Bauchgefühl & innere Stimme – Woher kommt die Intuition? Und was weiß sie?

Bauchgefühl, innere Intuition, Herz – wie Du es auch nennst, sie alle gelten als weiser Ratgeber. Aber sind Bauchgefühl und innere Stimme wirklich so wissend? Eines vorweg: Wir treffen täglich kleine Entscheidungen, doch unsere intuitiven Eingebungen sind dabei weder neutral noch fair.

Bauchgefühl und innere Stimme

Kopf oder Bauchgefühl?

Innere Stimme & Bauchgefühl – aber was ist das überhaupt? Worüber sprechen wir, wenn wir Bezeichnungen, wie innere Stimme verwenden?

 

Stöbert man durch Zeitungen, Magazine und Zeitschriften, schallt es einem überall wie ein Mantra entgegen: „Lausche Deiner inneren Stimme“, „Hör auf Dein Herz“ oder „Achte auf Dein Bauchgefühl“ … usw. Diese Sätze sind Ausdruck des Dualismus von Vernunft & Gefühl, also die klassischen Antagonisten: Entweder – oder, schwarz oder weiß.

Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Oder besser gesagt: So schlimm ist es glücklicherweise nicht! Denn Verstand und Gefühl sind enger aneinander gekoppelt, als die meisten Menschen glauben.

 

Was ist das Bauchgefühl?

Egal, ob du es innere Stimme, Bauchgefühl oder Herz nennst, es geht definitionsgemäß immer um deine Intuition. Ganz nüchtern ausgedrückt, bezeichnet Intuition die menschliche Fähigkeit, schnelle und gefühlt-stimmige Entscheidungen zu treffen, die nicht mit dem Verstand beleuchtet wurden (1).

Intuitive Entscheidungen werden unterbewusst gefällt, ohne konkrete Gründe. Sie lassen sich nicht rational erklären, sind einfach da und geben uns ein „Richtig“- oder „Falsch“-Gefühl ein.

Dabei lässt der Ursprung des Wortes anderes vermuten: Der Begriff Intuition stammt vom Lateinischen „intueri“, zu Deutsch „genau hinsehen, anschauen“. Mit einem genauen Hinsehen hat das Bauchgefühl aber nichts zu tun. Vielmehr mit einer vorschnellen Beurteilung.

 

Merkmale von Intuition & Bauchgefühl

  • Das Bauchgefühl, das umgangssprachliche Synonym für Intuition, beschreibt eine spontane und oft emotionale Reaktion, die eine Person auf ein bestimmtes Ereignis, eine Person oder eine Situation hat.

  • Es ist in der Regel das Ergebnis von unbewussten, d. h. unreflektierten Gefühls- und Denkprozessen und bezieht dabei Erfahrungen, Wissen und Werte einer Person mit ein.

  • Im Unterschied zur rationalen Entscheidungsfindung, die durch eine aktive Analyse gekennzeichnet ist, entwickelt sich das Bauchgefühl unbewusst und oft plötzlich.

 

Unterschiede zwischen Bauchgefühl, Intuition & innere Stimme

 

Bauchgefühl

Der Begriff Bauchgefühl ist umgangssprachlich. Es ist vorwiegend mit physischen Empfindungen verbunden, wie dem Gefühl von „Schmetterlingen im Bauch“, und basiert oft auf implizitem Wissen oder Erfahrungen.


Intuition

Intuition ist ein umfassenderes Konzept, das sowohl Aspekte des Bauchgefühls als auch der inneren Stimme enthält.

Intuition ist das Gespür, die Eingebung oder das Verständnis für etwas. Es geht oft um ein tiefgreifendes Verstehen, das auf unbewussten mentalen Prozessen basiert und oft als sofortige Einsicht oder Erkenntnis auftritt.

Innere Stimme

Die innere Stimme repräsentiert das ethische Bewusstsein oder den moralischen Kompass eines Individuums. Es handelt sich hierbei um eine Art innerer Dialog, der sowohl auf unserer Erziehung als auch auf unseren grundlegenden persönlichen und ethischen Überzeugungen basiert.


 

Bauchgefühl & Leibempfinden

Wenn Bauchgefühl, innere Stimme und Intuition sich nicht aus dem Verstand speisen, woher kommen dann die gefühlten Einsichten? Meistens aus dem Unterbewusstsein, das Deiner Intuition eine Vielzahl an Informationen liefert.

In dem Sinne sind innere Stimme und Bauchgefühl mehr als „normale“ Gefühle , sondern eine Ansammlung von Erfahrungen, Bewertungen, Emotionen und Glaubenssätzen, die sich immer auch leiblich ausdrücken.

 

Beispiel für Bauchgefühle

Du siehst einen Hund, der dir auf der Straße entgegenläuft. Hast du eine schlechte Erfahrung mit Hunden gemacht, wirst du sofort Angst verspüren. Die zeigt sich deutlich in Erschrecken, Herzrasen und einer ersten Intuition zur Flucht.

