Borderline-depressiv – Was ist eine Borderline-Depression?

Borderline geht oft mit Depressionen einher. Wichtig ist, dass beide Krankheiten eigenständig behandelt werden. Aber was ist eine Borderline-Depression überhaupt? Gibt’s da spezielle Merkmale? Ja, die gibt es wirklich.

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Borderline & Depressionen

kommen oft zusammen. Beides sind eigenständige Erkrankungen, die ineinander übergreifen und sich gegenseitig aufrechterhalten. Doch ist die Borderline-Depression eine spezielle Depressionsform?

 

Borderliner & depressiv – ziemlich explosive Mischung!

Wer an Borderline erkrankt ist, hat sehr sehr häufig auch eine Depression im Schlepptau. Der Zusammenhang ist so signifikant, dass manchmal auch von einer Borderline-Depression die Rede ist.

Das wirkt nicht nur verwirrend, sondern wirft auch die Frage auf, ob eine Borderline-Depression sich von anderen Depressionen unterscheidet?

Oder wurde der Begriff nur salopp von grauhaarigen Psychologen geschaffen, die damit nichts weiter meinten, als dass Borderliner nun mal häufig depressiv sind?

So oder so, Borderline ist eine krasse psychische Störung.

Ca. 1,6 Millionen Menschen leiden darunter. Und zwar so sehr, dass die Suizidrate bei 5-10% liegt, die Selbstverletzungsrate sogar bei satten 69-80 % der Fälle.

 

Grundlagen: Was ist das Borderline-Syndrom?

Mal von vorne: Borderline ist eine Persönlichkeitsstörung (BPS). Salopp ausgedrückt, ist sie durch ein extremes Wechselbad der Gefühle geprägt, die zwischen Selbstliebe und Selbsthass schwanken.

Das betrifft auch die Beziehungsqualität zu anderen Menschen: heute kannst Du noch ihr bester Freund sein und morgen schon der Erzfeind.

Borderline werden von einer extrem labilen Gefühlswelt gequält. Sie sind oft sehr impulsiv, unberechenbar, aggressiv und können ihre Gefühlswallungen nicht kontrollieren. Vgl. auch Depression: Aggressionen in 50 % aller Fälle

Schuld, Scham, Ohnmacht und Selbstvorwürfe sind bei ihnen ebenso an der Tagesordnung wie bei depressiven Menschen. Wesentliches Merkmal der meisten Betroffenen ist die Angst vor dem Verlassenwerden und selbstzerstörerisches Verhalten.

Du kannst Dir das so vorstellen, dass Borderliner ständig hin- und hergerissen sind zwischen Sehnsucht nach Nähe und gleichzeitig Angst davor. Die Reaktionen wirken auf Außenstehende unangemessen, übertrieben und launenhaft.

Ich weiß, diese Kurzdarstellung wird dem Borderline-Syndrom nicht ganz gerecht. Aber hier geht’s ja nicht um Borderline an sich, sondern Borderline-Depression. Daher zurück zum Thema:

Wie hängen Borderline und depressive Störungen zusammen?

 

Depressionen sind die häufigsten Begleiterkrankungen bei Borderline

Tatsache, Depressionen haben eine hohe Komorbidität mit Borderline. Natürlich gibt es auch noch andere psychische Krankheiten, mit denen Borderliner kämpfen müssen.

  • Depressionen: 87%-100 %

  • Drogenmissbrauch: 64–66%

  • ADHS: bis zu 60%

  • Posttraumatische Belastungsstörung: 46–56%

  • Sozialphobie: 23–47%

  • eine Zwangsstörung: 16–25%,

  • eine Panikstörung: 31–48%,

  • eine Essstörung: 29–35%

 

Borderline-depressiv – Unterschiede zu reinen Depressionen?

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Einer der Unterschiede, auf den von mehreren Autoren hingewiesen wird, ist die unterschiedliche Qualität des depressiven Erlebens bei Borderline-Patienten im Vergleich zu depressiven Patienten.

