Morgentief & Abendtief: die Morgen- & Abenddepression
Morgentief und Abendtief sind charakteristisch für die Krankheit Depression. Je nach Ausprägung, sind die Depressionssymptome dann morgens oder abends besonders schwer. Doch woran liegt das?
Jeder Depressive kennt
diese verdammt miesen Tage, an dem einen das Aufstehen extrem schwer fällt. Irgendwann wird es dann besser. Bis dahin läuft aber ein sehr übler Film und du bist der Star. Aber was passiert da eigentlich mit uns? Und warum?
Was ist ein Morgentief (Morgendepression)?
Das Morgentief bezeichnet ein Phänomen, das bei Depressionen häufig auftritt: trotz genügend Schlaf quälen Betroffene unmittelbar nach dem Erwachen starke Niedergeschlagenheit, Erschöpfung und körperliche Symptome etc., die sich erst im Laufe des Tages allmählich bessern.
Morgentief & Abendtief sind Symptome der Depression
Morgentief – Morgendepression
Morgens depressiv, abends normal
Abendtief – Abenddepression
Abends depressiv, morgens normal
Das sind keine klinischen Diagnosen, wie früher mal gedacht, sondern Symptome der Krankheit Depression.
Stimmungstief am Morgen
Morgens depressiv, abends normal
Wenn Du ausreichend geschlafen hast und trotzdem in einer verzweifelten und niedergeschlagenen Stimmung aufwachst, steckst Du schon mittendrin im Morgentief.
Gerade erst die Augen aufgeschlagen und schon hat sich der dunkle Schatten über Dich gelegt und raubt Dir alle Energie.
Du bist am absoluten Tiefpunkt. Seelisch und körperlich ausgelaugt. Deine Gedanken zirkulieren in einer Abwärtsspirale um irrwitzige Ängste und Sorgen. Du bist leer und kannst kaum aufstehen vor Schwindel & Schwäche.
Der ganze Morgen bleibt so. Im Laufe des Tages bessert sich die Stimmung und das körperliche Befinden, bis schließlich am Abend kaum noch etwas davon zu spüren ist.
Für Depressionen sind Morgentiefs charakteristisch. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Manchmal über Jahre.
Was ist ein Abendtief?
Abends depressiv, morgens normal
Am Morgen ist alles noch gut und schön, am Abend ist die Welt dann grau und trist. Oder so schwarz, dass Betroffene berechtigte Angst um ihren Verstand bekommen.
Das Abendtief ist etwas seltener, kommt vor allem beim Depressionstyp Dysthymie vor (früher neurotische Depression genannt). Die depressiven Symptome nehmen dann am Abend an Intensität zu. Schlafstörungen sind das Hauptproblem dabei.
Während des Abends wird die Welt ruhiger, aber die Gedanken lauter. Gemeine Gedanken, die Angst vor der Nacht machen. Gedankenspiralen, Sorgen und Ängste führen oft zu Herzrasen, Zittern und bleierner Schwere – die körperlichen Probleme sind kaum zu ertragen.
Symptome für Morgentief / Abendtief:
frühmorgendliches Aufwachen bzw. nicht einschlafen können oder Probleme durchzuschlafen
Gefühl der inneren Leere
extreme Traurigkeit
Überempfindlichkeit und Gereiztheit (Wut, emotionale Ausbrüche)
verzögertes körperliches Funktionieren
Anstrengung bei alltäglichen Tätigkeiten (Zähneputzen, Duschen, Anziehen etc.)
Angst vor der Nacht oder dem Morgen
Körperliche Depressionssymptome können sein:
Kopf- und Nackenschmerzen
Kreislaufprobleme (Schwindel, Zittern, Schweißausbrüche)
Herzbeschwerden (Herzstechen etc.)
Druck- und Engegefühl auf der Brust
Magenschmerzen, Sodbrennen
Durchfall, Verstopfung
(Vgl. Depression: Wann hört das auf? – Jede Depression endet!)
Morgentief und Abendtief bei Depressionen
– Woher kommt das?
Eine Depression verhält sich gerne unberechenbar. Sie ist nicht immer den Tag über gleich schlimm. Mediziner sagen: Depressionssymptome fluktuieren über den Tag, die Woche und den Monat.
Bestimmte depressive Beschwerden sind am Morgen oder am Abend deutlich stärker zu spüren. Geht es am Morgen los, wird es meist im Laufe des Tages wieder besser. Kommt sie am Abend, verspricht erst der nächste Morgen oder Mittag etwas Linderung und bessere Stimmung.
Ursache von Morgentief & Abendtief
Nach einer Studie von 2013 gehen einige Forscher davon aus, dass bei depressiven Menschen der sogenannte zirkadianische Rhythmus gestört ist. Mit dem Begriff ist der natürliche Schlaf-Wach-Zyklus eines Menschen gemeint, der nachts für Schläfrigkeit sorgt und tagsüber für wache Aufmerksamkeit.