Hast Du hingegen gute Erfahrungen mit Hunden gesammelt, wirst du dir beim Anblick eines laufenden Hundes nichts denken. Du bleibst gelassen und gehst deines Weges.

Das Beispiel zeigt, warum deine innere Stimme ein schlechter Ratgeber ist

Egal, ob berechtigt oder nicht – Du wirst entsprechend reagieren, wenn du ohne weiteres Nachdenken deine Intuition für voll nimmst. Oft zeigt sie sich in einem negativen oder positiven Körpergefühl: Schmetterlinge im Bauch, flauer Magen, zittrige Beine …

Bauchmenschen verlassen sich daher auf eine sehr einseitige Bewertungsmethode – genauso wie Kopfmenschen.

 

Hypothese der somatischen Marker (nach Damasio)

Schnelle Entscheidungen sind oft von Vorteil. Dazu muss das Gehirn viele Erfahrungen, Erlebnisse & Indizien vereinfachen. So entstehen rasante, automatisch ablaufende Reiz-Reaktionsmechanismen, die Dir Kraft und Zeit sparen. Das nennt sich auch Automatismus, sozusagen ein Autopilot, der sich auf mentaler und leiblicher Ebene widerspiegelt.

Im Übrigen ist das vorreflexive, emotionsbasierte Bewertungssystem entwicklungsgeschichtlich viel älter als der Verstand. Ein Reiz taucht auf und in ca. 200 Millisekunden (!) wird es aktiv, stimuliert eine körperliche Reaktion und ein Gefühl.

Diese Gefühls-Körper-Reaktion bezeichnete der Neurobiologe Antonio Damasio als somatische Marker – original: somatic marker hypothesis (SMH). Die Theorie der somatischen Marker stammt aus dem Jahr 1997, hat aber nicht an Aktualität verloren.

Laut der SMH werden emotionale Erfahrungen im Körper verinnerlicht, also einverleibt bzw. verleiblicht, was starken Einfluss auf die Entscheidungen eines Menschen hat. Es handelt sich um ein unterbewusstes Erfahrungswissen, das sich in Form körperlicher Empfindungen äußert. Vgl. Philosophie: Körper haben, Leib sein

 

Typische Beispiele für somatische Marker

  • Kribbeln im Bauch

  • kalte Hände

  • der Kopf „weitet“ sich

  • die Brust wird eng

  • einen Kloß im Hals haben

 

Wie genau sich somatische Marker anfühlen, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich

Es gibt aber durchaus gemeinsame Merkmale: also Körpergefühle, die alle Menschen einer Kultur ähnlich erleben. Welche somatischen Marker bei welchem Gefühl auftreten und in welchem Körperbereich niederschlagen, hat eine finnische Studie analysiert:

 
 

Wie entstehen Bauchgefühl & Intuition?

Wie so vieles prägen sich Bauchgefühl und Intuition während der Zeit im Mutterleib und in der anschließenden Kindheit aus (2).

Die innere Stimme speist sich daher aus Lernprozessen: Eine Situation wird mit einer früheren Erfahrung assoziiert, das zeigt sich in der körperlichen Empfindung und entsprechenden Entscheidungsfindung.

Neurobiologisch gedacht, wohnt das Bauchgefühl im präfrontalen Cortex. Damit ist die Intuition im psychologischen Sinne nichts anderes als:

„(…) ein Erfahrungsgedächtnis, das auf dem Boden der Empirie funktioniert. Es verarbeitet Erfahrungen und versieht sie mit einer Markierung. Dieses System ist extrem schnell, es durchforstet das Archiv parallel über assoziative Netzwerke, während der Verstand seriell funktioniert und nur eins nach dem anderen erledigen kann – wie mein erster Computer, bei dem ich erst das Textprogramm schließen musste, damit er drucken konnte. Die Qualität dessen, was das parallel arbeitende System ausspuckt, hängt natürlich davon ab, was im Archiv gespeichert ist. (…)”, so die Psychologin Maja Storch (2).

 
Was ist Intuition?

Intuition ist sozial geprägt

Deine Intuition berechnet die sozialen Folgen einer Entscheidung oder Situation gleich mit ein.

Zum Beispiel, wenn Dich Deine Freundin um einen Gefallen bittet.

Du möchtest eigentlich nicht, hast aber ein ungutes Gefühl, wenn Du Dir vorstellst, die Bitte abzuschlagen. Denn höchstwahrscheinlich wird die Reaktion Deiner Freundin enttäuscht ausfallen. Hier ist eine negativer somatischer Marker aktiv.

 

Höre (nicht nur) auf Dein Bauchgefühl

In anderen Worten: Die innere Stimme oder Intuition ist kein sicheres Wissen oder die einzige wahre Verbindung zu einer mystischen Ich-Welt. Die Intuition trifft lediglich Hypothesen, Wahrscheinlichkeits-Vorhersagen, die auf vergangenen Erfahrungen beruhen.

