Zirkelschlüsse – naturalistisch, dogmatisch & gar nicht logisch!
Du begegnest ihnen in Diskussionen, auf Produkten, in der Religion, in wissenschaftlichen Diskursen und generell im Alltag. Umso wichtiger, dass Du naturalistische und dogmatische Fehlschlüsse erkennst und sie hinterfragst.
Logische Fehlschlüsse
sind leider häufig. Und oft von Rechthaberei und Verallgemeinerung geprägt, die in einem Gespräch nicht konstruktiv sind.
Tatsachen & Werte sind nicht dasselbe
Verdammt oft wirst Du mit bloßen Behauptungen manipuliert, die alles andere als schlüssig und richtig sind. Dabei werden Tatsachen mit absoluten Werturteilen vermischt, um bestimmte Weltanschauungen oder Meinungen durchzusetzen. Zur Unterscheidung:
Fakten bzw. wahre Aussagen geben wieder, was der Fall ist oder nicht
Werturteile sagen uns, was gut oder schlecht ist, was getan oder gelassen werden sollte, was falsch und was böse ist
Der dogmatische Fehlschluss (Petitio Principii)
Du kennst das bestimmt von einigen Diskussionen. Ist Dein Gesprächspartner von Anfang an überzeugt, im Recht zu sein, kann das Gespräch sehr dekonstruktiv und frustrierend werden.
Egal, welches noch so sachliche Argument Du einbringst, der andere schlägt jedes in den Wind, indem er immer wieder die Annahme vorbringt, die er selbst als richtig ansieht.
Die mehrmalige Wiederholung der gleichen Behauptung versprüht dabei einen Sog, der laut Psychologie Dein eigenes Denken stark manipulieren kann. Das hat nichts mit Philosophieren zu tun, sondern mit normativen Ansprüchen.
Manche Diskussionspartner sind sogar so gefangen in ihren Gedankengängen, dass sie Dir dann vorwerfen, irrational zu sein. Hier wird ein Geltungsanspruch laut, einer unreflektierten Annahme zu folgen, die im Grunde aber reine Behauptung bleibt.
Platons Charakteristik des dogmatischen Trugschlusses
Logische Fehlschlüsse sind keine Erfindung der Moderne, sondern uralt. Platon gibt in seinem Dialog Politeia (der Staat) ein perfektes Beispiel für den dogmatischen Fehlschluss. In der Schrift geht es eigentlich um die Frage: Was ist Gerechtigkeit?
Hier ist es Thrasymachos (übersetzt: heftige Schlacht), der heftige Glaubenssätze von sich gibt. Gerechtigkeit ist für Thrasymachos das Naturrecht des Stärkeren. Was dem Starken nutzt, sei gerecht. Eine allgemeine Gerechtigkeit gäbe es nicht.
Sokrates lässt sich von der ständigen Wiederholung des Thrasymachos und seinen Provokationen nicht beirren. Er bleibt ruhig und fordert den anderen immer wieder zur Beweisführung seiner Behauptung auf. Nach ewigem Hin und Her verlangen auch die anderen Zuhörer von Thrasymachos, sich zu erklären, anstatt sich nur zu wiederholen.
Aristoteles: das Fordern und Sich-Nehmen der Anfangsannahme
Während Platon das Beispiel gibt und beschreibt, gibt Aristoteles dem Kind einen Namen: auf Lateinisch Petitio Principii = Inanspruchnahme des Beweisgrundes. Das ist lediglich die Übersetzung, das Altgriechische macht es deutlicher: (Aristoteles, Analytica Priora 64 b: “to ex archês aiteisthai”)
Fordern & Sich-Nehmen der Anfangsannahme
Anfangsannahme = Prinzip, dass für die Behauptung vorausgesetzt ist
Fordern = Anspruch an den anderen, die Behauptung ebenfalls vorauszusetzen
Sich-Nehmen = Selbstermächtigung, im Recht zu sein
Der Zirkelschluss besteht darin „dass man das vorliegende Problem unbewiesen lässt“ (…) „das sei, weil das sei. So aber ist es leicht, alles zu beweisen.“ Das kommt etwa aufs Gleiche hinaus wie der Satz: Es ist so und nicht anders.
Klingt nicht sehr überzeugend. Und auch nicht nach jemandem, der sich auf “Wahrheitssuche” begeben will oder reflektiert an die Sache herangeht.
Aristoteles meinte dazu, dass der Rechthaberische damit kein Gespräch führen möchte oder kann. Mit ihm sei keine Diskussion möglich und daher zu vermeiden.
Beispiele für dogmatische Zirkelschlüsse
Kopfschmerz-Tabletten haben unerwünschte Nebenwirkungen, weil alle Medikamente unerwünschte Nebenwirkungen haben.