Demnach scheint die „Borderline-Depression“ anders als die „reine Depression“ vor allem durch interpersonelle Schwierigkeiten bedingt zu sein, welche Leere, Einsamkeit und Verzweiflung über fehlende Bindungen auslösen (Bellodi et al., 1992; Gunderson & Phillips, 1991)“ (1)

(Vgl. auch Einsamkeit in der Depression)

Da sich Borderliner durch mangelnde Emotionsregualtions-fähigkeiten und extreme Gefühlswallungen auszeichnen, hat auch die Borderline-Depression einen etwas anderen Charakter.

Borderline-Depressive sind feindseliger und haben ein stärkeres negatives Selbstbild. Die depressiven Episoden schwanken stark in ihrer Intensität. So jedenfalls die Beschreibung von Fachleuten.

 

Symptome der Borderline-Depression (6):

  • innere Leere und Einsamkeit

  • Verzweiflung

  • Probleme im zwischenmenschlichen Bereich

  • starke und häufige Selbstmordgedanken

  • depressive Episoden dauern kürzer an als bei klassischen Depressionen

  • Ärger & Wut gegen andere

  • Angst vor dem Verlassenwerden

  • tiefsitzende Schlechtigkeit im Selbsterleben

  • Abhängigkeit von Bezugspersonen

  • intensives Klagen über Depressionssymptome

 

Borderline-Depression als Füllsel der inneren Leere

Eine umfassende Untersuchung von borderline-depressiven Menschen hat sich Dr. Christa Rohde-Dachser gewidmet. Ihre Ausführungen sind für Fachleute gedacht, nicht für den einfachen Laien. Daher kommen ihre Erklärungen auch recht theoretisch anspruchsvoll daher.

Die Dame schreibt in Zusammenhang von Borderline-Depressionen von der Konservierung des Objekts als weiße Depression. Durch den Verlust des Objekts des Hasses oder der Liebe tritt für den Patienten eine innere Leere ohne Gefühle. Dem gegenüber soll eine schwarze Depression stehen, mit der die Leere überdeckt werden kann und die mit Hass verbunden ist. Ein Borderliner eignet sich das Trauma innerlich an, es bleibt konserviert im Inneren, wird mit lebendiger Fantasie gefüllt.

Nochmal im Klartext: Die innere Leere von Borderlinern entsteht durch den Verlust einer Beziehungsperson. Damit ist verbunden, das wichtige menschliche Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Ist ein Mensch, auf den sich die Wünsche und Sehnsüchte des Betroffenen richten, nicht mehr da, entsteht eine gähnende Leere, die so beängstigend und grausam ist, dass eine Depression an seine Stelle tritt.

Dem Ganzen liegt ein Teufelskreis zugrunde, der nach meinen Erfahrungen insbesondere das Erleben von Borderline-Patienten auf spezifische Weise kennzeichnet: Am Anfang steht die fortgesetzte Enttäuschung oder Kränkung durch ein Objekt, das die Erfüllung vitaler Wünsche (nach Zuwendung, Spiegelung, Sicherheit, Kontinuität) verweigerte, so lange, bis das Subjekt sukzessive die damit verbundenen Erwartungen aufgab.

Die damit verbundenen Wünsche werden dadurch aber nicht ausgelöscht. Sie werden dem Objekt gegenüber aber nicht mehr signalisiert, sondern kommen nur mehr indirekt in der Depression des Subjekts zum Ausdruck. Mit jeder neuen Hinwendung zum Objekt und jeder neuen Zurückweisung verstärkt sich die Depression, bis sie schließlich als Zustandsaffekt ganz an die Stelle der Objektbeziehung tritt.“ (6)

Ähnlich hatte sich übrigens Freud über die Depression geäußert: Anstatt die Trauer zuzulassen, identifiziert sich der Depressive mit dem verlorenen Objekt um dieses nicht loslassen zu müssen.

Jeglicher Schmerz und vorhandene Wut, die mit einer Trennung einhergehen und ursprünglich dem Getrennten galten, fallen nun auf den Depressiven zurück. Der Depressive hält unbewusst an dem Verlorenen fest, auch wenn er dabei sein Ich als Opfer bringt.

