ganz Frau, wenn ich auch diese Anforderung erfülle. Tatsächlich weckt das in mir Schuld und Scham, weil ich nicht wie die “anderen Frauen” bin, für die eine Mutterschaft zum Frau-sein gehört.

  4. Es gibt aber auch die umgedrehte Variante, befeuert durch das mediale Bild der perfekten Frau, die virtuos Kindererziehung und Job gleichzeitig im Griff hat. Und natürlich super aussieht! Gerade im beruflichen Umfeld höre ich immer wieder Sätze wie “Ich kann nicht nur Hausfrau sein, das ist zu banal und langweilig”. Wow, starker Tobak, oder? Da werden Frauen von anderen Frauen verurteilt, nur weil sie sich für ein Leben als Hausfrau (vorübergehend) entscheiden.

  5. Paradox: Gleichzeitig werden Frauen von anderen Frauen als karrieregeile Rabenmütter bezeichnet, wenn sie sich nicht vollkommen für ihre Familie aufopfern bzw. ihre beruflichen Ambitionen fallen lassen, sobald Ehe und Kinder im Spiel sind.

  6. Häufig heißt es unter Frauen, Männer würden sich von einer starken Frau abgeschreckt fühlen. Es wirke emanzenhaft und unweiblich, wenn ich mich als Frau selbstbewusst und bestimmt zeige. Leider ein Glaubenssatz, den viele mit sich herumtragen, ohne es zu merken.

  7. Wenn ich als Frau Hauptverdienerin bin und mein Mann derjenige, den ich finanziell unterstütze, löst das überraschte und wertende Reaktionen bei Frauen & Männern aus. Teilweise auch Mitleid, denn Frau könne doch unmöglich glücklich sein, wenn sie keinen reichen “starken” Mann zur Seite habe. Tatsächlich fühle ich mich durch solche Reaktionen unwohl und irgendwie unweiblich.

  8. Viele Frauen geben Frauen die Schuld an unpassenden Verhaltensweisen: “Was, so lässt Du Deinen Mann auf die Straße?”, “Du musst Deine Kinder richtig erziehen!” – Wahnsinn, wie oft Frauen über andere Frauen urteilen und ihnen sämtliche Verantwortung für Partner und Kinder zuschreiben.

  9. Laufe ich ungeschminkt herum und habe mich nicht so schick angezogen, werde ich von vielen Frauen gefragt, ob ich krank sei. Denn für Frauen ist es heute normal, dass sich Frau stets schick in der Öffentlichkeit zeigt. Ja überhaupt scheinen viele Frauen die inszenierte Selbstdarstellung in Medien & Internet für das neue Normal zu halten.

 

Weibliche & toxische Männlichkeit

Gibt es Unterschiede?

Jetzt mal von den Geschlechtern abgesehen, gibt es einen Unterschied zwischen den beiden toxischen Verhaltensweisen?

In einigen Definitionen heißt es: „Der entscheidende Unterschied ist, dass toxische Weiblichkeit sich stets nach innen richtet, während toxische Männlichkeit auch dem Umfeld schadet.

Während toxische Männlichkeit das Ziel verfolgt, Machtpositionen zu bekommen, drängt toxische Weiblichkeit Frauen in die Passivität und Fügsamkeit. Beide Stereotype sind also frauenfeindlich, beide dienen sie dem Ziel der Aufrechterhaltung der patriarchalen Ordnung.“ (Tim Kühnel)

In beiden Fällen geht es also um starre Rollenbilder, die nichts Gutes bewirken – weder dem eigenen noch dem anderen Geschlecht gegenüber.

 

Toxische Weiblichkeit kann sich auch nach außen richten

Aber ist das wirklich so? Zeigen die Punkte, die ich oben aufgeführt habe, nicht auch, dass Frauen gegenüber anderen Frauen sehr schädliche Verhaltensweisen an den Tag legen? Also eine Wirkung im Außen haben? Und Männer bleiben davon verschont?

In einer anerkannten Untersuchung von 2014 heißt es (17), dass Frauen mit anderen Frauen im Beruf erbittert konkurrieren. Bei Männern verhält es sich tatsächlich andersherum: gerade im beruflichen Umfeld arbeiten sie mehr zusammen. Zudem gibt es den Begriff “Girls Hate”, der sich auf den intriganten Wettbewerb unter Frauen bezieht, die ein und derselben Gruppe angehören.

Allerdings – und das finde ich sehr, sehr wichtig – richtet sich auch die toxische Weiblichkeit nach außen und gegen das andere Geschlecht (4).

Solche Fälle wurden mir mehrfach von verschiedenen Männern berichtet. Teilweise wurde ich auch selbst Zeuge davon, wie verdammt krank sich viele Frauen aufführen können.

 

Ein paar Beispiele:

  • Frauen, die heimlich die Pille weglassen und ihren Partner hinters Licht führen, weil sie ein Kind wollen. Sie zwingen den Mann also zu diesem Schritt.