Der zirkadiane Rhythmus (= natürliche Körperuhr) reguliert über Hormonausschüttungen ziemlich viel in unserem Körper. Er beeinflusst die Herzfrequenz, spielt bei der Körpertemperatur eine Rolle, nimmt Einfluss auf Stimmung, Denken und Wohlgefühl.
Ist dieser Rhythmus wie bei Depressionen gestört, beginnt der Körper Schlaf- oder Wachhormone zu falschen Tages- oder Nachtzeiten zu produzieren.
Warum wird die Depression abends besser bzw. morgens?
Tatsächlich lassen sich bei Morgentiefs häufig verfrühte Cortisolausschüttungen feststellen bzw. ein fehlender Abfall der Cortisol-Werte über die Nacht.
Bei Abendtiefs läuft es genau andersherum. Es wird nicht wie üblich das Schlafhormon Melatonin (ausreichend) produziert. Das hängt wiederum mit Ängsten und Gedankenkreisen zusammen. Depressive haben Angst vor der Nacht oder dem bevorstehenden Tag.
Angst schüttet wiederum Stresshormone (z. B. Cortisol) aus, der Körper reagiert entsprechend mit Unruhe bis hin zur Panik. Klar, dass es für den Organismus keinen Grund gibt, beruhigende Hormone auszuschütten. Er ist ja mitten im Stress. Im Kampfmodus. (vgl. auch agitierte Depression)
Morgentief mit Schlafentzug bekämpfen?
Es gibt aktuelle Studien, die zeigen, dass sich Depressionssymptome wirksam lindern lassen – zumindest kurzfristig – indem man auf den Schlaf-Wach-Rhythmus einwirkt.
Die besten Ergebnisse erzielten kombinierte Maßnahmen aus:
Schlafentzug
früheres Zubettgehen
Tageslicht am Morgen
Diese Art der Depressionsbehandlung wird Chronotherapie genannt und wirkt äußerst schnell. Bereits nach einer Woche konnte jeder 3. Patient von Besserungen berichten.
Morgentief und Abendtief philosophisch erklärt
In der Phänomenologie der Psychiatrie verknüpft man die Störung der biologischen zeitlichen Prozesse mit dem persönlichen Zeiterlebnis von Patienten (Chrono-Pathologie). Das geht weit über biologische Erklärungen hinaus.
Die Desynchronisierung betrifft sowohl die Eigenzeit als die persönliche, gefühlte und die soziale Zeit als gemeinsame Zeitstruktur.
In einer Depression fällst du aus beiden heraus. Du bist nicht mehr fähig, Verabredungen und Termine einzuhalten. Du siehst zu, wie alle anderen ihr Leben in Normalzeit führen, während Du selbst zurückbleibst. Du kannst Dich aufgrund des gestörten Zeitbewusstseins nicht einmal mehr richtig mit anderen Menschen verständigen. (vgl. Depression: gestörtes Zeitgefühl)
Gestützt wird das Ganze von der Störung der Eigenzeit, die mit der biologischen Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus korreliert. Du fühlst Dich nicht nur schwerfällig und langsam, du bist es auch. Angefangen von Deinen Bewegungen bis zum Denken.
Hinzu kommt, dass Dein Sinn für die Zukunft abhandengekommen ist. Stattdessen errichtet die Vergangenheit ihre unbarmherzige Herrschaft und definiert Dein Sein. Gleichzeitig erstreckt sich die Gegenwart in einem monotonen, endlosen Grau.
Kein Wunder, dass Schuldgefühle, tiefste Hoffnungslosigkeit und Selbstzweifel aufkommen.
Wie funktioniert die Wachtherapie?
eine Nacht komplett wach bleiben
Am frühen Abend darauf ist eine spezielle Brille zu tragen, die vor Blaulicht (Smartphone, Screens) schützt
dann erfolgt die erste Nachruhe von 18 - 01 Uhr
am zweiten Abend von 20 - 03 Uhr
am dritten Abend von 22 - 05 Uhr
jeden Morgen 30 Minuten vor Tageslampe sitzen (10.000 Lux)
Depressive sollten keinen Schlafentzug auf Eigenregie machen
“Diese Wachtherapie sei aber nicht für eine Anwendung in Eigenregie bestimmt, heißt es von Seiten der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Der Schlafentzug stelle eine Unterstützung der medikamentösen und psychotherapeutischen Therapie dar und werde in der Regel im Rahmen einer stationären Behandlung durchgeführt.” (2)
Morgentief & Abendtief überwinden
Nicht wehren, Deinen Zustand akzeptieren.
Scheiß drauf, dann hast Du halt ein Tief und es geht nichts! So ist es eben und das ist okay. Du bist schließlich ein Mensch!
