Panikattacken überwinden – Erfahrungen eines Betroffenen

Interview | Erfahrungsbericht – Daniel aus Graz hat am eigenen Leib erlebt, was es bedeutet, an einer Panikstörung zu leiden. Wie viele Betroffene musste er auch mehrere Psychotherapien ausprobieren, bis er individuelle Mittel und Wege für sich fand, mit der Angst umzugehen und die Panik letztlich zu überwinden.

 
Panikattacken überwinden Erfahrung

Wie hast du deine erste Panikattacke erlebt?

Ich hatte meine erste Panikattacke im Oktober 2018, während des Besuchs eines Freundes. Wir sprachen über den anstehenden Urlaub und während des Gesprächs merkte ich, dass mein Körper unkontrolliert zu zittern begann und ich mich auf das Gespräch nicht mehr konzentrieren konnte.

Als ich am Abend allein war, kam das Zittern wieder. Jedoch so stark, dass ich dachte, an einer Nerven-Erkrankung erkrankt zu sein.

Ich konnte an diesem Abend nicht einschlafen und fragte mich ständig, was mit mir los ist. Am nächsten Tag war ich unglaublich erschöpft, gestresst und hatte erste Anzeichen von Depersonalisierung.

Diese Symptome waren von nun an meine täglichen Begleiter für die nächsten Jahre.

 

Was war deine Reaktion darauf?

Viele flüchten sich ja in exzessive Tätigkeiten oder andere verzweifelte Aktivitäten.

Ich wollte unbedingt, dass diese Symptome aufhören und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Daher habe ich meine Sport-Dosis deutlich erhöht und bin täglich in den Wald gefahren, um dort zu spazieren. Dies hat mir leider nicht wirklich geholfen.

Das Einzige, was mir zu Beginn meiner Angsterkrankung wirkliche Entspannung brachte, war das Youtube-Video zur Muskelentspannung nach Jacobson.

 

Klingt nach Ärzte-Odyssee. Wie lange ging das so?

Wann kam es endlich zur richtigen Diagnose?

Ja, das war es. Ich denke, dieser Zustand ging ca. 1 Jahr, obwohl ich die Diagnose schon deutlich früher bekam.

Das Problem war eher, dass ich nicht wusste, wie ich mit den dauerhaften Symptomen umgehen kann.

 

Nach der Diagnose:

Was hast du getan, um deine Angst zu verstehen?

Als ich die Diagnose der Panikstörung erhalten hatte, war ich sehr froh. Denn nun war meine Krankheit für mich greifbar geworden. Und damit konnte ich sie Schritt für Schritt analysieren und die besten Heilmittel für mich herausfinden.

Meine Reise hierbei begann bei einem Psychotherapeuten, welcher sich auf Angsterkrankungen spezialisiert hatte. Da ich mir als Student die Gebühren jedoch nicht lange leisten konnte, wechselte ich zu Studentenberatung in Graz, welche für Studierende kostenlos war.

In diesen Sitzungen konnte ich zwar den Auslöser der Krankheit nicht ergründen, jedoch Sofortmaßnahmen lernen, welche mich im Akutfall schnell beruhigen, wie beispielsweise den mentalen Anker.

 

Zur Vollständigkeit:

Was genau ist ein mentaler Anker und wie setzt du ihn konkret in Situationen ein?

Ein mentaler Anker ist eine Art Werkzeug, das dir helfen kann, dich in stressigen oder angstauslösenden Situationen schnell zu beruhigen. Ich habe die Methode in der Therapie kennengelernt, und sie funktioniert so: Du übst mit deinem Therapeuten, einen bestimmten Reiz – zum Beispiel ein Wort oder eine kleine Geste – mit einem Gefühl tiefer Entspannung zu verknüpfen.

Bei mir lief das so ab:

  • Der Therapeut hat mich in eine geführte Traumreise gebracht, so ähnlich wie eine Hypnose.

  • Ich habe mich dabei richtig entspannt, fast so, als wäre ich im Urlaub oder an einem meiner Lieblingsorte.

  • Während ich in diesem entspannten Zustand war, haben wir ein „Anker-Wort“ eingeführt – bei mir war es „Ruhe jetzt“.

