Co-Depressionen – Wenn Depressionen anstecken
Kann man sich beim depressiven Partner anstecken? Co-Depressionen gibt es wirklich: sie treffen Dich, wenn Du mit einem Partner, Familienmitglied oder Freund mit Depressionen zusammenlebst und Dich nicht ausreichend schützt: vor Überforderung, negativen Gedanken und Schuldgefühlen.
Leben mit depressivem Partner
ist belastend. So sehr, dass Partner von depressiven Menschen selbst depressiv werden. Und das gar nicht so selten.
Vgl. Leben mit depressiven Menschen – Depression als Familienkrankheit
Co-depressiv – Wenn das Leben mit einem depressiven Partner krank macht
Depressionen sind nicht fair, zu nichts und niemandem. Sie umhüllen nicht nur Deinen Partner mit einer schwarzen Wolke, sondern irgendwann auch Dich selbst (den gesunden Partner). Co-Depressionen können auftreten, sobald Du lange genug mit einem depressiven Partner zusammenlebst und die Krankheit allmählich auf Dich übergreift.
Wenn Dein depressiver Partner leidet, dann willst Du ihm natürlich helfen. Das ist fast schon wie ein Reflex, schließlich liebst Du den anderen und möchtest, dass es ihm gut geht. Dabei leidest Du selbst jedoch auch extrem. Oft im Stillen, manchmal lange Zeit, ohne dass Du es selbst richtig bemerkst.
Was ist eine Co-Depression?
Der Begriff wird zwar verwendet, um eine gemeinsame depressive Symptomatik in einem engen Beziehungsgefüge zu beschreiben, doch es handelt sich hierbei nicht um eine anerkannte Diagnose. Das ganze Phänomen verdeutlicht allerdings, wie wichtig es wäre, Bezugspersonen von psychisch Erkrankten in die Therapie einzubeziehen.
Denn nachweislich verändert sich in Beziehungen, in denen eine Person an psychischen Krankheiten leidet, die zwischenmenschliche Dynamik massiv.
Viele Fachleute möchten unter Co-Depression aber auch eine Co-Abhängigkeit verstehen: Die eigenen Entscheidungen und Handlungen sollen die Depression des Partners aufrechterhalten, weil gesunde Partner alles entschuldigen, auffangen, kompensieren etc.
Depressionen belasten alle Beziehungen
Depressionen belasten die Liebe & Partnerschaft in so extremen Ausmaß wie nur wenige andere Krankheiten. Die gesunden Partner beherrschen oft Gefühle der Ohnmacht, Verzweiflung und Angst. Und damit bist Du nicht allein.
Nach dem Deutschland-Barometer Depression (9) fühlen sich satte 73 % der gesunden Partner schuldig und verantwortlich. Bei 45 % ist die Last so groß, dass es wegen der Depression zu einer Trennung kommt.
Da muss man schon schlucken, oder? Fast die Hälfte der betroffenen Beziehungen scheitert durch die Depression von einem der beiden. Woran liegt das?
Weil Du in die Care-Rolle gedrängt wirst und dem Kranken viel abnehmen sollst, gleichzeitig aber auch motivieren musst, das Leben aufrechtzuerhalten und und und. Plötzlich schmeißt Du monatelang den Haushalt allein, gehst arbeiten und musst noch Dinge für Deine Familie erledigen. Viele verwechseln das mit Empathie: Je mehr Du hilfst, desto besser wird es dem kranken Partner gehen.
Leider funktioniert das nicht so. Und das kann zu extremen Stimmungstiefs führen. Co-Depressionen sind waschechte Depressionen. Das Präfix „Co-“ drückt hier nur aus, dass der Auslöser die Depression beim Partner ist (aber nicht die Ursache). Depressionen können auf emotionaler und mentaler Ebene ansteckend sein. Dr. Gabi Pitschel-Walz von der TU München meint sogar, dass sich bei jedem 2. Angehörigen bzw. Partner Depressionen entwickeln (6).
