Sprücheklopfer & Pseudo-Philosophen – kurz: Social Media Bullshit

Tiefsinnige Weisheiten schrieben ältere Generationen ins Poesiealbum. Heute nutzt man dafür Social Media. Dabei werden intellektuelle Sprüche & Zitate inflationär gebraucht – aber selten wirklich verstanden. Eine Studie sagt: Sprücheklopfer sind eher dumm als weise.

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Pseudo-Philosophie in den Sozialen Medien

Leider mehr Schein als Sein

 

Pseudo-philosophische Sprüche sind beliebt

„Das Leben ist eine Reise mit unbekanntem Ziel“, „Carpe Diem“, „Niemand ist perfekt“ – Im Web tummeln sich Menschen, die die Weisheit mit dem Löffel gefressen haben. Egal welches Alter, ob Teenies oder Erwachsene – ein Großteil der User will sich aufgeklärt, sinnerfüllt und reflektiert zeigen.

Manche nennen sich Sinnfluencer, andere posten Selfies mit Weisheiten und wieder andere schreiben sogar einen kleinen Text dazu wie „Du bist wertvoll“ oder so ähnlich.

Die meisten Sprücheklopfer in den Sozialen Medien haben scheinbar eine ziemlich gute Ahnung davon, wie die Welt funktioniert und wer sie selbst sind.

(Hmmm, da scheine ich mit meinem Philosophie-Studium wohl Zeit vergeudet zu haben 😂)

Für pseudo-tiefgründige Selbstinszenierung braucht es nicht unbedingt eigene Worte, schließlich gibt es im Internet Spruchtafeln und philosophische Zitate wie Sand am Meer. Und die werden von Millionen genutzt.

Heute googeln Tausende von Menschen täglich nach:

  • Instagram Sprüche

  • Deepe Sprüche

  • kluge Sprüche Posts

  • Facebook Sprüche

  • nachdenklich Sprüche zum Posten

  • kluge Sprüche für Whats App Status

  • Quotes Generator

 

Wie schlau sind Pseudo-Philosophen auf Social Media?

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Das Phänomen ist typisch menschlich: Immer dann, wenn Menschen nicht wirklich etwas zu sagen haben, nutzen sie Phrasen.

Kalendersprüche würde ich dazu sagen – denn nichts anderes hing bei vielen Eltern und Großeltern an der Wand. Jeden Tag ein neuer Spruch zur Motivation.

Groß nachgedacht wurde darüber aber nicht - genauso wenig wie heute.

Eine Studie von 2015 (2), die sich mit diesem Phänomen beschäftigte, spricht davon, dass FB-Philosophen, digitale Sprücheklopfer & Co. eher naiv als klug sind. Ich möchte nicht so weit gehen und von dummen Menschen sprechen, sondern von recht leichtgläubigen.

Die Forscher der Studie allerdings schon: Sie bescheinigen den Pseudo-Philosophen von Social Media klare Defizite in der Intelligenz. Dazu wurden die Probanden auf kritische Reflexionsfähigkeiten, Sprachvermögen und Logik geprüft. Diejenigen, die erfundene und nichtssagende Sprüche nicht erkannten, teilten und likten, schnitten bei allen Tests unterdurchschnittlich ab.

 

Die Studie: „Über die Rezeption und Erkennung von pseudo-tiefgründigem Mist“ (2)

Das war der Titel der kanadischen Studie von 2015 – sehr polemisch, aber auch pointiert 😉 Was hier als Bullshit (Mist) definiert wurde sind Aussagen, die bei genauem Nachdenken keinen Sinn ergeben. Also überhaupt nichts aussagen: das sind Sprüche, die leider klug klingen, es aber nicht sind.

Die Forscher nutzten dafür den sogenannten „New-Age-Bullshit-Generator“, ein Tool, das per Klick Kalendersprüche durcheinander würfelt und die Wörter neu aneinanderreiht. Was dabei herauskommt, ist sowas:

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„Das Ziel von Reaktionen ist, die Samen der Wiedergeburt statt der Stagnation zu pflanzen“

– Wenn Du Dich jetzt fragst, was das bedeuten soll, gehörst Du schon mal zur Non-Bullshit Gruppe 🤘

Die Methode ist nicht neu, wie die Studie betonte: Insbesondere in der spirituellen und esoterischen Szene nutzen Gurus gerne diese Art von leeren Sprüchen. Darum wurden auch die Zitate von Deepak Chopra (einer der großen Gurus) in den Tests verwendet, die laut den Wissenschaftlern nur leere Inspiration liefern. Zum Beispiel: „Aufmerksamkeit und Absicht sind die Mechanik der Manifestation“.