  • Dieses Wort haben wir dann mehrmals geübt, damit mein Kopf es mit dem Gefühl der Entspannung verbindet.

Das Coole ist, dass das mit der Zeit richtig gut funktioniert. Wenn ich jetzt merke, dass eine Panikattacke hochkommt, sage ich leise mein „Anker-Wort“ und spüre, wie die Entspannung einsetzt. Es ist, als würde ich mir selbst ein Signal geben, wieder runterzukommen.

 

Wie hat sich deine Sicht auf dich selbst nach der Diagnose verändert?

Gab es eine Wendung in deinem Selbstverständnis?

Rückwirkend betrachtet war die Diagnose schon wichtig für mich, da ich mich dadurch mit den „richtigen“ Selbsthilfe-Büchern auseinandergesetzt habe.

 

Spielen äußere Faktoren, wie Stress bei der Arbeit oder persönliche Lebensumstände, eine Rolle bei deinen Panikattacken?

Ich denke nicht, dass Stress und persönliche Lebensumstände bei meinen Panikattacken eine Rolle spielten. Weder darin sie auszulösen noch sie zu verstärken.

Ich persönlich war sogar oftmals dankbar über berufliche Herausforderungen, während es mir psychisch besonders schlecht ging, denn der Job war für mich eine Ablenkung und etwas, das mir Selbstvertrauen gab bzw. gibt.

Ich hatte auch keine persönlichen Lebensumstände, welche ich im Zusammenhang mit meiner Erkrankung sehe.

 

Welche Therapien haben dir nicht geholfen?

Am wenigsten geholfen hat mir die Supplementierung von Vitaminen (Vitamin B, Vitamin D, Magnesium), Akupunktur und Präbiotika. Hier merkte ich überhaupt keine Verbesserungen.

Zudem habe ich alle erdenklichen Bluttests gemacht, Vitamin-Präparate eingenommen, mich mehrmals hypnotisieren lassen, habe alle gängigen Ratgeber gelesen, Akupressur, Kieferschienen-Therapie gegen Zähneknirschen und vieles mehr ausprobiert.

Auch die zahlreichen Gespräche mit Psychotherapeuten (Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie) und Psychiater waren langfristig gesehen nicht ausschlaggebend für meine Heilung.

 

Welche Methoden und Techniken haben dir geholfen, deine Panikattacken in den Griff zu bekommen?

Am meisten geholfen und auch verantwortlich dafür, dass es mir heute gut geht, waren die Ratgeber:

  • Panikattacken und andere Angststörungen loswerden:
    Wie die Hirnforschung hilft, Angst und Panik für immer zu besiegen von Klaus Bernhardt

  • Weg Mit Der Panik:
    Wie Sie sich von Angst und Panik befreien von Barry McDonagh

Auch wenn vor allem das Buch von Hr. Bernhardt von vielen Experten kritisiert wird.

 

Was wird daran kritisiert und was hältst du davon?

Viele Personen – vor allem Psychotherapeuten – meinen, dass die Bücher teilweise auf nicht-fundierten Annahmen beruhen und es für die Behauptungen im Buch keine Beweise gibt.

Ich denke, dass die Kritik grundsätzlich berechtigt ist. Jedoch gibt es wirklich viele positive Erfahrungen – und auch bei mir – haben die Übungen im Buch wirklich sehr viel Besserung gebracht.

 

Wie bist du letztlich aus der Angststörung herausgekommen?

Gab’s ein besonderes Ereignis?

Woran hast du gemerkt, dass du darüber hinweg bist?

Ich denke, dass meine starke Flugangst der Auslöser meiner Angststörung war. Dies würde auch erklären, warum meine erste Panikattacke bei der Planung des bald anstehenden Urlaubs auftrat.

Diese Flugangst konnte ich durch Selbsthilfe, Konfrontationstherapie und Hypnose nach mehreren Jahren hinter mir lassen, doch die Panikattacken blieben bestehen.

Ich konnte die Panikattacken erst überwinden, also ich die Übungen der 2 vorhin genannten Bücher konsequent über mehrere Wochen durchführte. Durch diese Übungen merkte ich, dass kaum mehr Panikattacken auftraten und ich kein „Gedankenkarussell“ mehr habe. Und falls sie doch auftreten, sind sie wesentlich schwächer als früher.