Vgl. Depressiver Partner zieht mich runter – Gründe & Tipps
Was Depression mit Dir & Deinem Partner machen
„Der Charakter wird als etwas kaum veränderbares angesehen, es gibt jedoch tiefgehende Veränderungen im Erleben und Verhalten in einer depressiven Krankheitsphase, die Symptome dieser Erkrankung sind – wie das Fieber bei einer Grippe“, sagt Professor Hegerl (2). „Die Depression sucht immer nach negativen Dingen im jeweiligen Leben, vergrößert diese und rückt sie ins Zentrum des Erlebens.
Dann führt die innere Dauerspannung in der Depression dazu, dass die Erkrankten sich zurückziehen, keine Ablenkung oder Stimulation von außen wollen, sondern am liebsten die Decke über dem Kopf und Ruhe.“
„Typisch für eine depressive Erkrankung sind beispielsweise verstärkte Neigung zu Schuldgefühlen, eine permanente innere Daueranspannung und Erschöpfung, Appetitmangel. Hinzu kommen Tagesschwankungen mit größerer Depressionsschwere am Morgen und hartnäckige Schlafstörungen.“ (2)
Depressionen sind “ansteckend”
Manche sprechen bei Depressionen von einer Familienkrankheit. Und das stimmt: Als gesunder Partner richtest Du Dein eigenes Wohlbefinden komplett auf den kranken Liebsten aus.
Du durchlebst Höhen und Tiefen mit, wie Du sie zuvor vielleicht noch nie erlebt hast. Zeichnet sich eine Besserung ab, atmest Du auf und schöpfst Hoffnung. Hat Dein Partner einen Rückfall, brichst Du auch in Dich zusammen.
Wenn Du Deinen Liebsten sagen hörst „Ich bin wertlos.“ oder „Ich wünschte, alles wäre zu Ende.“, dann läuft Dir nicht nur ein kalter Schauer über den Rücken. Die Abwärtsspirale, die Deinen Partner gefangen hält, reißt Dich mit.
Es macht Dich ängstlich und überfordert Dich. Du musst hilflos zusehen, wie der geliebte Mensch den Lebenssinn verliert. Und auch Deine Zukunftsträume von der Beziehung verpuffen fürs Erste.
Einseitige Belastung & Überlastung
In der Regel können sich Depressive nicht mehr in den Alltag einbringen. Alle Pflichten, Aufgaben und Verantwortung belasten den “gesunden” Partner (z. B. Kinder, Haushaltsführung etc.).
Das ist purer Stress, der sich negativ auf deine Gesundheit auswirkt. Zudem fördert Stress negative Gedanken und Gefühle.
Kommunikationsschwierigkeiten
Eines der problematischsten Dinge, die in einer Partnerschaft mit depressiven Menschen in Schieflage geraten, ist die Kommunikation. Während sich kranke Partner schwer artikulieren können, ist der gesunde Partner so überlastet, dass er kaum Verständnis aufbringen kann.
Wie Du Co-Depressionen vorbeugst
Die wichtigsten Prinzipien:
Du kannst Deinen Partner nicht mit Liebe & Hilfe heilen, er braucht professionelle Hilfe.
Du bist nicht verantwortlich für die Heilung Deines Liebsten und hast auch nicht die Macht dazu.
Sei Dir Deiner Grenzen bewusst und achte auf Dich.
Du darfst Deinen depressiven Partner in Ruhe und alleine lassen, ohne schlechtes Gewissen.
Du und Dein Partner müssen mit der Depression leben, nicht gegen sie.
Du bist nicht Dein Partner, Du darfst fröhlich sein, auch wenn es dem anderen schlecht geht.
Jeder kleine Schritt ist eine große Verbesserung. Nimm diese Erfolge als echte Hoffnungsschimmer.
Das kannst Du tun:
Hole Dir ärztlichen Rat, wie am besten mit Depressionen in einer Beziehung umzugehen ist. Gib Dir Zeit, zu lernen.
Mache selbst eine Psychotherapie, wenn Dir alles zu viel wird. Und auch hier gilt: Lass Dir Zeit.
Beteilige Dich an einer Selbsthilfegruppe für Partner von depressiven Menschen. Der Austausch mit anderen Co-Depressiven ist oft sehr hilfreich.