Das Resultat der Studie: pseudo-tiefsinnige Sprüche kommen deshalb so gut an, weil man sie nicht versteht. Tatsächlich war kein Fan dieser Sprüche in der Lage, zu erklären, was solche Sprüche überhaupt bedeuten könnten. Faszination des Unbekannten quasi.

Oder um es im Sprachgebrauch der Studie zu sagen: Je dümmer ein Mensch war, umso mehr Tiefsinn beschied er den erwähnten Sprüchen.

Außerdem fand man in der Untersuchung heraus: die leichtgläubigen Probanden, die von leeren Sprüchen beeindruckt waren, glaubten eher an Verschwörungstheorien, alternative Medien und Übersinnliches.

 

Wer wurde getestet und wie?

Die Teilnehmer waren allesamt Studenten der Waterloo Universität. Also schon mal Leute, die einen gewissen Bildungsstand haben müssen. Bildung ist aber keine Intelligenz, so viel muss gesagt sein.

Wie lief so ein Test genau ab? Zunächst galt es, die Teilnehmer auf ihre kognitiven und reflexiven Fähigkeiten zu prüfen: Rätsel lösen, Logiken erkennen, Sprachtests..

Dann wurden den Teilnehmern verschiedene Aussagen vorgelegt, die sie auf einer Skala von 1 (banal) bis 5 (sehr tiefgründig) bewerten sollten. Die „Weisheiten“, die den Studenten vorgelegt wurden, wählten die Forscher dabei aus einer von 3 Kategorien aus:

  1. völlig banale Aussagen – Beispiel „Viele Menschen hören gerne Musik“

  2. allgemein als tiefgründig angesehene Aussagen – Beispiel „Ein Fluss schneidet seinen Weg durch Stein nicht, weil er so stark ist, sondern weil er beharrlich sein Ziel verfolgt“

  3. pseudo-tiefgründige Aussagen (Bullshit) – Beispiel „Erkenntnis ist die Wahrheit der Neugier“

Die Leute, die banale und pseudo-tiefgründige Sprüche als tiefsinnig einordneten, zeigten ein geringes Reflexionsvermögen und waren auch verbal der anderen Gruppe unterlegen.

Gerade das, was sie nicht verstanden, hielten sie als besonders intellektuell.

 

Update: neue Studie von 2021 sagt:

Menschen, die oft 'Bullshit' erzählen, fallen auch eher auf Fehlinformationen ('Fake-News') herein

Diese Neuigkeiten will ich Dir natürlich nicht vorenthalten 😀

Laut einer brandneuen Studie sind Sprüchklopfer auch noch anfälliger für manipulierte Informationen (12). Ich zitiere:

“Menschen, die häufig andere mit irreführenden Übertreibungen und Verzerrungen beeindrucken, überzeugen und zu manipulieren versuchen, werden selbst eher durch beeindruckend klingende Fehlinformationen getäuscht (…)

Insbesondere hatten sie Schwierigkeiten, bewusst tiefgründige oder wissenschaftlich korrekte Fakten von beeindruckender, aber bedeutungsloser Fiktion zu unterscheiden. (…)

Sie identifizieren auch zwei Arten von Bullshitting - persuasives (überredendes, überzeugendes) und evasives (ausweichend).”

  1. Persuasives Bullshitting verwendet irreführende Übertreibungen und Ausschmückungen, um andere zu beeindrucken, zu überzeugen oder sich anzupassen

  2. Evasives Bullshitting irrelevante, ausweichende Antworten in Situationen gibt, in denen Offenheit zu verletzten Gefühlen oder Rufschädigung führen könnte.

“Die Psychologen fanden heraus, dass je häufiger jemand persuasive 'Verarschung' betreibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass er durch verschiedene Formen von irreführenden Informationen getäuscht wird – unabhängig von seinen kognitiven Fähigkeiten, seinem Engagement im reflektierenden Denken oder seinen metakognitiven Fähigkeiten. (…)

Persuasive Bullshitter scheinen oberflächliche mit tatsächlicher Tiefgründigkeit zu verwechseln.”

 

Macht Social Media Nutzung dumm?

Wie wirken Soziale Medien aufs Gehirn?

Schon 2010 erschien das Buch des Wirtschaftsjournalisten Nicholas Carr: „Surfen im Seichten – Was das Internet mit unserem Hirn anstellt“. Der Autor kam zu dem Schluss, dass sich durch Social Media tatsächlich unsere Art zu denken, zu lesen und zu erinnern stark verändert hat.

Eine kanadische Studie von 2017 wollte dem auf die Spur kommen und prüfte Student*Innen zu Nutzung, demografischen Faktoren, Lebenszielen, Persönlichkeit und Reflexionskraft.