Der Himmel ist blau, weil er blau ist
Der Papst liebt die Wahrheit. Also lügt der Papst nie.
Alles in der Natur ist gut, darum ist die Natur der Maßstab für alles. Alles Künstliche ist nicht gut und daher zu vermeiden.
Dogmatischer Anspruch – oder besser: Rechthaberei
Der Sinn von Gesprächen und im engeren Sinne Diskussionen ist der Austausch von Argumenten und Ansichten. Vor diesem Hintergrund wird auch Aristoteles’ Rat verständlich. Jemand, der von Anfang an überzeugt ist, im absoluten Recht zu sein und die Wahrheit erkannt zu haben, glaubt einen allgemeinen Geltungsanspruch zu besitzen. Das allein ist schon ein Paradox in sich.
Seine Behauptung ist also dogmatisch, er hält sie für offensichtlich und wirklich. Wer dagegen spricht, ist verblendet, möchte die Wahrheit nicht einsehen.
In vielen Beispielen ist der dogmatische Fehlschluss sehr schnell und gut zu erkennen, oft aber auch nicht. Das Merkmal von dogmatischen Zirkelschlüssen: Die Vermeidung, das Behauptete zu rechtfertigen.
Am besten ist es, immer nach einer Begründung zu fragen. Sagt jemand also: „Es ist Tatsache, dass etwas so und so ist“, dann kannst Du immer nachfragen „Warum ist das eine Tatsache? Wie ist diese Tatsache bewiesen worden?“
Der absolute Geltungsanspruch wird so wieder auf das zurückgeführt, was er eigentlich ist: ein relativer Anspruch auf Gültigkeit.
Der naturalistische Fehlschluss (naturalistic fallacy)
Naturalistische Fehlschlüsse waren schon immer weit verbreitet und gerne genutzt, um einer Meinung Geltungshoheit zu verleihen. Bei genauem Hinsehen ist dieser Zirkelschluss aber alles andere als allgemeingültig oder logisch.
Beim naturalistischen Trugschluss wird von einem Sein auf das Sollen geschlossen. Eine Beschreibung wird so zum Werturteil. Darum heißt das Ding auch Sein-Sollen-Fehlschluss. Der findet sich das erste Mal bei David Hume (1711–1776), einem berühmten Vertreter des Empirismus.
Ganz wichtig: Es geht hier immer um moralische Aussagen. Der naturalistische Fehlschluss als solcher geht auf die Beobachtungen von George Edward Moore (1873–1958) zurück – der spricht allerdings nicht von einem Denkfehler, sondern schlicht und ergreifend einem logischen Irrtum, aber das nur so nebenbei.
Es geht hier immer um die Frage:
Lässt sich eine normative Annahme (gut, soll, muss) nur über empirische Annahmen (ist angenehm, ist nützlich) herleiten?
Tatsachen als ethische Normen
Der naturalistische Fehlschluss ist ungemein beliebt und bekannt. Auch die Nazis nutzten ihn, um ihre Vernichtung von Kranken und schwachen Menschen moralisch zu untermauern.
Weil die Starken sich in der Natur gegenüber kranken und schwachen Tieren durchsetzen, muss auch beim Menschen nur das Starke und Gesunde gefördert werden. Kranke und Schwache sind auszumerzen, wie es in der Natur eben geschieht.
Hier wirst Du wahrscheinlich sofort bemerken, wie fraglich der Schluss von einer Beschreibung der Natur auf unser menschliches Dasein ist. Hoffe ich jedenfalls.
Typische Beispiele für den naturalistischen Zirkelschluss sind:
Das Klonen von Tieren ist möglich. Die Natur selbst klont ständig. Also ist das Klonen von Tieren moralisch gut.
Löwen und andere Tiere töten. Darum ist das Töten auch unter Menschen ethisch gut.
In der Natur überleben die stärkeren Tiere. Gut ist also, was dem Stärkeren nützt. Darum ist das Recht des Stärkeren moralisch richtig und gut.
Geld ist in unserer Gesellschaft eines der höchsten Ziele. Da ich zu dieser Gesellschaft gehöre, sollte ich auch nach Geld streben.
Homosexualität hat in der Natur keinen empirischen Nutzen. Darum ist sie auch beim Menschen sinnlos und widernatürlich.
Die Natur als moralisch & ethisch gut
Was ist das konkrete Problem dabei? Es geht darum, dass Begriffe wie natürlich und Natur mit den Bedeutungen von ethisch gut und moralisch richtig gleichgesetzt werden. Eine Sache ist also richtig, weil das natürliche Ergebnis oder die natürliche Entwicklung desselben beschreibbar sind.