Plane aktiv Selbstfürsorge und Zeit, nur für Dich allein – Du brauchst einen depressionsfreien Raum.
Genieße die Stille, sie gibt dir Freiraum zur Erholung
Sobald Du merkst, dass die Schwermut Deines depressiven Partners auf Dich abfärbt, darfst und solltest Du Gegenmaßnahmen ergreifen, bevor es zu spät ist. Zum Beispiel: kreativ sein, allein sein, etwas mit Freunden unternehmen etc.
Überhaupt: Nimm Dir immer wieder Auszeiten – Du hast sie verdient und brauchst sie.
Übe Dich in emotionaler Abgrenzung, das ist sehr wichtig für Deine psychische Gesundheit.
Vgl. auch Depression beim Partner – Stress, Überforderung & Probleme
Offene Kommunikation hilft
Kommunikation ist nicht nur entscheidend für das Verständnis der Bedürfnisse des Partners, sondern auch für die eigene emotionale Entlastung. Der Austausch über Gefühle, Ängste und Sorgen kann sowohl für den depressiven Partner als auch für den gesunden Partner heilend wirken.
Das ist natürlich nicht einfach, vielmehr musst Du Dir immer wieder bewusst werden, ob Du gerade konstruktiv kommunizierst. Das ist anstrengend, doch niemand verlangt von Dir, perfekt zu sein. Wichtig ist nur, dass Du Dich immer wieder mal an dieses Prinzip erinnerst.
Bleibe im Gespräch mit Deinem depressiven Partner. Auch Du darfst Ängste haben, Deine Gefühle ausleben und Probleme ansprechen.
Was Psychologen & Psychotherapeuten mit Co-Depression meinen
Co-Abhängigkeit tritt auf, wenn ein Partner (oder mehrere Partner) in einer Beziehung ihr eigenes Wohlbefinden und ihre Bedürfnisse zugunsten des anderen opfern. Sie investieren so viel Energie in die Unterstützung des depressiven Partners, dass sie ihre eigenen Emotionen und Bedürfnisse vernachlässigen. Diese einseitige Dynamik fördert den Verlust des eigenen Selbstwertgefühls und führt in die Erschöpfung.
Noch schlimmer: die Depression des Partners soll dadurch aufrechterhalten und verstärkt werden. Eine Co-Depression soll sozusagen das Resultat der Co-Abhängigkeit sein, die Angehörige aufgebaut haben.
Ich halte das für eine Fehlinterpretation – nein, sogar eine abgehobene, realitätsferne Außenperspektive, die keinerlei Rücksicht auf die individuellen Verhältnisse nimmt.
Ja, es ist wahr, dass viele Partner und Partnerinnen ihre eigenen Bedürfnisse hintanstellen – oft aus Liebe und Sorge. Aber ist es objektiv, das als Co-Abhänigkeit zu bezeichnen und das Verhalten des gesunden Partners so einseitig zu interpretieren?
Beziehungsdynamiken sind komplex und lassen sich nicht in Schubladen stecken. Nur durch eine differenzierte Betrachtung, die auf individuelle Situationen eingeht, können wir wirklich verstehen, was zwischen zwei Menschen vor sich geht.
Pauschalurteile ignorieren dagegen die individuellen Nuancen jeder Beziehung und verkennen die vielschichtigen Ursachen von Depressionen.
Quellen:
1) Nadine Primo: Co-Depression: Geteiltes Leid ist immer noch Leid
2) Jessica Wagener: Co-Depression: Wenn Liebe zu depressiven Partnern krank macht
3) Prof. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe
4) Andrea S Klahre: Wenn an der Depression die Partnerschaft zerbricht
5) Dr. Corinne Bodenmann Kehl et. a.: Patientenratgeber „Depressionen & Partnerschaft“ (Universität Zürich für Klinische Psychologie)
6) Raphaela Birkelbach: Und selbst? Angehörige von depressiven Menschen
7) Quarks: Rätsel Depression – PDF-Script
8) Conny Schwarz: Ansteckende Depressionen (Interview mit Andrew Solomon)
9) Deutschland Barometer Depression 2018: Auswirkungen der Depression auf Partnerschaft und Familie