Dabei gingen die Studienleiter von der Prämisse aus: die schnellere Kommunikation führt zu schnellerem & kürzerem Denken. (10)

Die Ergebnisse sind nicht sehr schmeichelhaft:

  • kurzfristigere Lebensziele

  • Fokus aufs Image (Selbstobjektivierung)

  • Hedonismus (Good Vibes Only)

  • sinkende Moral

  • geringere Aufmerksamkeitsspanne – von 12 Minuten auf 5 Sekunden gesunken

Vgl. auch: Digitale Medien & Gehirn – Was macht das Internet mit uns?

 

Gefangen im Glaskabinett
der Selbstreflexion des Verstands“

Friedrich Nietzsche


 

Wie gefährlich ist Social Media für unsere Psyche?

Da Social Media noch relativ jung ist, gibt es auch noch keine wirklichen Langzeitstudien dazu. Darauf werden wir noch ein paar Jährchen warten müssen.

Was sich jedoch deutlich abzeichnet, sind negative Tendenzen bei Erwachsenen und vor allem ein schlechter Einfluss der sozialen Medien auf Jugendliche in den letzten 10 Jahren.

Diejenigen von ihnen, die regelmäßig die sozialen Medien nutzen, haben erhöhte Risiken für Angsterkrankungen & Depressionen (11) wie bereits mehrfach durch diverse Untersuchungen bewiesen wurde.

Gerade erschien ein 10-jährige “Langzeitstudie”, die diese Gefahr nachweist (8). Es ist die bisher längste Studie zur Nutzung er Sozialen Medien:

“In jährlichen Umfragen von 2009 bis 2019 verfolgten die Forscher im Rahmen des Flourishing Families Project das Mediennutzungsverhalten und die psychische Gesundheit von 500 Jugendlichen. Mädchen, die zu Beginn der Studie - als sie etwa 13 Jahre alt waren - mindestens zwei bis drei Stunden pro Tag soziale Medien nutzten und dann ihre Nutzung im Laufe der Zeit stark erhöhten, hatten als junge Erwachsene ein höheres klinisches Suizidrisiko.” (9)

 

Wirkung von Social Media auf Erwachsene

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Es ist natürlich ein Unterschied, ob ein Erwachsener oder ein Kind bzw. Jugendlicher die Sozialen Medien nutzt. Während letztere noch stark in ihrer Gehirnentwicklung beeinflusst werden, haben Erwachsene ohne Social Media bereits feste Strukturen im Gehirn ausgebildet.

Auch ist die Frage noch nicht beantwortet, ob Leute mit geringen Reflexionsfähigkeiten Social Media häufiger nutzen als die Vergleichsgruppe und darum in solchen Untersuchungen über-repräsentiert sind.

Oder ob die Sozialen Medien tatsächlich die kognitiven Fähigkeiten von Erwachsenen so stark beeinträchtigen. Einige neuere Untersuchungen scheinen jedoch genau auf diesen Umstand hinzuweisen.

Hier geht’s zu echten Weisheiten: Philosophische Sprüche


Quellen:

1) Max Scharnigg: Aphorismen in Sozialen Medien – Tut voll gut
2) Gordon Pennicook: On the reception and detection of pseudo-profound bullshit (Studie 2015)
3) Zülal Yildirim: Dumme Facebook-Philosophen? – Studie zur Intelligenz digitaler Sprücheklopfer
4) Caroline Stern: Was pseudo-profunde Facebook-Sprüche offenbaren
5) Carolin Ludwig: Wer „tiefgründige“ Zitate teilt, ist nicht so schlau
6) Sarah Raphael: Depressionen durch Social Media? Was die Jagd nach Likes mit unserer kollektiven Psyche macht
7) Logan E. Annisette: Social media, texting, and personality: A test of the shallowing hypothesis (Studie 2017)
8) Christie Allen: 10-year BYU study shows elevated suicide risk from excess social media time for young teen girls (Studie 2021)
9) PSYLEX.de: Suizid und soziale Medien – 10-jährige Studie zeigt erhöhtes Suizidrisiko durch zu viel Zeit in sozialen Medien
10) Sarah Raphael: Depressionen durch Social Media? Was die Jagd nach Likes mit unserer kollektiven Psyche macht
11) Elroy Boers, Patricia Conrod et al.: "Association of screen time and depression in adolescence” (Studie JAMA Pediatrics 2019)
12) Media Relations: Research shows that people who BS are more likely to fall for BS (2021)

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hi, ich bin Tamara, freie Journalistin & studierte Philosophin (Mag. phil.). Hier blogge ich über persönliche Erfahrungen mit Depressionen & Angst – und untersuche psychische Phänomene aus einer dezidiert philosophischen Perspektive. Zudem informiere ich fachkritisch über soziale Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Missstände, die uns alle betreffen.

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Ernährung bei Depressionen – Happy dank gesundem Essen?

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Typische Gedanken bei Depression – Depressive Gedankenkreise