Und das völlig egal, ob diese Beurteilungen der Situation angemessen sind oder nicht. Das lässt sich nämlich nur mithilfe einer 2. Bewertungsinstanz überprüfen: Dem Verstand.

 

Intuitive Empfindungen sind unreflektiert & impulshaft

Wie zuvor erwähnt, das Bauchgefühl besteht aus unterbewussten, leiblichen Impulsen. Nun wissen wir seit Freud, dass unser Unterbewusstsein nicht gerade für seine logische Struktur bekannt ist. Die innere Stimme sagt dir also lediglich, was deine Emotionen und Bedürfnisse dir vorgeben. Alles andere bleibt außen vor:

  • Ob die intuitive Entscheidung moralisch gut ist,

  • welche Folgen sie hat,

  • und ob sie der Situation adäquat ist,

– All diese wichtigen Kriterien für gute Entscheidungen werden vom Bauchgefühl komplett ausgespart.

 

Verstand & Bauchgefühl:

Der Fall Elliot

Wie sehr Verstand und Gefühl zusammenhängen, zeigt ein der berühmtesten Fälle in der modernen Medizingeschichte: Elliot war ein Patient von Damasio. Es musste wegen eines Tumors ein Teil seines Stirnlappens im Gehirn entfernt werden. Danach schien alles gut. Elliot wirkte gesund und intelligent wie vor der OP, aber er war plötzlich nicht mehr fähig, zu arbeiten.

Bei der kleinsten Entscheidung geriet er ins Grübeln, entschied sich dann willkürlich und fühlte nichts. Mit dem Gefühl war Elliot die Fähigkeit abhandengekommen, Entscheidungen zu fällen. Vor allem rationale Entscheidungen!

 

Warum wird das Bauchgefühl so gefeiert?

Dr. Storch hält den Wirbel um die Intuition für eine Modeerscheinung. Tatsächlich gibt es aber auch Studien, welche zu Recht die positiven Aspekte des Bauchgefühls bzw. der inneren Stimme betonen, insbesondere bei komplexen Entscheidungen.

In einer Studie trafen 65 Prozent der Teilnehmer aus dem Bauch heraus die objektiv beste Entscheidung. Diejenigen, die länger darüber nachdachten, entschieden sich nur zu 26 Prozent richtig. Wer seinem Bauchgefühl folgte, fühlte sich außerdem anschließend zufriedener und vertraute seiner Entscheidung mehr.“ (8)

Wer auf sein Herz, seine innere Stimme oder Intuition hört, fühlt sich also in der eigenen Authentizität gestärkt, wenn eine Entscheidung positive Folgen zeitigt.

Vgl. Authentisch sein (Bedeutung)

 

Fazit: Bauchgefühl & innere Stimme

Wie trifft man gute Entscheidungen? Mithilfe von Bauchgefühl und Verstand! Philosophen raten, beide Bewertungssysteme zu kombinieren, das Gefühl mit dem Verstand abzugleichen und andersherum. „Reine Bauchentscheidungen sind ohnehin Unfug, sie müssen mit dem Verstand synchronisiert werden.“ meint Dr. Storch (2).

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Es ist erwiesen, dass ein Verdrängen von Gefühlen & Gedanken sich negativ auf die körperliche und geistige Gesundheit auswirken. Darum ist es richtig und wichtig, dass du deine innere Stimme als das wahrnimmst, was sie ist:

  1. Interpretationen und Prägungen – Nicht mehr und nicht weniger.

  2. Und diese erste Reaktion Deines Unterbewusstseins hinterfragst, mithilfe deines Verstandes.

Denn nur durch Nachdenken und Selbstreflektieren sind Bauchgefühl und Intuition kluge Ratgeber, die dich weiterbringen, anstatt dir Möglichkeiten und Chancen zu verbauen.


Quellen:
1) Wikipedia: Hypothese der somatischen Marker
2) Maja Storch, Autorin & Tiefenpsychologin, Interview bei Stern.de von Birgit Schönberger
3) Dami Charf, Dipl. Sozialpädagogin & Psychotherapeutin (HP) in Göttingen
4) B. D. Dunn, T. Dalgleish, A. D. Lawrence: The somatic marker hypothesis: a critical evaluation. In: Neuroscience and biobehavioral reviews. Band 30, Nummer 2, 2006, S. 239–271, doi:10.1016/j.neubiorev.2005.07.001
5) spektrum.de: Lexikon der Neurowissenschaften
6) WDR Wissen: Unser Bauchgefühl
7) Quarks: Das Geheimnis unseres Bauchgehirns
8) Dr. Silvia Nold: Bauchgefühl: Wieso es wichtig ist, auf die innere Stimme zu hören

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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