Darum sprechen hier manche auch von einem genetischen Fehlschluss, im Sinne von Genese als Entstehung. Von der Genese findet fälschlicherweise ein Schluss auf die Geltung statt.
Jedes Mal, wenn Dir jemand die Natur oder Natürlichkeit als Beweis für eine Wahrheit angibt, ist der naturalistische Zirkelschluss im Spiel.
Der naturalistische Trugschluss hat dogmatischen Charakter
Warum ist diese Art von logischem Fehlschluss so verdammt beliebt? Weil er eine empirische Beschreibung enthält und gerne zur Unterstützung des dogmatischen Fehlschlusses genutzt wird. Die erfahrbare Wirklichkeit müsse richtig sein.
Die Empirie, also das auf Erfahrungen gegründete Wissen und Verstehen, ist eigentlich nicht absolutistisch. Im Gegenteil: es geht zwar um eine überprüfbare Wirklichkeit, aber nicht als Modell einer einzigen Wahrheit. Kein seriöser Forscher würde sich anmaßen, die Weisheit für sich gepachtet zu haben.
Naturalisten sind nicht skeptisch, sie sind ideologisch festgefahren. Und sogar äußerst abwertend, wenn ihre Weltsicht beim Gegenüber keinen Anklang findet.
Die reine Beschreibung der naturwissenschaftlichen Wirklichkeit wird so zu einer metaphysischen Ordnung. Diese Haltung ist eng verwandt mit dem christlichen Fundamentalismus (Kreationismus, intelligent Design): Wo die einen überall Naturgesetze und Kausalität sehen, glauben die anderen an eine von Gott determinierte Bestimmung.
Oder nehmen wir noch einmal die Nationalsozialisten als Beispiel: Sie versuchten den völkischen Rassismus auf biologische Grundlagen zu stützen. Und von diesen auf eine Ethik und Moral zu schließen, die uns heute noch das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Fazit: Zirkelschlüsse
Bitte nicht falsch verstehen. Wir sind alle nur Menschen und wir können nicht alles immer hinterfragen, sonst wären wir zu keinem fruchtbaren Gespräch mehr fähig. Wir könnten nie gleicher Meinung sein oder abweichende Ansichten verstehen.
Voraussetzungen sind nötig, damit unsere gesamte Gesellschaft überhaupt funktionieren kann. Damit die Deutung unserer Wirklichkeit gelingt.
Naturalistische und dogmatische Fehlschlüsse sind jedoch etwas anderes als Voraussetzungen. Sie fordern und nehmen ein, wo eigentlich ein Für-und-Wider gefragt ist. Ein Gespräch eben.
Warum ist es wichtig, diese Arten von Fehlschlüssen zu kennen?
Sind Zirkelschlüsse nur in einem hoch-philosophischem und wissenschaftlichem Disput zu entlarven?
Nö und Nö, darum geht’s hier gar nicht. Ich will mit der Beschreibung von naturalistischen und dogmatischen Fehlschlüssen nicht sagen, Du sollst sie überall suchen und auslöschen. Dieser Text erklärt nur, wo Fehlschlüsse lauern können und wie Du diese erkennst. Das hilft Dir, die Glaubwürdigkeit von Argumenten zu bewerten, z. B.:
in einer Unterhaltung,
beim Lesen von Büchern,
beim Hören eines Podcasts usw.
beim Kauf von Produkten & Dienstleistungen
bei Deiner Persönlichkeitsentwicklung
Darüber hinaus wirst Du heute vor allem in der Werbung von Nahrungsergänzungsmitteln oder anderen Produkten & Methoden mit naturalistisch-dogmatischen Fehlschlüssen bombardiert. Der Begriff natürlich findet sich auf Verpackungen von Säften, Medikamenten, bei Coaches für Persönlichkeitsentwicklung, in der Populär-Philosophie und was weiß ich nicht alles.
Er soll suggerieren: Was natürlich ist, ist gesund und gut für Dich. So stimmt das aber nicht. Es gibt zum Beispiel kaum ein Nahrungsmittel, das wir nicht irgendwie verarbeiten müssen, damit wir es ohne Schmerzen und andere Nebenwirkungen zu uns nehmen können. Und es gibt jede Menge Naturprodukte, die alles andere als gesund sind.
Quellen:
1) Metzler Lexikon der Philosophie: Zirkelschluss
2) Dr. Christian Thies: Der Sein-Sollens-Fehlschluss
3) Cullen P., Bauer A.W. und Kiworr M.: Reproduktionsmedizin. Naturalistischer Fehlschluss
4) Michael Hohner: Naturalistischer Fehlschluss