 

Was hilft dir bei Rückfällen?

Falls ich Rückfälle habe – was natürlich immer wieder vorkommen kann – versuche ich die Übungen der Selbsthilfe-Bücher wieder intensiver zu absolvieren. Diese helfen mir am meisten.

 

Apropos Selbsthilfe, welche Rolle spielt sie in deinem Leben?

Die in den Büchern beschriebenen Wege zur Selbsthilfe waren mein Weg aus der Erkrankung und sorgen dafür, dass ich wieder ein glückliches Leben führen kann.

Daher ist Selbsthilfe sehr wichtig für mich.

 

Wie haben sich deine Lebensgewohnheiten (z. B. Ernährung, Bewegung, Schlaf) verändert?

Ich habe gemerkt, dass Alkohol sehr schlecht für mich ist, da er das sogenannte Hangxiety bei mir auslöst. Daher versuche ich wenig Alkohol zu trinken, kaum zu Rauchen und mich viel zu bewegen.

 

Gibt es spezielle Mythen oder Fehlinformationen über Angststörungen, die du gerne aufklären würdest?

Ich bin mir unsicher darüber, ob man zur Heilung einer Angsterkrankung zwingend die Ursache identifizieren muss oder ob das Training von positiven Gedanken womöglich auch ausreicht.

Dies muss wohl jeder für sich herausfinden.

 

Was würdest du anderen Menschen raten, die ähnliche Erfahrungen machen?

Ich denke, dass man als Panikattacken-Betroffener den Fokus darauf legen muss, einen Notfallplan/Methode für die akute Panikattacke zu finden. Denn erst, wenn man die Panikattacke nicht mehr fürchtet – bzw. weiß, was man beim Angstanfall tun muss – verliert sie ihren Schrecken.

Mir hat die Erkenntnis geholfen, dass sich jede Panikattacke im Körper bemerkbar macht.

Wenn nun eine Panikattacke auftritt, versuche ich nicht darüber nachzudenken, warum ich schon wieder nicht klar denken kann, und plötzlich schreckliche Angst habe, sondern konzentriere mich auf meinen Körper.

Ich versuche, die Stelle in meinem Körper zu finden, welche sich unangenehm anfühlt. Nun lasse ich den Fokus auf dieser Stelle, solange, bis sie sich entspannt. Dies führt dazu, dass auch die Angst verschwindet.

Daher wäre mein Rat an Betroffene folgender: Befasse dich mit dem Konzept des Somatic Experiencing, welches auch besagt, dass jede Panikattacke über den Körper unter Kontrolle gebracht werden kann, nicht mit dem Geist.

» Teufelskreis der Angst – der Angstkreislauf

  • Somatic Experiencing (SE) ist eine Körpertherapie, von Peter Levine entwickelt. Sie wird häufig zur Behandlung von Traumata und stressbedingten Erkrankungen eingesetzt. Die zugrunde liegende Idee von Somatic Experiencing ist, dass der Körper eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen spielt.

    Grundprinzipien von Somatic Experiencing

    1. Traumaverarbeitung über den Körper: SE geht davon aus, dass traumatische Erfahrungen im Körper gespeichert werden.

    2. Schrittweise Annäherung: Anstatt das Trauma direkt zu konfrontieren, wird versucht, die körperlichen Reaktionen auf Stress oder Trauma zu erkennen, ohne sie zu überfordern.

    3. Ressourcennutzung: Der Therapeut hilft dem Klienten, Ressourcen und positive Erfahrungen zu identifizieren, die das Wohlbefinden fördern.

    4. Regulierung des Nervensystems: SE zielt darauf ab, das Nervensystem zu regulieren, um eine bessere emotionale und körperliche Stabilität zu erreichen.

    5. Körperliche Empfindungen: Die Methode ermutigt die Klienten, sich auf ihre körperlichen Empfindungen zu konzentrieren. Durch die Achtsamkeit auf den Körper können sie Spannungen abbauen und traumatische Erfahrungen besser verarbeiten.

 

Daniel schreibt auf seinem eigenen Blog über Angststörungen und Panik, blickt auf neue Studien und berichtet über seine Erfahrungen: www.mental-info.at

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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Begegnung, Identität, Einsamkeit

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