Die Depression ist von daher immer auch eine Verweigerung von Trauer. "Bei der Trauer ist die Welt arm und leer geworden, bei der Melancholie ist es das Ich" (Freud 1917). Vgl. auch Trauer & Depression – Symptome, Bedeutung & Unterschiede

 

Borderliner empfinden Depressionen anders

Es ist natürlich nie ganz richtig, ein Leid dem anderen gegenüber zu stellen. Trotzdem versteht die Psychologie depressive Borderliner als Menschen mit heftigem Leidensdruck, der subjektiv ins Bodenlose geht.

So scheint es auch objektive Muster zu geben, die Borderline-Depressive von reinen Depressiven unterscheiden.

  1. Kern der Borderline-Depression ist immer Wut und Ärger, die Reaktionen auf Einsamkeit, Isolierung und Wertlosigkeitsgefühlen darstellen.

  2. Auch ein tiefsitzendes Gefühl der Abhängigkeit herrscht vor.

  3. Dazu gehört die elementare Angst, verlassen zu werden.

  4. Die Bindungen und zwischenmenschlichen Beziehungen spielen bei Borderline-Depressiven eine große Rolle

  5. Destruktives Verhalten, vor allem Selbstverletzung zur Regulierung der Gefühle und zum Ausleben von Selbsthass

 

Borderline-Depressionen unterscheiden sich in der Qualität von anderen Depressionen

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Ich weiß, das ist redundant, aber um Dir die Unterschiede klar zu machen, versuche ich es noch einmal in einfachen Worten.

Borderline-Depressionen sind weniger mit Traurigkeit und Schuldgefühlen verbunden, sondern mehr mit starken Wutgefühlen, tiefster Scham, Einsamkeit und Leere.

Betroffene BPSler beschreiben oft, dass sie sich gelangweilt, unruhig und verzweifelt einsam fühlen, wenn sie eine depressive Episode haben.

Der Auslöser für depressive Phasen ist so gut wie immer durch den Verlust einer zwischenmenschlichen Beziehung geprägt. Dazu gehören Trennungen genauso wie der Tod von nahestehenden Menschen.

 

Fazit: Borderline-Depression

Warum ist die Unterscheidung von borderline-depressiv und „typisch“-depressiv jetzt eigentlich so wichtig?

Weil Menschen verdammt oft die falsche Therapie erhalten, wenn sie als „nur“ depressiv eingestuft werden.

Borderline-Depressive benötigen eine spezielle Borderline-Therapie, durch die sich auch die Depression bessert.

Wenn Du also Hilfe benötigst, zögere nicht, sie Dir zu nehmen! Es kann wirklich nur besser werden. Niemand muss und sollte mit solchen schrecklichen Leiden leben.


Quellen:

1) Banzhaf Dissertation: Borderline-Persönlichkeitsstörung. Einleitung und Theorie und Methodik
2) Theodor Wenzel Werk e.V.: Borderline: Symptome, Diagnose, Therapieformen – Wenn die Gefühle außer Kontrolle geraten
3) Jan Schwenkenbecher: Borderline
4) Psylex: Borderline-Störungen: Stimmungsschwankungen
5) Johanna Köhling et al: Quality and severity of depression in borderline personality disorder: A systematic review and meta-analysis (Studie 2015)
6) Christa Rohde-Dachser: Schwermut als Objekt. Über Struktur und Inhalt der Borderline-Depression
7) Simone Reisdorf: Borderline-Syndrom: Alles eine Sache des Glückshormons?
8) Eva Sophia Holzamer: Die Ausprägung dysfunktionaler Verhaltensweisen von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in Abhängigkeit von depressiver Symptomatik (Dissertation 2015)
9) Andrea Weber-Tuckermann: Borderline: Im Gehirn sichtbar gemacht (Ärztliches Journal)
10) Grenzwandler: Was ist Depression?
11) Kristalyn Salters-Pedneault: A Guide to When BPD and Depression Occur Together

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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