Vgl. auch Selbstmitgefühl
Tu Dir etwas Gutes.
Eine Tasse heiße Schokolade auf dem Balkon, mit den Katzen schmusen, ein Gedicht schreiben, ein heißes Bad nehmen, zeichnen, stricken... was Dir einfällt und Dein Wohlbefinden steigert.
Mach motivierende oder gute Laune Musik an.
Es ist unglaublich, wie sehr sich Musik auf unmittelbar auf unsere Stimmung auswirkt. Fackel nicht lange, hau Dir Deine Lieblingsmusik an. Du wirst sehen, der Rhythmus animiert. Am Abend ist es natürlich schlauer, Entspannungsmusik einzulegen.
Starte am Morgen mit einer Dusche oder etwas Bewegung
Auch wenn es waaaahnsinnig schwer fällt. Es geht darum, deinen Stoffwechsel und die Produktion der richtigen Wachmacher-Hormone anzukurbeln. Gleichzeitig hilft Dir Bewegung, das Stresshormon Cortisol zu senken, das großen Einfluss auf innere Anspannung, Unruhe und Angst nimmt.
Andersherum am Abend:
Nimm ein heißes Bad, lies ein Buch, guck einen guten Film. Mach alles, was Dich schläfrig macht. Hauptsache Melatonin wird vom Körper ausgeschüttet und Du kommst zur Ruhe. Dabei ist Dunkelheit, Stille und eine angenehme Raumtemperatur wichtig. Auch Lavendelduft kann helfen.
Verzichte auf ein Tages-Nickerchen
So verführerisch es auch ist, leg Dich nachmittags nicht schlafen – egal, wie erschöpft Du bist. Damit bringst Du nämlich auch Deine innere Uhr aus dem Takt.
Wie komme ich aus dem Morgentief?
Morgentief langfristig loswerden
Normalerweise steckt der Arzt entsprechend Deinen Symptomen genau ab, welche sedierenden und stimmungsaufhellenden Mittel Du wann nehmen sollst. Das ist schon mal eine Grundlage, um Dir das Aufstehen bzw. Schlafen zu erleichtern.
Du musst selbst aber auch noch etwas mehr tun. Effektiv ist alles, was Dir keine Zeit und Kraft zum Nachdenken kostet.
Du musst also eine Routine schaffen:
Immer um die gleiche Zeit aufstehen
Gönn Dir eine Portion Tageslicht. Also aus dem Bett raus und sofort die Vorhänge zur Seite. Das am besten in der ganzen Wohnung. Oder Du lässt gleich alles offen und lässt Dich vom Tageslicht natürlich wecken.
Evtl. ein Kaffee oder ‘ne Tasse Schwarztee zum Wachwerden (aber nicht zu viel Koffein bitte)
Reiß das Fenster auf und gönn’ Dir frische Luft. Wenn Du einen Balkon hast, dann da raus und für ein paar Minuten die morgendliche Frischluft schnuppern.
Manche stehen drauf, sich mit Freunden zu verabreden, um mehr Motivation zu haben. Mein Ding ist das nicht, aber hey – ausprobieren!
Morgentief & Abendtief bitte nicht hinnehmen!
Das Wichtigste ist die Schlafqualität. Schläfst Du schlecht, kannst Du Dich auch mit den besten Maßnahmen & Mitteln nicht über das Morgentief oder Abendtief hinwegretten.
Vieles spricht für eine Re-Synchronisierung mithilfe einer Therapie in einer Klinik, um aus dem Alltagsdruck herauszukommen und sich langsam mit speziellen Therapien wieder zu regenerieren.
In jedem Fall ist es wichtig, dass Du mit Deinem Arzt darüber sprichst oder Dir ärztliche Hilfe holst, wenn Du noch keine gesucht hast.
Sehr wichtig sogar! Schließlich geht es um Deine mentale Gesundheit.
Quellen:
1) Redaktionsnetzwerk Deutschland
2) Fabian Müller: Der Kampf gegen das Morgentief
3) Dr. Gumpert: Wie kann man eine Depression überwinden?
4) Julia Schmidt: Morgentief als Hinweis auf Depression
5) depressionende.de: Morgentief
6) Neurologen und Psychiater im Netz: Emotionales Stimmungstief am Morgen kann auf Depression hinweisen
7) Pharmazeutische Zeitung: Depression kommt selten allein
8) Prof. Dr. med. Volker Faust: Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang
9) Patientenbroschüre: "Auswege. Ein Patienten-Leitfaden bei Depression und Angst", (Österreichische Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB))
10) Prof. Dr. med. Konrad Michel: Fachinformationen Depression
11) Tom Bschor, Mazda Adli: Therapie depressiver Erkrankungen (Ärzteblatt)