  • Junge Frauen, die in Bars und Clubs Männern fraglos in die Hose greifen. Denn alle Männer wollen ja das Eine, also warum nicht nehmen?

  • Frauen, die sich an Männern rächen (aus welchem beknackten Grund auch immer), indem sie behaupten sexuell genötigt worden zu sein.

  • Frauen, die ihre Partner wie Kinder behandeln, ihnen herrisch vorschreiben, was sie essen sollen, tun sollen oder tun dürfen. Werden die Regeln gebrochen, greifen gewisse Frauen auf emotionalen Druck zurück, wenn nicht sogar zu Handgreiflichkeiten.

  • Frauen in erzieherischen Berufen oder auch gegenüber den eigenen Kindern, die kleinen Jungs sagen, sie dürften keine Kleider anziehen oder nicht weinen, mit dem Gedankengang dahinter, der Junge könnte sonst homosexuell oder verweichlicht werden.

 

Fazit: Toxische Weiblichkeit

Frauen und Männer werden als Gegensatzpaar (binär) dargestellt. Denk nur mal an Yin & Yang, Blau und Rosa, Mars und Venus.

Ganz so stimmt das aber nicht. Männliche und toxische Weiblichkeit sind eben nicht nur die 2 Seiten derselben Medaille. Die beiden toxischen Verhaltensweisen arbeiten Hand in Hand.

Männer sind von der Erde, Frauen sind von der Erde. Kommt damit klar.“ (George Carlin)

Auch Frauen müssen ihr Verhalten extrem überdenken

Genau darum ist es wichtig, nicht mit dem Finger auf die bösen, dominanten Männer zu zeigen und daran zu appellieren, dass sie sich ändern müssen.

Ich als Frau muss mir selbst an die Nase fassen und mein Verhalten reflektieren. Das bedeutet nicht, dass Frauen ganz, ganz böse Menschen sind. Wie bereits gesagt, geht es nicht darum, mit jemanden anzugreifen und fleißig mit Schuldvorwürfen um sich zu schmeißen.

Toxische Femininität muss genauso wie die toxische Maskulinität zum Thema werden.

Gleichberechtigung lässt sich nur erreichen, wenn Männer und Frauen an ihrem Verhalten etwas ändern. Und zwar wirklich beide!

Evtl. auch interessant für dich: Jenny Marx, Harriet Taylor Mill, Mary Wollstonecraft, Virginia Woolf


Quellen:
1) Melissa Eiseler: Toxische Weiblichkeit: Auch Frauen haben zerstörerische Tendenzen
2) Mathias Brandt: Männer begehen deutlich häufiger Suizide (statista.com mit Infografik)
3) Stephen Harris: Australian study reveals the dangers of ‘toxic masculinity’ to men and those around them
4) Meghan Daum: Toxische Weiblichkeit – Wir müssen über zerstörerisches Verhalten von Frauen reden
5) Esther Göbel: Frauen retten gerade die Welt. Was für ein sexistischer Satz!
6) Tim Kühnel: Toxische Weiblichkeit – die Kehrseite der Medaille?
7) Emilia von Senger: Toxische Weiblichkeit – Wir brauchen eine neue Schwesternschaft
8) J Rudnicka: Gefangene und Verwahrte in JVAs in Deutschland nach Art des Vollzugs 2020 (statista.com)
9) Marlies Seifert: 59 % der Schweizerinnen wurden schon sexuell belästigt
10) Statista Research Department: Prävalenz von Burn-out in Deutschland nach Geschlecht, Alter und sozialem Status im Jahr 2012
11) Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Wie häufig sind Essstörungen?
12) Laura Scholz: Wegen Gleichberechtigung und so – Wir sollten auch über toxische Weiblichkeit reden
13) Hanna Zobel und Hannah Doll: Lasst uns über toxische Weiblichkeit sprechen
14) Natascha Roshani: „Es geht nicht darum, fit zu sein, sondern fit auszusehen“
15) Ulfert Hapke: DEGS – Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (RKI)
16) Report: Wer leistet unbezahlte Arbeit? Hausarbeit, Kindererziehung und Pflege im Geschlechtervergleich. Aktuelle Auswertungen aus dem WSI GenderDatenPortal (2017)
17) Noam Shpancer: Feminine Foes – New Science Explores Female Competition
18) JOWA: Kolumne: Toxische Weiblichkeit – gibt es das?
19) Jan Gross: Kompass: Toxische Weiblichkeit – gibt es sowas?
20) Ilse Dietrich: 10 Beispiele für toxische Weiblichkeit, die jetzt genannt werden sollten
21) Vivien Karcz: Frauen werden, was sie sehen – Toxische Frauenbilder in den Medien

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

Zurück
Zurück

Wenn Depressive sich nicht helfen lassen wollen – Wichtige Tipps

Weiter
Weiter

Moderne Mythen – Über die Funktion von Mythen früher & heute